Essen.

Auf gerade 14 dürren Zeilen steht das, was die neue Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag in den kommenden vier Jahren zum Thema Tourismus zu sagen hat. Die Strahlkraft der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 ist in Deutschland jedenfalls verflogen. „Das waren sieben fette Jahre“, sagt Roland Gassner, Marktforscher bei der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) in Nürnberg. Die Anzahl der Gästeankünfte in touristischen Zielgebieten ist von 2005 bis 2012 aus dem Inland um 23 Prozent gewachsen, die aus dem Ausland gar um 41 Prozent.

Doch der Trend scheint gestoppt. Von Januar bis September 2013 sind die Zahl der Tagesausflüge innerhalb Deutschlands und die Zahl der privaten Freizeitreisen mit Übernachtung im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen. Das schlechte Wetter gehört in Deutschland zu den Gründen, innerhalb Europas kommt die Wirtschaftskrise dazu. In den Ländern, in denen Menschen sparen müssen, ist ein Urlaub erst einmal tabu. „Das wird uns noch auf Jahre beschäftigen“, so Gassner.

Fair-Trade lockt Gäste an

Doch woher sollen die Gäste nach Deutschland kommen? Ein Fokus liegt auf dem Binnenmarkt. Deutsche Reisende sind umworben – aus dem Inland, wie auch aus dem Ausland. Doch der Reisende verändert sich. Sein Verantwortungsbewusstsein wächst. Er fährt Bahn und erwartet mehr Energiesparen im Hotel, und auf dem Frühstückstisch fair gehandelte Produkte. Nachhaltigkeit bezeichnet Gassner als das entscheidende Argument für touristische Regionen. „Deshalb wird uns auch das Thema Mindestlohn nicht unbedingt Gäste kosten“, meint Karina-Anna Dörschel. Im Gegenteil: „Das könnte sogar ein Standort-Vorteil werden.“

Die Bestätigung kommt von Jens Huwald im Rahmen der anschließenden Diskussionsrunde, die von Reise-Journal-Produktmanager Pascal Brückmann moderiert wurde. „Das Ergebnis der Olympia-Abstimmung war ja ein deutlicher Fingerzeig in diese Richtung“, gibt der Geschäftsführer der Bayern Tourismus GmbH offen zu. Huwald wertet das negative Ergebnis um die Spiele in allen vier befragten Regionen nicht als Votum gegen den Tourismus, sondern gegen die im Spitzensport bestehenden Strukturen. „Die Menschen blicken heute hinter die Kulissen, und das, was sie sehen, gefällt ihnen nicht“, sagt Huwald. Bayern sei dennoch auf einem „sehr guten Weg“. 84 Millionen Gästeübernachtungen zählte der Freistaat im Jahr 2012 – ein deutschlandweites Spitzenergebnis.

Tourismus-Branche wird nicht wahrgenommen

„Wir sollten uns in NRW auch für Olympia 2026 bewerben“, wirft Michael Beckmann ein. Wohl nicht ernst gemeint, aber dennoch. Der Tourismuschef in Winterberg meldet umfragegestützte 70 Prozent Zustimmung zum Tourismus in seiner Gemeinde. „Das bringt Arbeitsplätze, 3500 Menschen leben in Winterberg bereits vom Tourismus“, umreißt Beckmann, der 2015 eine Bob-WM ausrichtet. Doch die Gemeinde ist verschuldet, die Gewerbesteuereinnahmen steigen nicht, die Kureinnahmen reichen nicht. Mittlerweile hat Winterberg für die Unternehmer der Stadt eine Fremdenverkehrsabgabe eingeführt, um auch aus den vom Tourismus profitierenden Branchen – Lebensmitteleinzelhandel, Steuerberater und Architekten – einen finanziellen Rückfluss zu bekommen, um die touristische Infrastruktur aufrechtzuerhalten.

Eine Entscheidung, die bei einigen Betroffenen für Bauchschmerzen sorgt. „Es fehlt der effektive Lobbyismus, die Bedeutung des Wirtschaftsfaktors Tourismus für Städte, Gemeinden und Regionen und die dort lebenden Menschen klarzumachen“, umreißt Udo Schröder, Bereichsleiter Auto- und Städtereisen beim Reiseveranstalter DER Touristik das wahrscheinlich größte Problem der Reisewirtschaft in Deutschland. Eine Branche wird nicht wahrgenommen – nicht nur von der Politik. Doch gerade hier sprechen 14 Zeilen auf 185 Seiten Koalitionsvertrag eine deutliche Sprache.