Breslau. Breslau ist bei Theater-, Klassik-, Jazz- und Opernfans höchst beliebt. 2016 wird die Auswahl noch größer: Breslau ist Europäische Kulturhauptstadt.

Breslau wird 2016 neben dem baskischen San Sebastian Europäische Kulturhauptstadt. Zu sehen gibt es in der schlesischen Metropole dann noch mehr als sonst, und schon das ist mehr als genug. Besucher der Stadt können nur einen kleinen Teil davon schaffen. Acht Programmtipps voller Kontraste.

Der Markt: Der Marktplatz von Breslau gilt als einer der schönsten in ganz Polen. Gleich hinter dem in Krakau ist er auch der größte und immer noch das Herz der Stadt, die heute Wroclaw heißt und 2016 Europäische Kulturhauptstadt wird. Auf und rund um den Rynek wird dann noch einiges mehr los sein als sowieso schon. Der Marktplatz hat die höchste Dichte an Restaurants, Cafés, Bars und Clubs der Stadt. Und er lebt. Hier treffen sich jeden Tag Touristen und Breslauer, am Wochenende sind es abends Tausende, so als gäbe es ein ungeschriebenes Gesetz, das verbietet, dann zu Hause zu bleiben.

Dass an jeder Ecke des Platzes eine Band spielt, ist nichts Besonderes, und dass zu später Stunde zu Beatles-Songs getanzt wird, auch nicht. Im Kulturhauptstadtjahr wird der Marktplatz immer wieder zur Bühne. Auch gleich zum Auftakt am 17. Januar bei einer Performance unter der Regie des britischen Künstlers Chris Baldwin. Dabei ziehen überdimensionale Figuren, die Geister der Religionen, der Innovation, des Wiederaufbaus und des Hochwassers, zum Markt und bilden dort eine 14 Meter hohe Installation. Und bei einem weiteren ungewöhnlichen Event am 1. Mai sollen Tausende Gitarrenspieler "Hey Joe" von Jimi Hendrix zum Besten geben.

Mitten auf dem Marktplatz steht das Rathaus, eines der markantesten Gebäude der Stadt. Treppengiebel und roter Backstein, kleiner Balkon, gotische Fenster samt Blumenkästen, verspielte Türmchen und eine astronomische Uhr. Zahlreiche ansehnliche Häuser, teils mit geschwungenen Giebeln, rahmen den Platz ein. Fast alle waren im Krieg zerstört und wurden mit großem Aufwand von den neuen polnischen Einwohnern wieder aufgebaut. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs war Breslau deutsch. Danach gab es praktisch einen kompletten Austausch der Bevölkerung.

Dom-Insel ist ein touristisches Muss

Der Dom: An die Anfänge der Stadt vor gut 1000 Jahren erinnert die Dominsel, ein touristisches Muss. Man erreicht sie über die Dombrücke (Most Tumski), die hier über die Oder führt, nach der Weichsel der zweitgrößte Fluss Polens. Das Geländer ist voller Schlösser von Liebespaaren, die mit dieser Geste ihre unverbrüchliche Zuneigung beschwören wollen. An einem Brückenpfeiler zeigt ein historisches Foto, wie es hier im Sommer 1945 aussah: die Domkirche zerstört, die Straße voller Trümmerhaufen. Heute nimmt die Touristendichte spürbar zu, je mehr man sich dem Dom nähert. Ein Besuchermagnet.

Auf der Dominsel steht auch ein Denkmal für Boleslaw Kominek. Stadtpräsident Rafal Dutkiewicz nennt ihn voller Respekt den "vergessenen Vater der europäischen Integration". Im Kulturhauptstadtjahr will man an den aus Schlesien stammenden Kardinal erinnern, 1965 Verfasser des Hirtenbriefes der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder. "Wir vergeben und bitten um Vergebung" lautete eine Zeile darin, die Geschichte schrieb: Manche sagen, mit ihr fing die deutsch-polnische Versöhnung an. Das Zitat, auf Deutsch und Polnisch, ist vor dem Denkmal Komineks samt Friedenstaube auf dem Boden zu lesen.

Das Musikforum: Einer der neuen kulturellen Hotspots der Stadt ist das Musikforum. Dort ist jetzt das Philharmonieorchester zu Hause. Schon das Gebäude ist eindrucksvoll: Mit seiner ausladenden Fassade vor einem großen freien Platz überragt es die Nachbargebäude ebenso wie sämtliche Bäume der Umgebung. Noch ungewöhnlicher ist es von innen: Die Säle verteilen sich auf sieben Stockwerke - die untersten liegen 15 Meter unter der Erde. "Da sind keine Geräusche von außen zu hören, nicht einmal Vibrationen", sagt Andrzej Kosendiak, seit gut zehn Jahren Direktor der Philharmonie.

Der größte Saal mit absenkbarem Dach bietet Platz für 1800 Zuhörer. "Eine Akustik wie in einer Kathedrale", versichert Kosendiak. Das Musikforum - Kostenpunkt rund 100 Millionen Euro - hat bereits Anfang September eröffnet. Für die erste Saison sind rund 700 Konzerte und Veranstaltungen angekündigt. Die Wiener Philharmoniker sollen genauso kommen wie das London Symphony Orchestra. Die Auswahl ist also riesig. Führungen durch das Musikforum sind ebenfalls im Angebot.

Denkmal der gemeinsamen Erinnerung

Das Denkmal: Etwas abseits der Innenstadt liegt das Monumentum Memoriae Communis. Das "Denkmal der gemeinsamen Erinnerung" ist ein besonderer Ort. Bürgermeister Dutkiewicz hat den früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker hierher begleitet. Eine Wand aus Grabsteinen gibt es, die von verschwundenen deutschen Friedhöfen stammen - christlichen und jüdischen. Auf einem Gedenkstein steht auf Polnisch und Deutsch: "Zum Andenken an die früheren Einwohner unserer Stadt, die auf Friedhöfen beigesetzt wurden, die heute nicht mehr bestehen." Und auf einer Steinplatte sind die Namen der verschwundenen Friedhöfe genannt.

Das Depot: Dutkiewicz, der parteilose Stadtpräsident mit Wurzeln in der polnischen Bürgerbewegung, ist noch ein weiteres Thema wichtig: Die Geschichte des Widerstands gegen Unfreiheit und Unterdrückung im Kommunismus. Breslau war eine Hochburg der Gewerkschafts- und Oppositionsbewegung Solidarnosc. Während Lech Walesa und die von ihm mitorganisierten Streiks in Danzig in jedem Geschichtsbuch stehen, wird Breslaus Rolle oft vergessen.

In einem Straßenbahndepot außerhalb der Innenstadt, dort wo die Solidarnosc in Breslau entstanden ist, soll ein neuer Erinnerungsort mit 3000 Quadratmetern Ausstellungsfläche entstehen. Aber er soll sich nicht nur der Oppositionsbewegung widmen, sondern ein "Zentrum der Identität der Stadt Breslau" sein, sagt Dutkiewicz. Die Eröffnung ist für Sommer 2016 geplant.

Widerstand gegen kommunistische Einparteienherrschaft

Das Museum: Einige Ausstellungsstücke im Historischen Museum erinnern schon jetzt an den Widerstand gegen die kommunistische Einparteienherrschaft: Fotos aus der Zeit des Kriegsrechts Anfang der 1980er Jahre gehören dazu, eine Schreibmaschine, mit der illegale Flugblätter getippt wurden oder eine Solidarnosc-Fahne. Das Museum ist im ehemaligen Schloss untergebracht, in dem die preußischen Könige residierten, wenn sie in Schlesien waren. Friedrich der Große zum Beispiel oder Friedrich Wilhelm III., der während der Befreiungskriege gegen Napoleon ein Vierteljahr dort gewohnt und hier seinen "Aufruf an mein Volk" verfasst hat, mit dem er zum Kampf gegen den französischen Kaiser mobilisieren wollte. Seine Zimmer sind noch zu sehen, auch der Schreibtisch, an dem er gesessen hat.

Die Jahrhunderthalle: Zur Einweihung der Jahrhunderthalle 1913 reiste dagegen Kaiser Wilhelm II. an. Damals war sie der größte Betonbau der Welt, bot 10 000 Zuschauern Platz und galt als Beispiel dafür, was moderne Architektur möglich macht. Weil sowjetische Bomber sich gut an ihr orientieren konnten, wurde sie im Zweiten Weltkrieg nicht zerstört. Mittlerweile gehört sie zum Weltkulturerbe. 2016 gibt es dort eine Reihe von Veranstaltungen, nicht zuletzt eine Performance mit internationalen Künstlern, die im Dezember den offiziellen Schlusspunkt setzt.

Gerade am Wochenende kommen aber auch sonst viele Breslauer hierher. Um mit Blick auf die Wasserspiele am Beckenrand zu sitzen, ein Eis zu essen, zwischen der Pergola spazieren zu gehen oder abends zuzusehen, wenn die Fontänen zu Musik tanzen. Zu Fuß ist es nicht weit zum größten japanischen Garten Europas.

Der älteste und modernste Zoo Polens

Der Zoo: Ebenfalls in unmittelbarer Nähe liegt ein weiterer Besuchermagnet: der Zoo, der gerade 150 Jahre alt geworden ist. Es ist zugleich der älteste und der modernste Zoo Polens. "Und mit 1100 Arten die Nummer drei in Europa", sagt Zoodirektor Radoslaw Ratajszczak. Einige Eichen auf dem Gelände stammen noch aus der Zeit der Zoogründung 1865. Es gibt etliche Klassiker in den Gehegen: Pfauen und Rentiere, Braunbären und Luchse, Brüllaffen, die auf einer Hängebrücke hoch über den Köpfen der Besucher die Wege überqueren.

Ratajszczak hat dem Zoo ein ganz neues Konzept verpasst. Hauptattraktion ist heute das Afrikanum, das 2014 eröffnet hat. Das Gebäude ist zwölf Meter hoch und reicht noch sieben Meter in den Boden. Das größte Becken fasst sechs Millionen Liter Wasser - und an Scheiben wurde nirgendwo gespart. Das macht es möglich, Tiere aus ungewohnten Perspektiven zu beobachten - mit einem Panoramablick auf 1500 Fische 46 verschiedener Arten in einem Riff wie vor Ostafrika zum Beispiel. Oder auf Flügelrochen, die in einem Tunnel so dicht über den Köpfen der Besucher hinweggleiten, dass man ihren Bauch in allen Einzelheiten beobachten kann.

Den Flusspferden kann man aus ganz verschiedenen Blickwinkeln zugucken. Faszinierend ist auch, die mehr als 60 Pinguine zu verfolgen, wie sie pfeilschnell durchs Wasser zischen. Ganz anders als die Manatees, die Seekühe, die mit erstaunlicher Langsamkeit dahingleiten. Für Zoodirektor Ratajszczak ist das Treiben das ideale Kontrastprogramm zum Veranstaltungsreigen im Kulturhauptstadtjahr. (dpa)