Breiter als Viktoria, höher als Niagara: Per Speedboat und Rafting zu den Wasserfällen von Iguaçu
Ein bißchen nass? Nass? Oder ganz nass?“ Das ist hier die Frage. Eduardo stellt sie lächelnd, mit leiser Stimme. Zu fünft sitzen wir mit unseren Schwimmwesten wie Michelin-Männchen im Speedboot auf dem Iguaçu-River, eine zufällige Gemeinschaft, die sich für diese Tour zusammengefunden hat. Blicke machen die Runde. „Ganz nass“, lautet spontan die einhellige Antwort. Wenn schon, denn schon, wo wir schon mal da sind.
Eduardo grinst noch breiter als zuvor, hebt bedeutungsvoll den Daumen in Richtung des „Kapitäns“. Der soll uns - gegen den Strom - so nah wie möglich an die Wasserfälle von Iguaçu bringen, die sich in 200 Metern Entfernung mit Getöse in die Tiefe stürzen. Gelegen an der brasilianisch-argentischen Grenze sind es die größten Wasserfälle der Erde: breiter als die Viktoria-, höher als die Niagarafälle.
Hätte uns das stutzig machen sollen, dass unsere Bootsleute von Kopf bis Fuß in Ölzeug eingepackt sind? Dass wir Schuhe, Geld und Ausweise an Land lassen sollten? Zu spät. Schon heulen die Motoren auf, beide 250 PS stark. Nur mit solcher Power lässt sich der Wucht der Wassermassen Herr werden, die von den Fällen heruntergeschossen kommen.
Immerhin rauschen bis zu 1600 Kubikmeter pro Sekunde über die 120 Millionen Jahre alten Abbruchkanten des Vulkangesteins. Der Käpt'n gibt Gas, der Bug bäumt sich auf. Das Dinghi prescht voran, macht erstaunliche Sätze, schlägt immer wieder hart auf der Wasseroberfläche auf. Gischt spritzt ins Gesicht. Und von einer Sekunde zur anderen ist klar: Das Regencape mit der Aufschrift „Cataratas do Iguaçu”, Wasserfälle von Iguaçu, das wir zuvor für sieben Reias erstanden haben, also dieses dünne Ding mit seinen drei weit auseinander stehenden Druckknöpfen, das nicht mal bis über die Knie reicht - das wird nicht viel nützen.
Wir werden in die Plastiksitze gedrückt. Der Typ ist nicht zu stoppen, braust weiter an den Schlund der Wasserfälle heran, der den nicht gerade lieblichen Namen Devil Throat trägt: Teufelsrachen. Vor einer Stromschnelle weicht er aus, um nicht frontal der machtvollen Strömung ausgeliefert zu sein, das Boot kippt zur Seite. Die Frauen kreischen, lachen, klammern sich an wildfremden Männern fest, die neben ihnen sitzen. Kicks wie beim Achterbahnfahren. Die Stimmung scheint den Piloten noch anzuspornen.
Jedenfalls gibt er noch einmal richtig Stoff, steuert direkt auf einen der „Nebenwasserfälle“ zu. Auswahl hat er, schließlich donnern hier je nach Jahreszeit und Regenmenge bis zu 275 Wasserfälle aus 40 bis 80 Metern Höhe in die Tiefe. Mal kleine Rinnsale, mal gewaltige Kaskaden, die harmlose Bezeichnungen wie „Die drei Marys“ oder „Bol seven“ tragen.
Das Exemplar, das sich unser Käpt'n ausgesucht hat, ist eine Mischung aus beidem. Schon steht unsere Nußschale direkt darunter. Blick nach oben, die kalte Dusche folgt prompt. Nicht tröpfchenweise, es „regnet“ junge Hunde. Im Nu sind wir klatschnass. Jacke, Hose, T-Shirt, alles komplett durch. Das Wasser schwappt oben in den Kragen, unten über die Beine. Iguaçu hautnah. Jetzt ist klar, warum die Schuhe an Land bleiben sollten. Aber die Luft ist lau, die Sachen trocknen rasch. Das war es wert, das Abenteuer am Iguaçu, am „Großen Wasser“, wie die Ureinwohner des Atlantischen Regenwaldes, die Tupi-Guarani, die Szenerie einst bezeichneten.
Heute liegt das Große Wasser in einem Nationalpark, der sich über 252 000 Hektar erstreckt: 185 000 Hektar liegen auf brasilianischem, 67 000 auf argentinischem Terrain. Schon Ende der 1930er-Jahre sind Teile dieses Gebietes unter Schutz gestellt worden. Es handelt sich um eine der artenreichsten Zonen Amerikas, 1986 von der Unesco auch als Weltnaturerbe ausgewiesen. Dort leben Jaguare, Ozelots, Pumas, Tapire, Otter, Kapuzzineraffen, Ameisen- und Nasenbären, die uns nicht weit vom Eingang des Nationalparks höchst zutraulich in Augenschein nehmen und sich - angelockt von jedem verführerischem Genestel im Rucksack - zu jedem kleinen Mundraub von Banane bis Müsliriegel bereit halten.
90 Orchideenarten gibt es im Park, 40 Reptilien-, 70 Fisch-, 200 Schmetterlings- und über 375 Vogelarten, Tukane, Adler, Kolibris, Papageien. Über uns allerdings kreisen die Geier. Truthahngeier. Ob das ein gutes Omen ist?
Teil zwei des Programms ist angesagt: White Water Rafting. Und das bedeutet, vier Kilometer im Schlauchboot auf dem Iguaçu-River zu „schippern“, die Hälfte der Strecke durch reißendes Gewässer, durch starke, mitunter beinahe wütende Stromschnellen. So jedenfalls sieht es aus. Als „unvergessliches Abenteuer“ wird die Tour angekündigt. Mir wird mulmig.
Auf eigenes Risiko
Meine Hand ist schweißnass, als ich den Zettel unterschreibe, dass das Ganze einzig und allein mein Risiko ist. „Don't worry“, beruhigt Guide Fernando. Der Mann hat gut reden. „Ein Motorboot ist stets hinter uns“, sagt er. „Und bis jetzt haben wir hier noch jeden wieder rausgefischt.“ Immerhin, der Kerl strotzt vor Kraft.
Kurz werden die Kommandos erklärt, und ein paar Hinweise gibt es dazu. „Wenn es brenzlig wird, einfach vom Bootsrand ins Innere rutschen, da ist es sicher! Und niemals, niemals das Paddel loslassen.“ Also Helm auf, Schwimmweste an, Paddel in die Hand, und ab ins Rafting-Gummiboot - einer Spezialanfertigung mit verstärktem Boden, der Steinen trotzen soll, die aus dem Wasser ragen.
Füße werden in Schlaufen geklemmt, schon geht es los, immer der Strömung nach. Ein paar Schläge, da naht die erste unruhige Passage mit Wasser-Verwirbelungen, einem Strudel gleich. Das Boot saust darüber hinweg, liegt zwischendurch gefährlich schief, richtet sich wieder auf. Da folgt die nächste Stromschnelle und noch eine. Nach der vierten sagt Fernando: „Das Schlimmste ist geschafft!“
Den zweiten Teil der Strecke fährt man gemächlich in Fließgeschwindigkeit weiter. Diese Rafting-Strecke wird nach internationalen Maßstäben mit dem Schwierigkeitsgrad III+ eingestuft (von VI). Das bedeutet: „mittelschwer“. Alles halb so wild also. Hätte das mal einer vorher sagen können?
Natürlich lässt sich der Iguaçu mit seinen Wasserfällen auch mit weniger Aufregung erkunden, geruhsamer und aus gänzlich anderer Perspektive. Per Hubschrauber zum Beispiel. Beeindruckend wie der Helikopter quasi über den tosenden Wassermassen steht und sich im aufsteigenden Sprühnebel aus Abermillionen feinen Tropfen immer wieder aufs Neue schillernde Regenbögen bilden.
Man kann den Nationalpark auch auf vorgeschriebenen Wegen mit dem Rad durchkurven oder ihn zu Fuß durchwandern, sich den Wasserfällen mittels Laufstegen und Aussichtsplattformen nähern. Aber die Bootstouren auf dem Großen Wasser sind unmittelbarer. Und garantiert erfrischender.