Essen. Krakaus Altstadt gehört zu den schönsten mittelalterlichen Plätzen in Europa. Museen und das jüdische Viertel locken jährlich viele Urlauber an.

Eine Wand aus Wasserdampf trennt Krakaus Altstadt von der Unterwelt. Fast jeder Besucher weicht unwillkürlich vor ihr zurück, bevor er einen beherzten Schritt tut und im Mittelalter angekommen ist. Stimmengewirr, Kinderlachen und Weibergezänk machen die Illusion perfekt, obwohl man natürlich weiß, dass die Straßenszenen gefilmt, die Vitrinen hochmodern und das Dämmerlicht ausgeklügelt ist.

Mancher meint, das Mittelalter sogar erschnuppern zu können. Es riecht an einer Stelle eindeutig nach Pferdeäpfeln. Aber nein, soweit ist man nicht gegangen. Dieser spezielle Duft zieht durch die Lüftungsschächte vom Marktplatz nach unten. Genau von der Stelle, wo die Pferdedroschken auf dem Marktplatz auf Kundschaft warten.

Krakau ist älter als Polen selbst

Man wird keinen Krakauer treffen, der nicht stolz auf seine Stadt ist. Was wäre Polen ohne Krakau? Die Stadt an der Weichsel ist nicht nur älter als Polen selbst, sondern war auch fünf Jahrhunderte lang die Hauptstadt des Landes. Die Wawel-Kathedrale, die Altstadt und das jüdische Viertel im Bezirk Kazimierz stehen auf der ersten Liste des Unesco-Weltkulturerbes von 1978.

Alle Gassen innerhalb der Stadtmauern führen zum großzügig angelegten Marktplatz. Das Geviert von 210 mal 212 Metern gehört unbestritten zu den schönsten mittelalterlichen Plätzen Europas. Es hat genug Platz für viele Bürgerhäuser, das Rathaus, von dem heute nur noch der Turm erhalten ist, und mehrere Kirchen. Bei der Erneuerung des Straßenpflasters auf dem Platz nutzten Archäologen die Gelegenheit, das Erdreich darunter genauer zu untersuchen. Die Funde waren so zahlreich und interessant, dass sich die Ausgrabungen fünf Jahre hinzogen.

Alles, was man unter dem Marktplatz fand, präsentiert das 2010 eröffnete unterirdische Museum. Sein Eingang befindet sich in der 100 Meter langen Tuchhalle „Sukiennice“, eines der schönsten Gebäude am Markt. Im oberen Geschoss hat die Gemäldegalerie Polnischer Kunst ihre Ausstellungsräume. In die mittelalterliche Unterwelt geht es auf Stufen fünf Meter in die Tiefe. Faszinierend ist der Gedanke, dass jedes Ausstellungsstück auch an Ort und Stelle gefunden wurde. Unter dem nordöstlichen Teil des Marktes legte man einen Komplex von Wohnhütten mit angrenzenden Wirtschaftsgebäuden frei.

Erst mit diesem Fund konnte man sicher sagen, dass in Krakau schon im 12. Jahrhundert Häuser in dichten Reihen erbaut wurden. Die Bewohner hinterließen Gegenstände und Essensreste. Natürlich fand man auch Hopfenkörner. Zu Zeiten der Marktsiedlung in Krakau soll sich Herzog Leszek Bialy aus der Teilnahme am Kreuzzug mit der Begründung herausgeredet haben, dass es im Heiligen Land an Bier mangele, ohne das er sich sein Leben nicht vorstellen könne.

Doch ging es nicht nur ums Bierbrauen. Gefunden wurden Produktionsstätten für die Holzverarbeitung oder das Töpfer-, Schmiede- und Gießhandwerk. In Vitrinen sind Überschuhe aus Holz, Pinzetten und sogar Stäbchen zum Reinigen der Ohren zu sehen. Münzen, Gewichte und Waagen aller Art belegen, dass schon vor Existenz des Marktplatzes eifrig Handel getrieben wurde.

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Unter den Häuserbalken fand man die Spuren eines alten magischen Brauchs: Um dem neuen Hausbesitzer Glück und Schutz vor bösen Geistern zu bescheren, wurde ein Topf mit Essen zwischen die untersten Balken geschoben. Dieses Bauopfer half allerdings nicht, als 1241 die gesamte Siedlung abbrannte. Im Museum ist diese historische Szene täuschend echt nachgestellt. Die Flammen schlagen hoch, das brennende Holz knistert, und den Besuchern wird heiß. Die in der verbrannten Erde gefundenen Pfeilspitzen ordneten die Archäologen den Mongolen zu, die in diesem Jahr Polen angegriffen und auch Krakau nicht verschont hatten. Das gesamte Gebiet ist 1257 eingeebnet und zu einem Marktplatz nach Magdeburger Recht erklärt worden.

Schließlich geht es wieder hinauf auf den trubeligen Marktplatz, auf dem wie vor Hunderten von Jahren an zahlreichen Ständen frische Blumen verkauft werden. Es scheint so, dass sich zu fast jeder Tageszeit ganz Krakau dort verabredet, um gemeinsam ein gepflegtes Bier zu trinken, einen der legendären Jazzkeller zu besuchen, durch die Geschäfte zu bummeln oder einfach nur über den Marktplatz zu schlendern.