Berlin. .
Schnupfen und laufende Nase, dass daran Käse oder Schinken Schuld sein können, denken die wenigsten. Dabei ist die sogenannte Histamin-Intoleranz gar nicht so selten. Das Problem: Die Diagnose ist kompliziert.
Ein paar Scheiben roher Schinken, reifer Käse, frische Erdbeeren und dazu ein Glas Wein - was nach einer leckeren und gesunden Mahlzeit aussieht, ist für viele Menschen unverträglich. Diese Lebensmittel haben eines gemeinsam - sie enthalten viel Histamin. Dieses biogene Amin, das an den normalen Körperfunktionen beteiligt ist, wird ab einer bestimmten Menge in der Nahrung nicht von allen Menschen vertragen. Knapp ein Prozent der europäischen Bevölkerung leidet nach Angaben des Deutschen Allergie- und Asthma-Bundes (DAAB) an einer Histamin-Intoleranz.
Diagnose oft langwierig
Die Überempfindlichkeit ist schwer zu diagnostizieren. Bis Ärzte erkennen, woran der Patient wirklich leidet, vergeht oft viel Zeit. Auch bei dem 44-jährigen Sven Pilch aus dem thüringischen Stadtilm hat es viele Jahre gedauert, ehe ein Allergologe seine ständig laufende Nase mit seinem Lieblingskäse in Verbindung gebracht hat. „Zunächst waren die Ärzte genauso ratlos wie ich“, erinnert sich der Jurist. Auch Laboruntersuchungen brachten keine Aufklärung. Erst der Allergieexperte konnte mit einem sogenannten Provokationstest nachweisen, dass der Familienvater das mit Lebensmitteln aufgenommene Histamin in seinem Körper schlecht abbauen kann. Histamin entsteht in bakteriell fermentierten Lebensmitteln wie Rotwein, gereiftem Käse, geräuchertem Fleisch, Sauerkraut und Tomatenkonzentrat. Den Betroffenen mangelt es an dem Enzym Diaminoxidase (DAO), das das Histamin im Körper abbaut.
„Histamin-Intoleranz ist keine Allergie, sondern eine Abbaustörung“, sagt die Oecotrophologin Sonja Lämmel vom DAAB. „Sie sieht häufig genauso aus wie eine Allergie und wird zum Teil auch so behandelt.“ Die Diagnose wird dadurch erschwert, dass diese Unverträglichkeit oft Folge oder Begleiter anderer Unverträglichkeiten oder Allergien ist. Hinzu kommt, dass die Beschwerden aus noch nicht geklärten Gründen äußerst vielfältig sein können. Die Symptome reichen von Hautrötungen, Ekzemen, Juckreiz und Kopfschmerzen über Atembeschwerden und Halsschmerzen bis hin zu Blähungen, Durchfall und Übelkeit. Auch für Herzrasen, Wassereinlagerungen, Erschöpfungszustände und Schlafstörungen wird die Histamin-Intoleranz verantwortlich gemacht.
„Typisch sind rote Flecken im Gesicht vom Alkohol“, sagt die Ernährungswissenschaftlerin Lämmel. Verdauungsstörungen sind nach den Worten des Lübecker Naturheilpraktikers Heiko Bornemann die mit Abstand häufigsten Beschwerden bei Histamin-Intoleranz.
Beschwerden entwickeln sich schleichend
Die Breite der Symptome verleitet oft zu einem falschen Verdacht. „Die Krankheit wurde in den vergangenen Jahren in Internetforen regelrecht aufgepuscht“, sagt Lämmel. 50 Prozent der Verdachtsdiagnosen sind falsch, da die Beschwerden auch andere Ursachen haben können. Für eine kurzzeitige Histamin-Unverträglichkeit kann auch eine Darmkrankheit verantwortlich sein. Das Enzym DAO kommt in der Dünndarmschleimhaut vor. Diagnostische Klarheit bringt der Provokationstest. nach einer histaminarmen Diät von circa 14 Tagen. Der Nachweis der Unverträglichkeit ist erbracht, wenn sich die Beschwerden während der Diät und nach der Provokation wieder verschlechtern.
Die Symptome entwickeln sich nach Angaben des Heilpraktikers Bornemann schleichend. Die meisten Betroffenen verspüren im jungen Erwachsenenalter die ersten Beschwerden. In der Familie von Sven Pilch hat niemand sonst diese Unverträglichkeit. Sie wird nicht vererbt, sondern erworben. Frauen sind mit 80 Prozent überproportional betroffen. Das deutet nach den Worten Lämmels darauf hin, dass Hormone bei der Unverträglichkeit eine Rolle spielen. „Dafür spricht auch die Tatsache, dass das Histamin abbauende Enzym in der Schwangerschaft auf die 300fache Konzentration ansteigt.“
Die Ernährungswissenschaftlerin warnt strikt vor einer Selbstbehandlung. „Wenn man auf eigene Faust eine Diät festlegt, kann es zu weiteren gesundheitlichen Problemen und zu einer Mangelernährung führen.“ Besser ist es, beim Deutschen Allergie- und Asthmabund die Adresse des nächstgelegenen zertifizierten Allergiezentrums und eine Liste von bundesweit 550 zertifizierten Ernährungsfachkräften zu erfragen. „Viele Lebensmittel, darunter Obst und Gemüse, werden im Internet fälschlicherweise als schädlich aufgeführt“, kritisiert Sonja Lämmel. Bislang steht hundertprozentig fest, dass Alkohol, sehr reifer Käse, Sauerkraut, Tomatenmark, Fischkonserven, roher Schinken, reife Wurst sowie Erdbeeren sehr viel Histamin enthalten oder als Verstärker wirken und deshalb unverträglich sein können. (dapd)