Essen. In den 50er Jahren boomte der Tourismus am Millstätter See in Kärnten. Heute kommen vor allem Familien mit kleinen Kindern hierher. Gottlieb Strobl hat sein ganzes Leben hier verbracht. Er nimmt uns mit auf eine Bootsreise über den See.
Spiegelglatt und tiefblau liegt der See vor Gottlieb Strobl. Es ist noch nicht ganz hell, seine Lieblingszeit. Wenn sich die aufgehende Sonne durch die Nebelschwaden über den Bergen kämpft und das Wasser in ein warmes, unwirkliches Licht taucht, dann rudert Strobl mit Elfi hinaus. Dann streichelt er Elfis hölzernen Bug, fährt mit seinen Fingern entlang der Rillen und Risse, die die Zeit in die massive Sitzbank gefressen hat. Das Boot, in dem Gottlieb Strobl sitzt, ist 50 Jahre alt. Er hat es selbst gebaut.
Älter noch ist Strobls Leidenschaft, früh morgens auf den Millstätter See hinaus zu rudern. Der 67-jährige pensionierte Bootsbauer ist hier geboren, hat sein ganzes Leben am Millstätter See in Kärnten verbracht. „Die ruhige Morgenstimmung ist fantastisch. Um diese Zeit ist man völlig allein hier draußen“, sagt der Österreicher.
Bootsverleihe bieten Segel- und Surfkurse an
Was er am Alleinsein auf dem See so sehr mag – 588 Meter über dem Meeresspiegel, dort wo sich die Millstätter Alpe in seinem Rücken wie ein sanfter Hügel erhebt? „Schauen, riechen, empfinden muss hier jeder selbst“, knurrt der alte Herr. Über Gefühle spricht er nicht gerne.
Ende der 1960er Jahre hat Gottlieb Strobl den Bootsverleih am Nordufer übernommen, der vor seinem Vater schon Strobls Großvater gehörte. Seitdem hat sich viel verändert: „In den 50er Jahren boomte hier der Tourismus. Und es wurde von Jahr zu Jahr mehr“, erinnert sich Strobl.
Bootsverleihe wie Strobls reihen sich seither wie Perlen an Millstatts Nordufer, bieten Segel- und Surfkurse an. „Jeder hat eine Pension gebaut. Die Leute haben sich fast überschlagen“, erzählt er.
Der Tourismus brach in den 80er Jahren ein
Auch Gottlieb Strobls Geburtshaus ist heute eine typische Kärntener Ferienpension, mit Kübeln voller roter Geranien auf dem Balkon. „Doch in den 80er Jahren hat sich etwas verändert“, sagt Strobl. „Mit der Möglichkeit für jedermanns Brieftasche die Welt zu bereisen, hat der Tourismus einen Knick bekommen. Die jungen Leute kommen uns abhanden.“ Statt Berge und Seen sei es vor allem Wettersicherheit, die Jugendliche wollen. „Garantie auf Sonne bekommen sie in der Türkei oder Spanien, da können unsere Breiten nicht mithalten.“
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Bootsbau nach Wikinger-Tradition
Eines ist aber all die Jahre gleich geblieben: Strobls Holzboote, die heute seine Tochter vermietet: „Alles Handarbeit“, sagt Strobl. Zweispitz nennt er sie, „weil sie nach vorne und hinten spitz zulaufen. So haben schon die Wikinger gebaut“. Sein besonderer Stolz gilt Elfi: „Ich habe jede Niete selbst gesetzt, das Holz geschliffen, gestrichen, lackiert. Und wenn mal etwas kaputt ging, dann habe ich es repariert“, sagt Strobl, und: „Wenn man so etwas tut, dann muss schon eine Menge Begeisterung dahinter stecken. Man entwickelt eine Beziehung dazu, auch weil man selbst täglich mit dem Boot auf den See rausrudert.“
Gottlieb Strobl kennt den Millstätter See so gut wie jede einzelne Kerbe in Elfis tiefbraunem und vernarbtem Holz. Wenn er früh morgens die wenigen Meter von seinem Haus zum Ufer läuft und in den See eintaucht, dann weiß er: „Das Wasser, in dem ich jeden Morgen bade, hat Trinkwasserqualität.“ Er weiß, dass er bis zu 141 Meter in die kristallklare Tiefe tauchen müsste, um an den Grund zu gelangen – und dass der Millstätter See damit der tiefste von rund 200 Badeseen in Kärnten ist.
Ein wertvolles Geheimnis
Oft wandert Strobls Blick vom See gen Westen, zu den Bergen. Das Wasser ist jetzt im Sommer zwischen 22 und 25 Grad warm. Doch die Berggipfel sind schneebedeckt. Reißeck und Gmeineck gehören mit knapp 3000 Metern schon zum Hochgebirge. „Dass um diese Zeit schon Schnee liegt, ist ungewöhnlich“, sagt Strobl.
Doch die Berge rund um den Millstätter See haben mehr als nur den Schnee zu bieten. Der Millstätter Höhensteig führt von der Welt der Dreitausender zur Millstätter Alpe, die ein wertvolles Geheimnis birgt: Den roten Granat. Schon im 19. Jahrhundert zierte er die europäischen Adelshäupter. Auch heute noch finden sich die dunkelroten Steine längs der Pfade bis hinauf zum Granattor, das hoch oben auf der Millstätter Alpe thront.
„Von dort oben kann man den ganzen See überblicken“, sagt Strobl. Und mit etwas Glück dann auch die Sonne dabei beobachten, wenn sie am Abend wie ein granatfarbener Ball im dunklen Wasser verschwindet.
Eine Kolonie Kormorane nistet am Südufer
Am liebsten aber erkundet Gottlieb Strobl den See vom Boot aus. Auf einem Ausflug mit Elfi hat er Kormorane entdeckt. „Es ist eine ganze Kolonie. Sie sind seit einiger Zeit wegen der Reinanken und Saiblinge hier“, sagt er. „Bestimmt 20 bis 30 Vögel“, will Strobl am Südufer, wo sich der Wald noch zu einem dichten Blätterdach über dem See verwächst, gezählt haben.
Auch Strobl scheint mit der Natur verwachsen. Schwer vorstellbar, dass dieser Mann fern des Millstätter Sees auch Segelturns im Mittelmeer, Nilfahrten und Tauchurlaub in Ägypten erlebt hat. „Immer etwas mit Wasser“, musste es für Gottlieb Strobl sein. Aber mit der festen Gewissheit: „Ich habe das Glück an einem wunderschönen Fleck Erde zu Hause zu sein.“