Die Schotten packen ihren Dudelsack aus: „Amazing Grace” schallt es über den Canale Grande im Herzen Venedigs. „Sur le pont d´Avignon” singen sodann die Franzosen, die zuvor ihre Wangen mit der Tricolore verziert haben.
Jedes Jahr am letzten Sonntag im Mai lockt sie die „lange Welle” hierher – die Regatta Vogalanga. Dann schippern tausende Freizeitkapitäne aus ganz Europa durch Venedig. Um Punkt neun Uhr donnert die Kanone am Markusplatz als Startsignal. Das bunte Meer aus Booten zieht über den malerischen Canale Di San Marco an den Inseln Vignole und Sant'Erasmo vorbei, Wind lässt die See schwanken.
An der Insel Burano, bekannt für ihre Spitzenstickereien, knickt der Kurs nach links ab, durch den Kanal der Glasbläserinsel Murano. Über den Canale Grande geht es zurück zum Markusplatz. Das Getümmel hin zur mächtigen Rialtobrücke wird dichter. Dort, am Wahrzeichen der Stadt, das die Viertel San Marco und San Polo verbindet, kommt es zum Höhepunkt. Manche Besatzungen halten inne wie an einem Pilgerort und andere recken die Paddel stolz in die Höhe. 6000 Teilnehmer und 1500 Boote hat Antonio Rosa Salva vom „Comitato Organizzatore” im Vorjahr entlang der Strecke ausgemacht und gezählt. Rennruderer sind genauso dabei wie lässige Genießer mit Flößen aus Kanurümpfen und Bier an Bord. Es sollen am kommenden 31. Mai erneut so viele werden.
Mitmachen darf jeder, der sich die 30 Kilometer zutraut. In der Villa Farsetti auf San Marco steht bis zum Sonnabend um 18 Uhr die Meldestelle offen. Für 15 Euro gibt es die Startnummern. Gäste reisen derweil mit Bootsanhängern an, darunter auch Ruderer aus Düsseldorf und Köln. Sie kampieren auf den Wiesen befreundeter Boot-Klubs. Viele kommen immer wieder, um durch die Kanäle zu steuern wie die Gondolieri und um den Prunk einer Märchenstadt zu erleben.
Die Regatta bietet genügend Zeit, diese Eindrücke zu genießen. Tempo zählt nicht, Medaillen bekommt jeder, der den Markusplatz erreicht. Denn: „Vielen Venezianern geht es darum, die Motorschifffahrt für einige Stunden lahm zu legen”, erklärt Plinio Zanini vom Venezianischen Ruderclub Voga Veneta Mestre. Die Vogalonga ist 1974 aus einer Protestbewegung gegen die ungeregelte Motorschifffahrt entstanden. „Immer mehr Boote rasten immer schneller durch die Kanäle und ihre Heckwellen nagen bis heute an unseren fragilen Stadtfundamenten. Die Restaurierung kostet Millionen”, kritisiert Plinio deutlich.
Seit diesem Jahrzehnt sind Tempolimits auf den Kanälen eingeführt worden und Nummernschilder für Motorboote Pflicht. Zwischen fünf und maximal zwanzig Kilometer pro Stunde dürfen die Schiffe seitdem tuckern. Die Verkehrsberuhigung werde selbstverständlich mit Radarfallen überwacht. Zur Regatta werden die Kanäle für den Motorverkehr komplett gesperrt. Für Plinio Zanini ist dies der Tag, an dem Venedig atmet. „Viele Bootsfreunde helfen bei diesem stillen Protest, ohne den Grund für die Vogalonga zu kennen”, glaubt Zanini. Auf dem Gelände seines Rudervereins zelten viele Deutsche. Zwei Duschen für 80 Sportler, da wird improvisiert. Für eine Spende bekocht der Verein die Gäste, Manche Gäste lassen schon mal ihre Ruder für ein Entgelt schleppen. Sie atmen dann erleichtert durch – für Plinios Verein und für Venedig.