Am 1. April öffnet die Inka-Stadt Machu Picchu wieder ihre Pforten – eine faszinierende Rundreise zu alten Traditionen

Sie ist ein Farbtupfer im schroffen Hochland: Ihr kunstvoll mit bunten Vögeln und Blüten bestickter, runder Hut, die kleine Weste und die übereinander gezogenen Pollera-Faltenröcke erinnern noch an die alten Traditionen ihres Dorfes mitten in den rauen Chila-Kordilleren der Anden. Marlene Chicaña lächelt schüchtern, aber dennoch selbstbewusst. Jeden Morgen wandert die 35-Jährige – deren gegerbte Haut ein höheres Alter vermuten lässt – aus dem Andendorf Pinchollo hoch bis an die staubige Schotterpiste auf 3700 Metern Höhe und verkauft pink-blau gestreifte Decken und Alpaka-Wollschals an Touristen. „Ich habe das Weben unserer Cabana-Tracht noch von meiner Mutter gelernt”, erzählt die Bäuerin auf Quechua, einer Sprache der indigenen Bevölkerung des Andenlandes Peru. Sie stirbt langsam aus, sagt Marlene: „Meine Söhne haben Quechua schon verlernt, sprechen in der Schule nur Spanisch – und verstehen ihre eigene Großmutter nicht mehr.”

Hinter ihrem Rücken eine überwältigende Kulisse, die einem den Atem nimmt: einer der tiefsten Canyons der Welt, der Cañón del Colca. Doppelt so tief wie der Grand Canyon in Colorado. Die 100 Kilometer lange Schlucht im Süden Perus liegt zwischen zwei Vulkanen und gräbt sich bis zum weltbekannten „Cruz del Cóndor” rund 3400 Meter in die Tiefe, in ihrer Mitte der wilde Rio Colca. Ein Ort für spektakuläre Wanderungen durch Schluchten und über 5000er-Pässe, vorbei an grasenden Alpakas und Lamas. Aber erst nachdem sich die Wanderer zwei Tage an die Höhe gewöhnt haben. Ansonsten kann es zur Höhenkrankheit kommen, deren Symptome Kopfschmerzen, Herzrasen und Übelkeit sind.

Die nächste Anden-Generation wächst heran.
Die nächste Anden-Generation wächst heran. © Foto: sandra malt | Foto: sandra malt





Dann aber lassen sich die goldgelben Hänge des Canyons genießen. Sie sind mit über 6000 Hektar Terrassen und Wasserkanälen überzogen – ein Erbe der Colla-Kultur (1000-1500). Noch heute bauen Marlene und ihr Mann auf eben diesen Terrassen Bohnen und Mais an. Eine harte Arbeit. Erdrutsche während der letzten Jahrzehnte erschwerten zusätzlich den Anbau. Viele Familien verließen das fruchtbare „Tal der Wunder”. Doch noch immer leben rund 27 000 Menschen in den 19 Dörfern mit den winzigen Lehmhütten. Die Außensiedlungen in den Bergen sind nur mit Mulis zu erreichen. „Wanderkrankenschwestern besuchen sie regelmäßig, auch um Hilfe zu leisten, wenn die Frauen bei eisiger Kälte ihre Kinder auf die Welt bringen”, berichtet Reiseleiter – und Zahnarzt – Aldo Rodriguez. „Die Menschen sterben lieber bei ihren Familien als in unpersönlichen Krankenhäusern in der Stadt.”

Mit den Ingenieuren eines großen Bewässerungsprojekts kam in den 70ern langsam der Tourismus in eine der tiefsten Schluchten der Welt. Erst in den letzten 15 Jahren wurden Hotels gebaut. Und das, obwohl das Colca-Tal das Zuhause der „Könige der Anden” ist: Zwischen Maca und Cabanaconde leben 30 Andenkondore. Der Aussichtspunkt „Cruz del Cóndor” ist ein Muss für Peru-Besucher. Die größten fliegenden Vögel Amerikas – mit einer Flügelspannweite von drei Metern – gleiten frühmorgens mithilfe der thermischen Luftströme wie stolze Paraglider durch die Schlucht.




Im Colca-Tal verstreut liegen 14 Dörfer aus der spanischen Kolonialzeit, in denen es bemerkenswerte Beispiele von religiöser Baukunst gibt. Über 90 Prozent der 28 Millionen Einwohner Perus bekennen sich zum Katholizismus. Neben den Adobe-Lehmhäusern ragen Gotteshäuser wie die schneeweiße Franziskaner-Kirche von 1702 in Yanque heraus. Doch sie ist weit mehr als ein Gotteshaus: Jeden Morgen um halb sechs bekommen hier 450 Dorfbewohner eine deftige Gemüsesuppe – für viele Bauern immer noch die einzig richtige Mahlzeit am Tag. Schwester Antonia – stolze 86 Jahre alt – rief die Suppenküche vor 40 Jahren ins Leben, als die Armut noch viel größer war: „Die Campesinos im Hochland hatten nichts zu essen, sie froren und starben auf den Feldern”, erzählt die Schwester des Mary Knoll-Ordens. „Diese wundervollen Menschen akzeptierten uns, weil wir mit ihnen morgens aufs Feld gingen.” Mit Hilfe von Privatspenden entwickelte die Quechua sprechende Amerikanerin medizinische Programme und zeigte den Bauern, wie sie Gemüse selbst anbauen können. Und auch dem Tourismus kann die kleine, aber starke Frau mit den herzensguten Augen Positives abgewinnen: „Er hilft den Menschen, ein gesundes Leben führen zu können.”

Eine peruanische Stadt, die hauptsächlich vom Tourismus lebt, ist das vom Colca-Tal zehn Stunden entfernte Cusco auf 3430 Metern: Mit ihrer kolonialen Altstadt, den Inka-Stätten und der Tempelfestung Sacsayhuamán ist sie eine der faszinierendsten Städte Südamerikas. Als das Herz des Inka-Imperiums war Cusco um 1200-1500 der „Nabel der Welt” und so mächtig wie Rom. Dann bauten die spanischen Eroberer ihre Kolonialkirchen bedeutungsschwer auf die mächtigen Steinblöcke der Paläste indianischer Fürsten. Bestes Beispiel: die große Kathedrale mit ihrem Mischstil aus Renaissance und Barock am romantischen Plaza de Armas. Aber auch das Monasterio de Cusco gleich um die Ecke – ein Priesterseminar, in dem man Priester für Missionsaufgaben ausbildete – wurde 1595 auf den Ruinen eines Inka-Palastes errichtet. Heute ist in den Renaissance-Gemäuern ein elegantes Fünf-Sterne-Hotel untergebracht.

Ebenfalls luxuriös ist die Fahrt mit dem nostalgischen „Hiram Bingham”-Zug von Cusco aus in die „verlorene Stadt der Inkas” Machu Picchu. Die archäologische Stätte ist das Highlight für viele Südamerika-Reisende, ab 1. April ist sie nach starken Regenfällen wieder geöffnet. An mit Silber eingedeckten Tischen geht es auf der Schmalspur-Strecke von der Hochebene durch das Urubamba-Tal und tiefe Urwaldschluchten. Das Ziel ist ein Meisterwerk der Inka-Architektur, seit 1983 gehört Machu Picchu zum Unesco-Weltkulturerbe. Die Ruinenstätte, ein religiöses Zentrum, thront inmitten tropischer Nebelwälder unter dem Kegel des 2743 hohen Huayna Picchu. Trotz des Rummels – „In der Hochsaison kommen über 2500 Besucher”, weiß Reiseleiterin Vanessa Chavez – wirkt dieser magische Ort mit seinen Terrassen und dem „Sonnentempel” geheimnisvoll. Auch hier wartet eine Frau in ihren pinken Polleras am Straßenrand. Nur ihre Attraktion sind nicht Decken – das Lama an ihrer Seite verzieht den Mund von links nach rechts. „Gleich spuckt es uns an”, verrät Vanessa – und lacht.