Die Mittelmeerinsel Korsika lässt sich am besten mit einer Wanderung entdecken. Eine Tour mit einer Gruppe eignet sich hierfür am besten. Dabei lernt man nicht nur die Insel und seine Bewohner, sondern auch die anderen Gruppen-Mitglieder kennen.
„Mit normaler Kondition gut zu schaffen“, heißt es im Prospekt des Reiseveranstalters. Das wird sich zeigen. Die anderen, die nach und nach am Treffpunkt im Flughafen von Calvi eintrudeln, machen jedenfalls auch nicht gerade den Eindruck, als würden sie beim Marathon ständig vorneweg laufen. 45 plus ist der Altersdurchschnitt.
Der Bus bringt die Gruppe nach Algajola im Nordwesten Korsikas. Ein hübscher Badeort, zwischen L’Ile Rousse und Calvi gelegen, mit familiengeführten Hotels, hellem Sandstrand und einem Platanen bestandenen Dorfplatz. Korsika hat offenbar seinen Charme bewahrt. Den Einheimischen, die sich seit Jahrzehnten weigern, ihren Grund und Boden an ausländische Konzerne zu verkaufen, sei Dank.
Das erste Abendessen ist entscheidend
An der Hotelrezeption werden die Schicksalsgemeinschaften für die nächste Woche zusammengewürfelt. Susanne aus Saarbrücken wird das Zimmer mit Bärbel aus Frankfurt teilen. Beide haben auf früheren Reisen gute Erfahrungen mit ihren Mitbewohnerinnen gemacht. Im übrigen ist ein halbes Doppelzimmer natürlich preiswerter. Andere, die ihre Privatsphäre voranstellen, investieren lieber ein paar Euro mehr ins Einzelzimmer.
Das erste Abendessen sei ganz entscheidend, sagt Susanne, eine erfahrene Gruppenreisende. Sie rät, rechtzeitig zu erscheinen. Denn die Sitzordnung, die es eigentlich gar nicht gibt, wird am Ankunftstag quasi festgelegt. Stimmt die Chemie, steuern die meisten am nächsten Abend den gleichen Stuhl an.
Stille Wasser sind meist die interessantesten
Meine Mitläufer erzählen unterdessen von Geysiren auf Island und von vorwitzigen Schafen in den schottischen Highlands. Im nächsten Urlaub, irgendwo in Norwegen oder in Vietnam, werden sie wahrscheinlich von Korsika schwärmen. Beim Wandern kommt man gut ins Gespräch, mal mit diesem, mal mit jenem. Wobei sich manchmal die stillen Wasser als die interessantesten herausstellen – zum Beispiel Markus, der Dresdner mit dem kanadischen Rangerhut und dem herrlich trockenen sächsischen Humor.
Zum Glück weiß Franziska, die Wanderführerin, wo’s lang geht. Sie arbeitet seit ein paar Jahren in der Nähe von Toulouse als Tischlerin und führt im Sommer Wandergruppen. Am nächsten Tag lotst sie die Gruppe zu den Dörfern der Balagne. Der Landstrich hier, auch „Garten Korsikas“ genannt, ist besonders fruchtbar. Es wachsen Oliven, Rebstöcke und Zitrusfrüchte.
Eine Reise durch die zauberhafte Landschaft der Ile de Beauté
In Aregno, dem ersten Dorf auf der Strecke, mit einer romanischen Kirche aus dem 12. Jahrhundert, serviert der freundliche Wirt von „Chez des Amis“ denn auch frisch gepressten Orangensaft. Ansonsten ist bei den Wanderungen meist Picknick angesagt. Gegessen wird, was der kleine Supermarkt von Algajola so hergibt: Baguette, Käse, Salami und Oliven. „Wanderer sind da ganz unkompliziert“, sagt Susanne. Studienreisende, so ihre Erfahrung, seien manchmal anstrengender. „Vor allem wenn jemand vom Typ Oberlehrer dabei ist“. Heike, von Beruf Schulleiterin, wie sich später herausstellt, hört über die letzte Bemerkung geflissentlich hinweg.
Es geht von Corte, der Universitätsstadt im Landesinneren, durch die Tavignano-Schlucht. Eine Wanderung am rauschenden Bach und über dicke Hinkelsteine, wie Obelix sie durch die Gegend wirft, auch in „Asterix auf Korsika“. Der Band gehört zur Pflichtlektüre für jeden, der dieses „bevorzugte Fleckchen Erde“ (Zitat aus eben genanntem Comic) bereist. Das Wechselspiel aus Bergen und Meer, bizarren Felsen und schönen Sandbuchten macht den Reiz der Ile de Beauté, der Insel der Schönheit, aus, den man auch auf den Wanderungen durch den Wald von Bonifato hinauf zur Passhöhe Bocca di Bonassa und durch das wildromantische Restonicatal erleben kann.
Tag vier ist frei – endlich Urlaub. Jeder schläft solange er mag, ansonsten legen die Wanderer spätestens um 9 Uhr los. Man sucht sich Gleichgesinnte. Entweder diejenigen, die wandern wollen, oder die, die am Strand von Aregno faulenzen möchten. Der vierte Tag ist auch der, an dem sich Christa als Steuerberaterin outet.
Berge und Meer statt zugebaute Küsten
„Ich verrate das nicht gerne. Als ich durch die Wüste Gobi gewandert bin, wollte jemand unbedingt von mir wissen, warum ihm das Finanzamt das Arbeitszimmer gestrichen hat“. Zu guter letzt lernen wir auch noch das „wilde“ Korsika kennen. Nicht nur die Schluchten und zerklüfteten Bergrücken, sondern auch die stürmische Tramontana. Jener böige Nordwind, der die Wellen aufpeitscht und vor dem sich Baum und Mensch ducken. Wir brechen die Tour zum Lac de Capitello ab.
Bei einem Kastanienbier wird Bilanz gezogen. Und die fällt sehr positiv aus: Korsika ist eines der schönsten Gebiete für Wanderer überhaupt, besonders im Frühjahr und Herbst. Ein ideales Ziel für diejenigen, die Meer und Berge kombinieren wollen. Und nach wie vor ohne riesige All-Inclusive-Anlagen und zugebaute Küsten. Die vielen Leute mit den Wanderstiefeln auf dem Hinflug haben sich also nicht geirrt.