Rhodos/Frankfurt. Der Hasenkopf-Kugelfisch kommt eigentlich aus den Tropen. Doch über den Suez-Kanal ist der giftige Fisch inzwischen bis ins Mittelmeer vorgedrungen.
Was für ein toller Fisch, denkt sich ein angelnder Tourist an der Mittelmeerküste. Silbern glänzt der Rücken, gesprenkelt mit schwarzen Punkten. Weißer Bauch. Ab auf den Grill mit dem Fang. Es folgt eine tödliche Mahlzeit, denn der tropische Kugelfisch Lagocephalus sceleratus ist hochgiftig. Die Szene ist Fiktion - aber eine, die auf Wirklichkeit beruht. Denn im östlichen Mittelmeer haben sich schon Menschen mit dem lebensbedrohlichen Fisch vergiftet. Inzwischen hat er es bis nach Italien und Spanien geschafft.
"Der fühlt sich da ja sehr wohl. Und er ist eine Gefahr", sagt der Toxikologe Dietrich Mebs, der früher am Universitätsklinikum Frankfurt lehrte. Er ist Fachmann für Fischgifte und hat das Buch "Gifte im Riff" geschrieben. Andere Experten nennen den L. sceleratus - zu Deutsch Hasenkopf-Kugelfisch - den "schlimmsten fremdartigen Fisch" im Mittelmeer. Erst vor wenigen Jahren war er aus dem Roten Meer über den Suez-Kanal ins Mediterrane geschwommen. Schnell breitete er sich im östlichen Mittelmeer aus. Forscher sprechen von Invasion - und wegen der Folgen von einer Pest.
Fisch ist in der Bevölkerung unbekannt
Jetzt steige die Zahl der Exemplare auch im Westen, sagt Maria Corsini-Foka. Sie ist Meeresbiologin am Griechischen Zentrum für Meeresforschung auf Rhodos, an dessen Küste der Kugelfisch recht häufig ist. Aber inzwischen taucht er sogar in den Gewässern bei Spanien auf. Vor sechs Jahren ging dort vor Katalonien der erste ins Netz, bis 2013 fünf weitere - und im vergangenen Jahr allein waren es nach Angaben der Behörden schon zehn. Aus Malta, Italien und Algerien gibt es ebenfalls Meldungen.
Dennoch: Toxikologe Mebs fürchtet, dass der Fisch in der Bevölkerung nicht bekannt genug ist. Ans Mittelmeer reisen jedes Jahr unzählige Touristen. Und das Gift des Kugelfisches - das Tetrodotoxin - gehört zu den tödlichsten Nervengiften, die derzeit bekannt sind. Alle Kugelfische tragen es in sich, es komme aber auch in Landtieren vor, sagt Mebs. Wer den Hasenkopf-Kugelfisch isst, vergiftet sich.
Berichte von Vergiftungen gab es zunächst in der Türkei, wo der Kugelfisch 2003 vor Akyaka zum ersten Mal im Mittelmeer entdeckt worden war. Auf einem Markt hatten unbedarfte Fischer den Fisch verkauft. Auch in Israel gab es einen dokumentierten Fall: Ein Hobbyfischer konnte gerade noch gerettet werden.
Lähmung befällt das Nervensystem
Die Lähmung befalle das äußere Nervensystem, gehe also nicht vom Gehirn aus, erklärt Mebs. "Das heißt: Ich kriege das bei vollem Bewusstsein mit." Zuerst verschwindet das Gefühl unter anderem in den Fingerspitzen. Dann greift die Lähmung um sich. Sobald sie die Atemmuskulatur erreicht, besteht akute Lebensgefahr. Einzige Rettung: künstliche Beatmung.
Türkische, griechische und zypriotische Behörden verboten den Fang und Verkauf von Kugelfischen. Auch in Deutschland ist er illegal. In Japan dagegen werden verschiedene Kugelfischarten - meist von spezialisierten Köchen zubereitet - als Delikatesse verzehrt.
Die professionellen Fischer in Spanien sind noch entspannt. Sie sehen im Hasenkopf-Kugelfisch keine Gefahr. Schließlich ist er mit seinem großen, in die Länge gezogenen Kopf leicht zu erkennen - auch weil er keine Schuppen trägt, sondern kleine Stacheln an Kopf und Rücken.
Zerfetzte Netze
An den östlich gelegenen Küsten dagegen leiden einige Fischer. Nicht nur weil der L. sceleratus, der mehr als einen Meter lang werden kann, ihnen die Tintenfische wegfrisst und als unverkäuflicher Fang Platz im Netz wegnimmt. Sondern weil er auch Netze zerfetzt. Das Tier hat sehr kräftige Zähne - vier Zahnplatten, um genau zu sein. Der Jäger zertrümmert damit die Schalen von Muscheln oder Krustentieren. Angelhaken aus Metall durchzubeißen, ist für ihn kein Problem.
Das weckt menschliche Ängste - vor durchgebissenen Fingern oder Zehen. Dass allerdings Urlauber etwa in Spanien beim Baden im Mittelmeer einem Kugelfisch begegnen, ist nicht zu befürchten. Die Tiere leben nach Angaben von Experten zwischen 10 und 100 Meter unter der Wasseroberfläche, zuweilen auch noch tiefer.
Lage nicht dramatisieren
Auch deshalb warnt Timo Moritz vor einer Dramatisierung. Der wissenschaftliche Leiter des Deutschen Meeresmuseums in Stralsund hält die öffentlichen Reaktion auf den L. sceleratus im Mittelmeer für aufgebauscht. Von den rund 750 Fischarten im Mittelmeer sind ihm zufolge bis zu 150 eingewandert, ein Großteil aus dem Roten Meer.
Der L. sceleratus ist nicht die einzige Kugelfisch-Art im Mittelmeer - und auch nicht die einzige giftige. Tiere, die der Mensch nicht direkt nutzen könne, prinzipiell als Schädlinge darzustellen ist Moritz' Ansicht nach ebenso fragwürdig wie ihre Nahrung in wirtschaftlichen Schaden umzurechnen.
"Und sehr große Exemplare könnten vielleicht auch mal einen Finger durchbeißen, aber den müsste man dem Tier wohl vorher in den Mund stecken", sagt Moritz. Der L. sceleratus ist, anders als seine Artverwandten, ein guter Schwimmer: Er blase deshalb seinen Bauch nicht so häufig auf, und der Ballon werde nicht so rund wie bei anderen Kugelfisch-Arten, die man aus Aquarien kennt. Und wenn er sich bedroht fühlt? Dann, sagt Moritz, versucht er erstmal abzuhauen. (dpa)