In Bulgariens Mitte lässt sich ursprüngliche Natur ebenso erleben wie die Kulturgeschichte des Rosenöls

Ziemlich genau durch die Mitte Bulgariens zieht sich von Ost nach West ein mächtiges Gebirge, die Stara Planina. Bei uns besser bekannt als Balkan. In dessen Mitte wiederum befindet sich eines der größten Schutzgebiete des Landes, der Central Balkan Nationalpark. Viele Wanderer lockt es hierher, die meisten sind Bulgaren. Doch auch wir wollen in zwei Tagen den Balkan einmal überqueren.

Gestartet sind wir an der Nordseite des Gebirges an der Pleven Hütte auf immerhin 1360 Meter Höhe, doch rund 900 Höhenmeter lagen noch vor uns. Inzwischen sind einige davon bewältigt, erst ging es durch dichte Buchenwälder, dann über Bergwiesen, die jetzt im Juni in voller Blüte stehen. Gerade sind wir an einem besonders schönen Plätzchen angekommen, wo sich ein Felsvorsprung weit hervorschiebt. Von der Spitze aus bietet sich ein atemberaubender Blick hinunter ins Tal, rechts stürzt am steilen Hang ein Wasserfall in die Tiefe. Dieses Ensemble will einfach auf Fotos festgehalten werden – und stellt eine willkommene Gelegenheit zum Ausruhen dar.

Doch daraus wird nichts. „We must go“, sagt Georgi, der im Nationalpark für die Bärenpopulation zuständig und für zwei Tage unser Guide ist. Er deutet auf die dunklen Wolken, die sich drohend auftürmen. Ja, wir wissen es: Ein Gewitter in den Bergen ist keine schöne Erfahrung. Trotzdem ist der Gedanke verführerisch, sich ins Gras zu legen, in den blauen Himmel zu schauen und die dunkle Wolkenwand einfach zu ignorieren. Schließlich siegt die Vernunft und es geht weiter. Vorbei am Botev, mit rund 2376 Metern der höchste Gipfel im Park. Die letzten anstrengenden 300 Meter dort hinauf sparen wir uns. Das Panorama ist auch so umwerfend. Und die Wolkenwand weg.

In dem 80 Kilometer langen und rund 20 Kilometer breiten Nationalpark kann man tagelang wandern. Den vielen Bären im Schutzgebiet begegnet man nur sehr selten. Sie sind scheu und gehen den Menschen aus dem Weg, wie der Bärenexperte Georgi beobachtet hat. Hin und wieder deutet er hinüber auf einen Berghang, wo einer der Bären sein Revier hat, Wanderer aber nicht hinkommen.




Am nächsten Tag geht es an der Südflanke bergab durch den mal dichten, mal lichtdurchfluteten Buchenwald, begleitet vom Rauschen des glasklaren Flüsschens Stara Reka. Auf halber Strecke fällt ein Steinkreuz ins Auge. Es ist keine Erinnerung an einen Menschen, sondern an eine Bärin. Vor 50 Jahren, erzählt Georgi, hatte diese immer wieder Vieh gerissen. Irgendwann entschlossen sich die Leute aus dem Tal schweren Herzens, sie zu erschießen. Und dann hier im Wald zu begraben. Auf dem Kreuz steht „Ruhe in Frieden“ und „Hier ruht Großmutter Bär“. Eine traurige, aber schöne Geschichte. Irgendwann schlagen wir uns nach links in die Büsche und stehen auf einem kleinen Felsplateau. Hunderte Meter geht es steil bergab, ganz unten ist die Stadt Karlovo zu sehen. Sie liegt im Tal der Rosen, aus dem das beste Rosenöl der Welt kommt.

Dorthin wollen wir, den verführerischen Duft in der Nase spüren, den die Blüten jetzt im Juni verströmen. "Rosa Damascena" heißt die Blume, die das wertvolle Öl hervorbringt. Es wird aus den Blüten gewonnen, die vor Sonnenaufgang geerntet werden müssen, damit das besondere Aroma erhalten bleibt. Besonders eindrucksvoll sieht sie nicht aus, ein bisschen wie eine Heckenrose. Man sollte daher keine üppigen Gärten erwarten, sondern rosa- und weißgesprenkelte Rosenfelder. Dass die Rosa Damascena gerade hier so gut gedeiht, ist dem Balkangebirge zu verdanken. Es bietet Schutz vor kalten Winden aus dem Norden und sorgt für ein mildes Klima mit ausreichend Niederschlägen.

Wenn Anfang Juni die Ernte beginnt, ist die Zeit der Rosenfeste. Eines der größeren findet in Karlovo statt, das bekannteste jedoch etwas weiter östlich in Kazanlak. Dann wird auf den Straßen Musik gemacht, es gibt eine Rosenkönigin und einen Umzug, bei dem Pflückerinnen Rosenblätter in die Menge werfen. Überall wird auch ordentlich Rosenlikör und Rosenschnaps ausgeschenkt. Berühmt ist Kazanlak jedoch nicht nur wegen dieses Festes, sondern auch wegen eines Kulturerbes: dem Grabmal der Thraker, einem Volk, das vor rund 2400 Jahren auf dem Gebiet des heutigen Bulgarien lebte. Der eindrucksvolle Kuppelbau mit den gut erhaltenen Fresken und Malereien ist so einmalig, das er unter dem Schutz der UNESCO steht.

Zwischen Kazanlak und Karlovo liegt Kalofer, das in den letzten Jahren im Tal zu einem kleinen touristischen Zentrum geworden ist. Das ist vor allem der Ecotourism Kalofer Association zu verdanken, die gemeinsam mit der internationalen Organisation PAN-Parks in der gesamten Region den Ökotourismus fördern will. Es ist ein ruhiger, verschlafener Ort, touristischen Rummel gibt es hier nicht, kaum Shops, Restaurants und Hotels. Dafür kleine Pensionen in den bis zu 300 Jahre alten, für diese Region typischen Häusern. Auch wir übernachten so, in einem kleinen Idyll, mit einem lauschigen Garten im Innenhof und der obligatorischen Katze, die in der Sonne döst, die Aufmerksamkeit der Besucher genießend. Wir genießen dagegen die ausgeprägte Gastfreundschaft, die auch das eine oder andere selbstgebrannte Schnäpschen beinhaltet.

An der ruhigen Atmosphäre in Kalofer soll sich nichts ändern. Einige Besucher mehr hätte man aber trotzdem gerne, sagt Dimitar Marinov, Initiator des Ökotourismus-Verbandes. Das Vorhaben wird von den Einwohnern Kalofers unterstützt, von den Rosen können nicht alle leben. Die einen schaffen Unterkünfte, die anderen haben am Berg oberhalb des Ortes einen Ökopfad gebaut, den Byala Reka Eco-Trail. Für den Rundweg mussten unter schwierigsten Bedingungen Wege angelegt sowie Holzbrücken und Aussichtsplattformen gebaut werden. Aber Kalofers Einwohner haben es gemeinsam geschafft – und sind stolz darauf.