Zadar. Der wilde Westen der Winnetou-Filme mit Pierre Brice liegt bekanntermaßen im ehemaligen Jugoslawien. Heute können Touristen durch den Norden Kroatiens auf den Spuren der berühmtesten aller Karl-May-Figuren wandeln. Nicht alles, aber einiges vom damals kann noch heute im Original besichtigt werden.
Seht ihr da oben das schwarze Loch?“, fragt Marin Marasović, der jede Felsnase im kroatischen Velebit-Gebirge kennt, und deutet auf einen fernen Krater. „Daneben ist die Gräberwiese, dort liegen Winnetous Vater und seine Schwester.“ Die Karl-May-Fans fixieren den kalkweißen Kinoberg Tulove Grede, der bei Winnetou „Nugget-Tsil“ heißt und stellvertretend für Steinformationen im Wilden Westen steht. Der bleiche Riese mit dem markant gezackten Profil misst 1120 Meter und war in mehreren Winnetou-Streifen der Star. Marasović streckt dem Trupp ein Beweisfoto hin – von Plastikhüllen geschützt füllt viel Bildmaterial ein dickes Winnetou-Ringbuch, das schon reichlich Sonne abgekriegt hat. Die brennt hier wie in Arizona.
Plötzlich hält der Fährtenleser inne. Es wird ernst. „Die Steinhäufchen, die ihr neben den kleinen Büschen erkennt, das sind die Gräber von Intschu-tschuna und Nscho-tschi.“ Die Gruppe wird bussardstill, kneift die Augen zusammen, bringt die Teleobjektive in Stellung. Angestrengt starrt alles auf die Felswand, Steine sind da viele. Sie sehen gnadenlos gleich aus. Später nach ein, zwei Glas Karlovacko, Kroatiens beliebtem Bier, geben die meisten zu, dass sie die Gräber inmitten der Makija, dem niederen Buschwerk, nicht wirklich ausmachen konnten. „Macht nichts“, sagt Marasović, „die sind sowieso nicht mehr original. Souvenirjäger stecken sie ein, und dann legen wir wieder neue hin“.
Filmposen fürs Fotoalbum
Bereits für die Jeeptour zu Winnetou – auf serpentinenreichen Schotterwegen – lohnt die Reise nach Zadar. Die Krönung ist die Kanufahrt durch den Zrmanja Canyon, im Film umfirmiert zum Rio Pecos: Wer die Umgebung ausblendet, glaubt sich in weiter Ferne. Die smaragdgrüne Schlucht könnte glatt in Australien sein. Auf dem Parizevacka Glavica-Plateau war jedoch Pierre Brice daheim. Fotografieren bitte: Diese exponierte Stelle hatten die Location-Scouts für Winnetous Indianer-Pueblo und die Blutsbrüderschaft mit Lex Barker alias Old Shatterhand auserkoren.
Vor 50 Jahren war das Winnetou-Land Kroatien, das sich ohne Glaubwürdigkeitsverlust als uramerikanisch verkaufen ließ, vor allem dem Kameraauge zugänglich. Jetzt kurven große Jungs und Squaws, die vielleicht im „Unter Geiern“-Jahr 1964 auf die Welt gekommen sind und die cineastische Spurensuche oft akribisch vorbereitet haben, unermüdlich durch Norddalmatien. Manche Karl-May-Fans bleiben Wochen, um rund um die vielfältigen Karstformen möglichst viele Drehorte abzuklappern. Einige stellen gar in Winnetou-Montur Filmposen nach fürs Fotoalbum.
Ex-Jugoslawien war übersät mit Winnetou-Sets. Allein der grandiose Canyon Velika Paklenica birgt zehn Filmschauplätze. Hier beobachtet Ralf Wolter die Utah-Krieger in „Der Schatz im Silbersee“, und es findet sich der Saloon des Goldgräberdorfes in „Unter Geiern“. Beglückend ist, zu sehen, dass die Berggipfel, die windumtosten Hochflächen und die Krka-Wasserfälle inmitten eines mehr als 100 Quadratkilometer großen, vor rund 30 Jahren zum Nationalpark erklärten Flussgebietes in ihrer Schönheit dem Filmbild nicht nachstehen. Bessere Reklame für die Gegend als mit Karl May geht nicht.
Originale Motelzimmer
Wo der Oberindianer die Nacht verbrachte, sieht man in Starigrad. Das Winnetou-Museum, 2009 im historischen Motel des Filmteams eröffnet, ist so liebevoll improvisiert, dass es das Herz bewegt. Amerikaner würden eine Landmarke niemals derart pur belassen, sondern reichlich darum herum inszenieren. In Starigrad aber bilden das Entree bloß zwei alte Filmscheinwerfer, wie zufällig zurückgelassen. Die Motelzimmer mit Waschbecken sind noch original, Besuchern schießt das Adrenalin durch den Körper: Hier wusch sich der Held deutscher Kinderzimmer den Staub der Sierra von der Brust. Gerade abgedreht wurde der neue ARD-Spielfilm „Winnetous Weiber“, der im Herbst auf den Bildschirm kommt.
Wer allerdings auf der „Winnetour“ im Nationalpark Paklenica vertikale Steine mit reliefartiger Zeichnung entdeckt, ist vom Indianerpfad abgekommen: Die historischen Totenraststeine, Mirila genannt, markieren die Stelle, an der Verstorbene auf dem Weg zur letzten Ruhestätte abgelegt wurden, um letztmals die Sonne zu grüßen. Bis in die 50er Jahre arrangierte man die Steine, die mehr verehrt wurden als das Grab selbst. Denn an den Rastplätzen ruht die Seele der geliebten Menschen. Was für berührende Totengedenkstätten – gar nicht so unähnlich denen unserer unvergesslichen Filmfiguren.