Berlin. Die Interessenten bei einer Wohnungsbesichtigung stehen vielerorts bis an den Gehsteig. Schon Normalverdiener müssen in Großstädten lange nach bezahlbaren Wohnungen suchen. Für Ärmere bleibt kaum noch Platz.
Die Krankenschwester geht jeden Tag zur Arbeit und verdient nicht einmal schlecht. In München, Hamburg oder Frankfurt findet sie häufig trotzdem keine bezahlbare Wohnung. Genau wie die Rentnerin und der Handwerker. Für Normalverdiener werde es immer enger in den deutschen Großstädten, warnt die Wohnungswirtschaft. So eng, dass sozialer Wohnungsbau längst nicht mehr nur etwas für Ärmere ist. Doch wo Normalverdiener in den günstigsten Wohnungen leben, bleibt für richtig Arme erst recht kein Platz.
"Sie können nicht mehr so bauen, dass sich die Menschen eine Neubauwohnung leisten können", beklagt der Präsident des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, Axel Gedaschko. Neue Wohnungen entstehen seit Jahren vor allem im Luxussegment. Neubau mit mittleren und niedrigen Mieten für die Krankenschwester oder den Rentner lohnten sich nicht mehr, seit die Baukosten der Inflation davongerannt seien, begründet Gedaschko.
Sozialwohnungen werden knapp
Jetzt werden dort, wo mittlere Mieten selten sind, auch noch die Sozialwohnungen knapp. Von den im Jahr 2002 noch 2,5 Millionen Wohnungen mit gedeckelten Mieten ist ein Jahrzehnt später fast eine Million verschwunden. Die Preisbindung des sozialen Wohnungsbaus aus der Nachkriegszeit läuft aus. Dabei könnte Deutschland einer Pestel-Studie zufolge eigentlich vier Millionen Sozialwohnungen gebrauchen. Allein um den Status quo zu halten, müssten jährlich zwischen 60 000 und 100 000 solcher Wohnungen entstehen.
Doch der Neubau von Wohnungen mit Preisbindung kostete den Staat nur unnötig Geld, meint Phong Thao Trinh vom Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen. "Wir brauchen weniger Sozialwohnungen als normale Wohnungen." Dafür müssten die Kommunen ihre Grundstücke allerdings günstiger abgegeben.
Werbung für das Lübecker Modell
Die staatliche Förderung reiche für den Neubau von Sozialwohnungen einfach nicht aus, sagt auch GdW-Hauptgeschäftsführerin Ingeborg Esser. "Aber es muss ja nicht immer Neubau sein." Esser wirbt für das Lübecker Modell, bei dem Unternehmen dafür gefördert werden, dass sie normale Wohnungen bauen - und im Gegenzug in ihrem Bestand andere Wohnungen besonders günstig anbieten. Sozialen Wohnungsbau könne es auch in sanierten Wohnungen aus den 1960er Jahren geben, sagt Gedaschko. "Das heißt nicht, dass da die Leitungen auf Putz liegen."
Die Förderung von Wohnungen im mittleren Mietensegment würde gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, meint die Wohnungswirtschaft. "Dann suchen Menschen am obere Ende des unteren Einkommenssegments nicht mehr in den günstigsten Beständen und machen solche Wohnungen frei." Mehr Förderung für Neubau im mittleren Preissegment entlaste automatisch den Wohnungsmarkt für Arme.
Skepsis beim Deutschen Mieterbund
Mietervertreter jedoch sind skeptisch: Wenn ein Unternehmen günstiger bauen könne, heiße das nicht, dass es auch günstige Mieten verlange, gibt Ulrich Ropertz vom Deutschen Mieterbund zu bedenken. "Ich bin skeptisch, ob Unternehmen es auf den Markt weitergeben würden, wenn es gelänge, die Baupreise um zehn Prozent zu reduzieren."
Wie sorgt man außerdem dafür, dass die freiwerdende günstige Wohnung auch so preiswert bleibt? "Das geht nur, wenn man den unbegrenzten Anstieg der Wiedervermietungs-Mieten bremst", sagt Ropertz. Andernfalls gäben Leute ihre günstigen Wohnungen für solche im mittleren Preissegment auf - und die Bedürftigen könnten die freiwerdenden Wohnungen trotzdem nicht bezahlen. Gegen Mietpreisbremsen aber sträuben sich die Wohnungsunternehmen vehement. (dpa)