Essen. Der Schwarzwald ist als Ferienregion immer noch unterbewertet. Dabei hat die Region sehr viel mehr zu bieten als Erholung in der Natur.
Am Schwarzwald scheiden sich die Geister: Zwar ist die Zahl der Gäste 2013 weiter auf 7,4 Millionen gestiegen, doch gleichzeitig sinkt die Zahl der Übernachtungen. Verbrachten früher noch viele Deutsche ihren ganzen Sommerurlaub im Schwarzwald, schauen nun vor allem Kurzreisende vorbei. Auf kümmerliche 2,8 Übernachtungen ist die Reisedauer geschrumpft, Tendenz weiter sinkend. Dabei bietet der Schwarzwald genug Sehenswertes für Sommerfrische, Herbstauszeit, Winterreise oder Frühlingserwachen. Nur ist das noch längst nicht bei allen Deutschen angekommen: Viele wähnen hinter der Region im Südwesten den Muff der 50er-Jahre, denken an „Schwarzwaldmädel“ oder „Schwarzwaldklinik“. Zwar sind die Straßen so sauber wie auf der Leinwand, blühen die Geranien in den Blumenkästen am Schwarzwaldhaus und verschmelzen Wald und Dunkel am Nachthimmel wie einst. Doch zugleich ist der Schwarzwald im 21. Jahrhundert angekommen.
Die touristische Infrastruktur ist vielerorts auf dem modernsten Stand und befriedigt die Bedürfnisse unterschiedlichster Reisegruppen. Eine geniale Idee war die „Konus-Karte“ der Schwarzwald Tourismus GmbH – eine Art Semesterticket für Urlauber zwischen Karlsruhe und Lörrach: Sie gilt inzwischen in 142 Ferienorten und ist nicht nur ein Freifahrtschein für alle Regionalverkehrszüge und Busse, sondern ermöglicht auch ohne Eintritt beziehungsweise vergünstigt den Besuch vieler Museen und Schwimmbäder. Selbst Minigolf kann man damit umsonst spielen. Plötzlich wird die Kurtaxe zum Schnäppchen-Investment: Im mittleren Schwarzwald zahlt man nur 2,10 Euro am Tag, Kinder nur 90 Cent.
Gerade die Kleinstenfühlen sich wohl
Das Geld versickert nicht, sondern fließt in touristische Angebote. Die Wanderwege beispielsweise sind nicht nur gut gepflegt, sondern auch bestens und einheitlich ausgeschildert. Der Schwarzwaldverein unterhält ein Netz von 24 000 Kilometern mit 14 000 Wegweisern. Fernwanderwege wie der West-, der Mittel- und der Ostweg durchqueren den Schwarzwald von Norden nach Süden. Besondere Themenwanderwege, etwa als Naturerlebnispfade oder Parcours für Kinder, ermöglichen Familien quengelfreie Kurzausflüge.
Gerade die Kleinsten fühlen sich im Schwarzwald wohl: Viele Landwirte bieten günstige Ferienwohnungen auf dem Bauernhof – schon ab rund 40 Euro pro Nacht gibt es hier attraktive Angebote. Für Großstadtkinder sind die Ställe, Weiden und Gärten, die Kühe, Hühner oder Katzen meist reizvoller als jeder Erlebnispark. Und wenn die Eltern dann mal in Ruhe ein Buch lesen können, erträgt man auch die mitunter strenge Landluft und die Fliegenschwärme.
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Das dürfte ein Grund sein, warum 27 Prozent der Gäste aus dem Ausland kommen. Schweizer, Holländer oder Franzosen schätzen das Preis-Leistungsangebot. Es ist auch eine gewisse süddeutsche Lebensart, die den Schwarzwald besonders macht. Die quirlige Universitätsstadt Freiburg liegt gleich vor der Haustür. Die Kehrseite: An manchen Tagen sind einige Hauptattraktionen überlaufen, an diesen Hot-Spots erinnern Cafés und Restaurants an Massenabfertigung. Selbst aus Übersee kommen die Gäste: An den Triberger Wasserfällen beruft man sich auf bekannte Touristen wie Ernest Hemingway. Was man geflissentlich verschweigt – die Schwarzwald-Reise enttäuschte den späteren Nobelpreisträger.
Rucksackreisende wandern durch eine mitunter endlose Waldwildnis
Mit dem Schwarzwald sei das wie mit der Toskana, findet Frank Scherer von der Schwarzwald Tourismus GmbH, „er ist weltweit bekannt.“ Und fügt hinzu, dass die Region bei der Zahl der Gäste sogar vor der Toskana oder Südtirol rangiert. Das dürfte an der Größe des Gebiets, aber auch an seiner Vielfalt liegen: Rucksackreisende wandern durch eine mitunter endlose Waldwildnis, Gourmets tafeln in einer Fülle von Sterne-Restaurants, Skiläufer freuen sich über relativ viel Schnee – der Feldberg mit seinen 1493 Metern ist immerhin der höchste deutsche Berg außerhalb der Alpen.
Und Kulturreisende müssen ein paar Tage mehr einplanen, um Städte zu entdecken oder das umfangreiche Angebot der Museen zu erkunden. Pflichtbesuche sind der Vogtsbauernhof in Gutach, der als Freilichtmuseum Schwarzwälder Geschichte anfassbar macht, das Uhrenmuseum in Furtwangen und das Phonomuseum in St. Georgen. Letztere erzählen auch von einem dramatischen Wirtschaftseinbruch, als Digitalisierung und Globalisierung Ende der 70er Jahre zwei zentrale Branchen in die Krise stürzten. Der Schwarzwald hat sich davon erholt. Und wirkt mit seiner Mischung aus Tradition und Moderne gut gerüstet für das 21. Jahrhundert.