Illinois/Kalifornien. Sie ist eine Legende. Keine andere Straße löst so viele Emotionen aus. Route 66, das klingt für viele nach Freiheit und Abenteuer.

Sie ist eine Legende. Keine andere Straße löst so viele Emotionen aus. Route 66, das klingt nach Freiheit und Abenteuer. Und doch verschwand die Mutter aller Straßen 1985 von der offiziellen Liste der ­US-Highways. Parallel verlaufende Straßen lenkten den Verkehr vorbei. Orte starben aus, wurden von der Landkarte gewischt.

Dass der Mythos weiterlebt, ist dem Kampf einiger ­weniger zu verdanken. Einer von ­ihnen ist Angel Delgadillo aus Seligman. Nachdem der Interstate Highway 40 im Jahr 1978 fertiggestellt war, wurde Seligman wie viele andere Orte an der Route 66 über Nacht vom Durchgangsverkehr der Ost-West-Verbindung abgeschnitten. Seligman wurde zur Geisterstadt. „Die Regierung hatte uns einfach vergessen“, sagt Delgadillo. „Ich konnte nicht ­akzeptieren, dass meine Heimat ­zunehmend verfiel.“ Der 88-Jährige gründete den Route-66-Fanklub, schrieb Protestbriefe an die Regierung, machte seinem Ärger in Interviews Luft. Verbissen kämpfte er dafür, dass die Route 66 als „State Historic Route“ vom Bundesstaat Arizona anerkannt wird, bis er 1987 tatsächlich Erfolg hatte. Heute nennt sich Seligman selbst die „Geburtsstätte der historischen Route 66“.

Perfekter Ritt auf der Nostalgiewelle

Mittlerweile ist Delgadillos Friseursalon Anziehungspunkt für Touristen aus aller Welt. Sie kommen für ein Selfie mit dem „Father of the Mother Road“. Der Kämpfer für die Route 66 ist selbst zur Legende geworden. GDie Hand des Alten hält die Klinge immer noch ohne ein Zittern. anz nebenbei animierte er John Lasseter zu dessen Oskar-nominiertem Animationsfilm „Cars“. Der ehemalige Friseur hatte dem Filmemacher erzählt, wie es war, als Seligman vom Verkehr abgeschnitten wurde. Entlang der historischen Strecke prangen deshalb auch Malereien der Auto-Helden an Wänden. Überhaupt bietet Seligman viele Fotomotive: verrostete Chevrolets, ausgediente Zapfsäulen, Leuchtreklamen oder überdimensionierte Sternenbanner machen den Ritt auf der Nostalgiewelle perfekt.

Von Seligman führt eines der besterhaltenen und besonders malerischen Teilstücke der alten Straße durch Kingman und über den Sitgreaves-Pass weiter nach Oatman, einer ehemaligen Goldgräberstadt, deren Hauptattraktion die wilden Esel sind. Sie stammen von den Lasteneseln ab, einst von ihren Besitzern freigelassen, nachdem sie ausgedient hatten. Überall in der Stadt werden Karotten und anderes Futter verkauft. Gelegentlich kommt es zu Schießereien in Wild-West-Manier und zu Postkutschenüberfällen. Fingiert natürlich. Man will den Touristen etwas bieten für ihr Geld.

Entlang der historischen Route 66 sind noch ganz andere Zeitsprünge möglich. Im Osten befindet sich der Petrified-Forest-Nationalpark. Das Pfeifen des Windes ersetzt in diesem kargen Land das Vogelgezwitscher. In dem Gebiet liegen ausgedehnte Fundstätten von versteinertem Holz aus dem späten Trias. „Vor etwa 215 Millionen Jahren befand sich hier ein von vielen Flüssen durchzogenes Schwemmland“, sagt Ranger Bill Parker. Araukarien, Baumfarne und ­Nadelhölzer bildeten die Vegetation. Umstürzende Bäume versanken immer tiefer im Schlamm, luftdicht ­abgeschlossen versteinerten sie. „Krokodilartige Reptilien, Riesenamphibien, auch kleinere Dinosaurier lebten in diesem Land“, sagt er. Zeugnis davon geben viele Funde von Fossilien.

Schrottreif, aber schön

In Holbrook kurzer Fotostopp am Wigwam-Motel, wo Kitschverliebte in winzigen Hütten, die wie Tipis aussehen, übernachten können. Davor parken die schönsten Old­timer, mehr oder weniger schrottreif, in jedem Fall fotogen. Auf dem Weg stimmen sich die Reisenden mit dem Song „Take It Easy“, gesungen von den Eagles, auf Winslow ein. In einer Strophe heißt es: „Well, I’m a standing on a corner in Winslow, Arizona and such a fine sight to see. It’s a girl, my Lord, in a flatbed Ford slowin’ down to take a look at me.“ Die Einwohner der 10 000-Seelen-Gemeinde haben ­daraus eine Touristenattraktion ­gemacht. Zahlreiche Menschen ­machen hier Halt, um sich mit dem lebensgroßen Bronzemann mit ­Gitarre an der Straßenecke und einem parkenden Ford ablichten zu lassen. Ein Abstecher in das Old Trails Museum zeigt Artefakte aus vergangenen Zeiten, von der Route 66, den Indianern und den ersten Siedlern sowie Fred Harvey und den Harvey Girls. Die Harvey Company hatte ein Hotel- und Restaurantimperium an der Bahnstrecke aufgebaut. Seine Kellnerinnen trugen schwarz-weiße Uniform, hatten zwischen 18 und 30 Jahre alt zu sein, gebildet und höflich.

Peggy Nelson hat die 30 zwar schon überschritten, in ihrer Harvey-Girl-Uniform lässt sie die Geschichte auf einer Tour durch das La Posada Hotel aber lebendig werden. „In dem Mythos, der rund um die Harvey-Häuser wuchs, heißt es, sie hätten den amerikanischen Südwesten zivilisiert“, sagt sie und demonstriert an einer Tasse und einem Unterteller, wie die Mädchen aus Service eine eigene Wissenschaft machten. Je nachdem, in welche Richtung der Henkel gedreht wurde, wussten die Kellnerinnen, die untereinander nicht reden durften, was der Gast trinken wollte.

Am Krater trainierten schon Astronauten

La Posada ist Winslows Juwel und Mary Jane Colters Meisterstück. Als eine der wenigen weiblichen Architekten arbeitete sie unter rauen Bedingungen undbetreute sie 21 Projekte für den Unternehmer Fred Harvey, einschließlich des im Hacienda-Stil gebauten La Posada von 1929. Sie entwarf das ­gesamte Hotel und richtete jedes Zimmer in einem bunten Mix aus mexikanischen und indianischen Einflüssen ein. Bis 1958 war es ein Harvey House. Dann schloss es für Dekaden. Einige Einwohner Winslows bewahrten es vor dem Verfall und restaurierten es aufwendig.

22 Meilen von Winslow entfernt klafft ein 1,2 Kilometer breites Loch im Boden Arizonas: Der Krater eines gewaltigen Meteoriten, der vor 50.000 Jahren einschlug. „Der Meteorit hatte einen Durchmesser von 45 Metern, wog 300.000 Tonnen“, sagt Eduardo Rubio, der durch die Ausstellung führt. Alles ­Leben im Umkreis von 20 Kilometern wurde ausgelöscht. Am Eingang des Besucherzentrums hängen Fotos der Apollo-Astronauten, die in den 60ern am Barringer-Krater für ihren Flug ins All trainierten.

Nächster Halt: Flagstaff, wo Nördlich der Stadt erheben sich die San Francisco Peaks, deren Gipfel schneebedeckt sinddie alte Route 66 noch in ­einigen Teilabschnitten original verläuft. ­Bekannt wurde die Stadt durch die Entdeckung des Planeten Pluto im Jahr 1930, durch das Teleskop im ­Lowell Observatory hat schon Neil Armstrong den Mond betrachtet. Wie die meisten Studentenstädte ist auch Flagstaff ein Eldorado zum Ausgehen. Sieben Brauereien bieten ihr eigenes Bier an, im „Karma“ gibt es spezielle Sushi-Kreationen wie Pluto oder Route 66. Wer es amerikanischer möchte, wird den Museum Club lieben. Einmal die Woche treffen sich hier die Einheimischen zum Linedance. Mitmachen ist erlaubt, aber bitte mit etwas Ernst an der Sache! Die Trainerin ist strikt.