Karlsruhe. Wer ein Auto least, kann immer neue Modelle fahren. Aber Kunden gehen auch gewisse finanzielle Risiken ein, und Kündigen ist nicht ohne Weiteres möglich. Hilft ein “Widerrufsjoker“ aus dem Vertrag?
Ein neues Auto ein paar Jahre fahren - und dann mit einem juristischen Kniff kostengünstig loswerden: Das dürfte für viele verlockend klingen. Anwälte sprechen von einem "Widerrufsjoker".
Beim Kilometer-Leasing lässt sich diese Karte allerdings nicht ziehen, wie der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe nun in einem Musterfall klargestellt hat. (Az. VIII ZR 36/20)
Wie funktioniert Auto-Leasing?
Beim Leasen wird das Auto nicht gekauft, sondern für eine bestimmte Laufzeit gefahren. Ähnlich wie beim Mieten zahlt der Kunde monatliche Raten für die Nutzung. Am Ende muss das Auto in der Regel zurückgegeben werden. Nur bei besonderen Vertragsgestaltungen kann oder muss der Kunde es übernehmen. Damit ist das Leasing vor allem für Menschen attraktiv, die immer ein aktuelles Modell fahren möchten, ohne sich alle paar Jahre ein neues Auto zu kaufen.
Was für Leasing-Modelle gibt es?
Beim Restwert-Leasing wird bei Vertragsschluss vereinbart, wie viel das Auto am Ende schätzungsweise noch wert ist. Ist der Wertverlust größer, muss der Kunde draufzahlen. Kann das Auto zu einem höheren Preis weiterverkauft werden, wird er am Erlös beteiligt. Das zweite Modell ist das Kilometer-Leasing. Hier wird vorab festgelegt, wie viele Kilometer der Kunde voraussichtlich zurücklegt. Danach richtet sich die monatliche Rate. Fährt der Kunde mehr, muss er dafür am Ende extra bezahlen. Fährt er weniger, bekommt er Geld zurück.
Welche Rolle spielt das Widerrufsrecht?
Bei vielen Verträgen haben Verbraucher ein Widerrufsrecht, das sie vor unüberlegten Abschlüssen schützen soll. Die meisten dürften dieses Recht vom Online-Einkauf kennen: Wer etwas übers Internet bestellt, kann es 14 Tage lang ohne Begründung zurückschicken. Auch Kreditverträge können widerrufen werden. Beim Restwert-Leasing haben Kunden ebenfalls ein Widerrufsrecht. Anders sieht es beim Kilometer-Leasing aus: Hier war die Frage bisher umstritten.
Warum diese Unterscheidung?
Laut Bürgerlichem Gesetzbuch (§ 506 BGB) gibt es bei Verträgen zwischen Unternehmer und Verbraucher "über die entgeltliche Nutzung eines Gegenstandes" nur in bestimmten Fällen ein Widerrufsrecht. Diese sind einzeln aufgeführt. Der BGH stellt nun klar: Die Aufzählung ist abschließend - und das Kilometer-Leasing gehört nicht dazu. Der Gesetzgeber habe es auch nicht vergessen. Er wollte das Widerrufsrecht schlicht nicht auf sämtliche Finanzierungsgeschäfte ausweiten, meinen die obersten Zivilrichter. So hatte es in dem Fall zuvor auch schon das Oberlandesgericht Stuttgart gesehen.
Was hat es mit dem "Widerrufsjoker" auf sich?
Für den Verbraucher ist es natürlich immer von Vorteil, wenn er eine womöglich vorschnelle Entscheidung noch einmal überdenken kann. Der "Widerrufsjoker" setzt aber darauf, dass die Widerrufsfrist nicht nach 14 Tagen zu Ende ist, sondern gar nicht zu laufen begonnen hat - und damit auch nie enden kann. Das kann passieren, wenn der Kunde nicht ordnungsgemäß oder gar nicht über sein Widerrufsrecht informiert wurde. Ist so eine Schwachstelle einmal entdeckt, kann das eine regelrechte Klagewelle nach sich ziehen. Denn der Kunde kommt selbst nach Jahren aus dem Vertrag noch heraus.
Was für Vorteile hätte das beim Leasing?
Leasing-Verträge lassen sich normalerweise nicht vorzeitig kündigen. Und am Ende ist der Kunde beim Kilometer-Leasing möglicherweise zu viel gefahren. Beim Restwert-Leasing trägt er das Risiko, dass das Auto Dellen oder Kratzer davonträgt oder einfach nicht mehr so hoch im Kurs steht - so wie es derzeit bei Diesel-Fahrzeugen der Fall ist. Anwälte locken damit, dass man sich diesen Ärger mit dem "Widerrufsjoker" sparen kann. "Zusätzlich bekommen Sie alle gezahlten Raten und Ihre Anzahlung zurück", heißt es etwa bei einer Kanzlei. Zumindest beim Kilometer-Leasing wird daraus aber nun nichts.
Welche Auswirkungen hat das Urteil aus Karlsruhe?
Es bewahrt Leasingunternehmen vor empfindlichen Einbußen. Der Kläger in dem Fall hatte zum Beispiel von der Mercedes-Benz Leasing GmbH rund 20.000 Euro zurückgefordert, nachdem er von 2015 bis 2018 ein neues Auto gefahren hatte. Wie viele solcher Verfahren es gibt, ist nicht bekannt. Nach den Worten der Vorsitzenden BGH-Richterin ist aktuell aber eine Vielzahl ähnlicher Klagen bei den Gerichten anhängig, und auch in Karlsruhe kämen fast täglich neue Fälle hinzu. Diese Klagewelle ist mit dem Grundsatz-Urteil gestoppt. Für alle anderen Leasing-Kunden, bei denen der "Widerrufsjoker" nie ein Thema war, ändert sich nichts. Ihr Vertrag läuft wie abgeschlossen weiter.
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