Afrika wie es sein sollte - vielleicht ist das eine passende Beschreibung für den Staat Malawi im Südosten des Kontinents. Denn dort herrscht Frieden und Demokratie, die Einwohner leben zwar einfach aber zufrieden. Der Tourismus in der ehemaligen Kolonie ist noch in der Entwicklungsphase.
Ein zierliches, schlankes Gesicht mit wachen Augen und einem schüchternen Lächeln. Um die Hüften ein knallig grün-schwarzes Chitenga-Tuch gewickelt. Doch Catherine Banda ist gar nicht zurückhaltend, wenn es um ihre Arbeit geht: Die junge Bäuerin spuckt in die Hände, greift sich den langen braunen Holzstab, stampft kräftig in den Krug und beginnt leise ein Erntelied vor sich hin zu summen. „Die Hirse muss ordentlich zermahlen werden – das kann schon mal einen halben Tag dauern“, sagt die tatkräftige Frau.
Catherine lebt in dem 1850 Seelen-Dorf Sekera nahe des privaten Majete Wildschutzreservates im Südwesten Malawis. Ockerfarbene Lehmhütten mit Strohdächern, Hühnerställe auf Stelzen, ein paar magere Kühe hinter Holzzäunen. Keine Elektrizität, das Wasser kommt aus einem Dorfbrunnen. Wäsche weht im heißen Wind, Maismehl trocknet auf Schilfmatten vor den Hütten. Alte Herren sitzen auf dem Lehmboden und spielen Bawo, bei dem traditionellen Brettspiel werden Bohnen als Spielsteine benutzt. Hunderte Kinder schwirren um uns herum, während wir durchs Dorf laufen. Sie freuen sich höllisch über jedes Foto, das wir von ihnen machen. Das Lachen und die offene, direkte Freundlichkeit der Dorfbewohner berühren mich zutiefst – nicht zu unrecht bezeichnet sich das Land als „warm heart of Africa“: das warme Herz Afrikas.
Wie die "Schweiz ohne Schnee"
Sekera ist eins der Dörfer in dem ostafrikanischen Land, in dem die Bevölkerung in den letzten Jahren rapide wuchs. In ganz Malawi stieg die Einwohnerzahl von drei Millionen (1967) auf heute knapp 16 Millionen an – gleichzeitig sank die Kindersterblichkeit um einiges dank der effektiveren Bekämpfung von Krankheiten wie Malaria und einer besseren Ernährung. Und so ist das übersichtliche und sichere Malawi eines der dicht besiedeltsten Länder Afrikas. Die Menschen leben zu 80 Prozent von der Landwirtschaft, bauen Tabak, Tee, Rohrzucker und Mais an. Kinder stellen für viele die Altersvorsorge dar. Die 37-jährige Catherine hat fünf Kinder, die täglich auf dem Feld mitanpacken.
Der Tourismus entwickelt sich noch behutsam im Lande: Die demokratische Regierung und internationale Investoren setzen auf kleine, feine Lodges an den schönsten Flecken. Und Malawi ist gesegnet mit Natur- und Tierreichtum: Bergplateaus mit Wasserfällen, Savannen und Flusslandschaften mit Elefantenherden und Rudeln von Nilpferden – und karibisch anmutende Inseln inmitten des Malawisees, dem drittgrößten See Afrikas mit einer außergewöhnlichen Vielfalt an Süßwasserfischen. Also weit mehr als nur Safari. Erhaltung durch Tourismus ist auch hier die Devise.
In der hübschen Kolonialstadt Blantyre im Hochland des Shire-Flusses treffen wir den Historiker Desmond Phiri. Der 83-jährige Malawier ist Wirtschaftsanalytiker. Eine ehrwürdige Erscheinung. Der kleine, adrette Herr im schicken Anzug, mit Krawatte und grauem Filzhut hat Malawi – die „Schweiz ohne Schnee“ wie er sie nennt – die letzten 50 Jahre seit der Unabhängigkeit von den britischen Kolonialherren genau beobachtet.
Tee pflücken für zwei Dollar pro Tag
„Unsere Bildungssituation hat sich verbessert, über 61 Prozent können nun lesen und schreiben, Tausende gehen studieren.“ Doch die Abhängigkeit von ausländischer Unterstützung, auch die von den Briten, sei nach wie vor groß, ebenso die Armut gerade auf dem Lande, sagt er bedächtig und schiebt seine überdimensionale Sonnenbrille auf der Nase zurecht. Mitte der 60er reiste „town boy“ Desmond regelmäßig ins rheinische Bonn, um Investoren für den Tabak- und Teeanbau ins Land zu holen. Seit jeher die größten Exportgüter Malawis.
Bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts werden im Shire-Hochland nahe der Stadt Thyolo, unterhalb des Mount Mulanje, dem mächtigsten Gipfel Zentralafrikas, die dickblättrigen Teepflanzen angebaut. Knallgrün glänzende Hügel mit vereinzelten tischähnlichen Drachenbäumen ziehen sich meilenweit über die Satemwa Teeplantage. Überall in den Feldern stehen Pflücker mit riesigen Körben auf dem Rücken und zupfen die brauchbaren Blätter von den Pflanzen. Eine harte Arbeit, für zwei Dollar pro Tag. Hinter ihnen tropische Mahagoniwälder – keine Stunde von der trockenen Savannenlandschaft des Majete Reservats entfernt. Landschaftlich überwältigend. Robert Cathcart-Kay ist einer der ganz großen Plantagenbesitzer im Lande. Der 84-Jährige ist zwar im warmen Herzen Afrikas geboren, aber seine Vorfahren stammen aus dem kalten Schottland. Stolz erzählt der Herr mit dem schütteren weißen Haar uns von seinem Familienbesitz – und wie die teeverrückten Schotten in den „old days“ Malawi zu ihrer Heimat machten. So kam auch der Missionar David Livingstone von der britischen Insel und entdeckte das Land – zu Fuß – während seiner Expeditionen 1859.
Afrikanische Nachbarschaftshilfe
Erinnerungen an die Kolonialzeit lassen Robert redselig werden. Seine schwedische Schwiegertochter Anette hat das alte Familienanwesen von 1935, ein hübscher mit Palmen eingefasster Kolonialbau mit riesigem Garten, zum Gästehaus umfunktioniert. Neben Teeproben bietet sie Besuchern Vogelsafaris und Radtouren durch die Plantagen. „Huntingdon House hat mein Vater noch mit seinen eigenen Händen gebaut“, sagt Robert. Dann beginnt er wieder von den alten Kolonialherren zu sprechen – und wie sie damals die afrikanischen Länder unter sich aufgeteilt haben. „Geschichte ist ein vernachlässigtes Fach in den Schulen hier“, sagt er und würde am liebsten selbst den Unterricht geben.
Für Catherine und ihren fünfköpfigen Nachwuchs zählen andere Dinge: das Ernten der Hirse. „Oft reicht unsere Ernte nicht aus, damit alle satt werden.“ Dann hilft sie den Nachbarn auf dem Maisfeld und bekommt im Gegenzug Nahrungsmittel – afrikanische Nachbarschaftshilfe. Ein hartes Leben, doch Catherine beteuert glücklich zu sein – und da kommt es wieder, dieses ehrliche malawische Lächeln.