Rügen. Künstlerin Gudrun Arnold lebt seit fast 50 Jahren auf Rügen, Deutschlands größter Insel. Für Touristen bietet sie eine einwöchige Malreise für Anfänger und Profis an, bei der sich die Teilnehmer vor allem Zeit zum beobachten nehmen sollen.

Wohin die Fahrt geht, bestimmt der Wind. Kommt er von Osten? Dann fliegen an der Steilküste die Blätter weg. Also besser auf zum so genannten Hexenwald am Großen Jasmunder Bodden. Der steht zwar in keinem Reiseführer, dafür aber sitzen Maler dort windgeschützt und müssen sich nicht dauernd neugierig über die Schulter gucken lassen. „Für uns sind nicht die touristischen, sondern die malerischen Orte interessant“, erklärt Gudrun Arnold.

Seit bald 50 Jahren lebt die Künstlerin auf Rügen und wann immer es geht, arbeitet sie draußen. Wer wüsste daher besser, wann das Licht in der Kreptitzer Heide mild und golden und wo die Steilküste von der Sonne beschienen wird? Kap Arkona, sagt Gudrun Arnold, sei zum Malen zu windig. Der Königsstuhl, der berühmteste aller Kreidefelsen, sei bei 300.000 Besuchern jährlich „viel zu voll“.

Ein knallbunter Märchenwald

Das Rund aus Krüppelbuchen bei Lietzow dagegen lässt sich in Ruhe bestaunen. Gebückt stehen sie im Kreis wie tratschende Alte, einander umschlingend mit knorrigen Ästen. Elke, Verwaltungsangestellte aus Aachen, tuscht die Bäume zart mit Aquarell. Bei Karin, IT-Architektin aus Hamburg, wächst schnell ein knallbunter Märchenwald, und Rosi, Rentnerin aus Hannover, malt einen einzelnen Baum wie eine grüne Schlange.

Farbwahl, Pinselführung und letztlich sogar die Motive sind so verschieden wie die Menschen, die bei einer einwöchigen Malreise aufeinander treffen. Die eine möchte neue Techniken lernen, der andere einfach drauf los pinseln. Die eine bezeichnet sich als blutige Anfängerin und der nächste organisiert Ausstellungen. Aber alle sind sie angereist, weil sie Spaß daran haben, sich mit Pinsel und Farben auszudrücken, sei es altmeisterlich oder abstrakt.

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Da sind sie auf Rügen in guter Gesellschaft. Seit den 60er Jahren des 18. Jahrhunderts zieht Deutschlands größte Insel die Maler an: Jakob Philipp Hackert war der erste, der die Landschaft in Zeichnungen, Aquarellen und Radierungen festhielt. Lyonel Feininger hat hier gemalt und Adolph Menzel, Walter Leistikow und Hans von Marées und natürlich Caspar David Friedrich und Karl Friedrich Schinkel. Motive gibt es genug: Rohrdächer oder Windflüchter, Sanddünen oder Mohnfelder.

Gudrun Arnold möchte, dass ihre Teilnehmerinnen lernen, genau hinzuschauen. Wie hängen die Blätter am Baum? Welche Farbe hat die Rinde? „Ihr malt noch zu sehr aus dem Kopf“, erklärt die Kursleiterin. Was dabei herauskomme ähnele dann schnell dem Klischee. Nur wer sich die Zeit nehme, Farben, Formen und Strukturen genau zu beobachten, der bemerke, dass ein Baumstamm nicht zwangsläufig braun sei und ein Kreidefelsen nicht nur weiß.

Auf Klappstühlen nahe der Abbruchkante

Schon Caspar David Friedrich ging es nicht darum, die Kreidefelsen möglichst genau auf Leinwand zu bannen. Ohnehin: Die Küste verändert sich permanent, vor 200 Jahren sah sie ganz anders aus als heute. Erst vergangene Woche brach wieder ein ganzes Kreidemassiv aus der Küste – auf einer Breite von 80 Metern.

Auch in der Piratenbucht schimmert das Meer in Ufernähe tiefgrün, ein klares Anzeichen für Kreidespuren im Wasser, wie Gudrun Arnold erklärt. Erst vor kurzem sei hier ein beachtliches Stück Fels in die Tiefe gestürzt. Manche Malerinnen hält das aber nicht davon abhält, sich sehr nah an die Abbruchkante zu setzen. Auf Klappstühlen sitzen die Künstlerinnen in der Landschaft verteilt, jede sucht sich ihr Motiv und lässt sich nieder, wo es ihr gefällt. Gudrun wandert reihum und gibt Ratschläge.

"Seitdem sehe ich Farben anders"

Nach der Rückkehr ins Atelier wird die Ausbeute des Tages an die Wand geheftet. Eine der Teilnehmerinnen hat zuvor noch nie draußen gemalt und ist nicht zufrieden mit ihrer Landschaft. „Karin, das nächste Mal setze ich mich neben dich und male von dir ab“, sagt sie. Karin lacht und sucht nach Tipps für die Zweifelnde.

Sie selber hat den Kurs vor eineinhalb Jahren schon einmal besucht. „Seitdem sehe ich Farben anders“, meint sie. Karin weiß, dass der Malkurs mit der Abreise noch nicht beendet ist. „Wenn man die Bilder nach einer Woche erneut anschaut“, sagt sie, „dann sieht man auf einmal viel klarer“.