Essen. Auf der Jagd nach gutem Personal nutzen Unternehmen gerne die Vorzüge des World Wide Web: Per Video-Schalte führen immer mehr Arbeitgeber Bewerbungs-Gespräche mit den Anwärtern. Doch die praktische Recruiting-Methode birgt Stolperfallen. Was Sie bei einem Video-Interview beachten sollten.
Thomas Keßler sitzt auf dem Sofa seiner Studentenbude und zupft sein Hemd zurecht. In wenigen Sekunden hat er hier, zwischen Bett und Küchentisch, ein Vorstellungsgespräch. Schon blickt der Psychologie-Student in drei fremde Gesichter – auf seinem Laptop. Sie sitzen Hamburg, er in Köln. Mikro, Web-Cam, PC machen es möglich, das Bewerbungsgespräch in Thomas' Wohnzimmer.
"E-Recruitung" nennen Personaler die Beschaffung von Arbeitskräften mittels elektronischer Medien. Für den Online-Händler Otto etwa gehören virtuelle Vorstellungsgespräche inzwischen zum Alltag. Seit Anfang 2009 nutzt das Hamburger Unternehmen den Online-Videodienst Skype. Übers Netz rekrutieren die Mitarbeiter Bewerber, die wie Thomas Keßler außerhalb der Hansestadt leben.
Interview ohne Reise- oder Kostenaufwand
Für Otto-Recruitment-Leiterin Ireen Baumgart liegt der Vorteil auf der Hand: "Die Bewerber können sich ohne großen Reise- und Kostenaufwand präsentieren." Wenn das Gespräch gut verlaufen ist, kommen die Kandidaten zu einem zweiten Gespräch nach Hamburg. Dann folgt der "richtige Händedruck", wie Baumgart sagt, und im Idealfall die Einstellung.
Thomas Keßler arbeitet heute als Analyst für das Unternehmen. Er blickt zufrieden auf das Video-Interview zurück. "Klar war das anfangs ungewöhnlich", gibt er zu. Doch durch die gewohnte Umgebung habe er sich nach wenigen Minuten sehr wohl gefühlt. "Das hat mir die Nervosität genommen", sagt der 25-Jährige.
"Unsere Bewerber kommen aus China oder Indien"
Was die Wirtschaft allmählich für sich entdeckt, macht die Wissenschaft schon lange. Seit zehn Jahren nutzen etwa Mitarbeiter der Uni Göttingen das Internet, um Studenten aus aller Welt zu rekrutieren. "Die Bewerber kommen zum Teil aus China oder Indien", erklärt Prof. Dr. Michael Hörner. Der Koordinator für Neurowissenschaften und seine Kollegen suchen weltweit nach Doktoranden.
In der Regel lassen sie die Bewerber einfliegen. "Wenn es aber Schwierigkeiten mit dem Visum gibt, greifen wir auf die Video-Konferenz zurück", sagt Hörner. Dabei nutze er entweder das technische Equipment der Uni, "im Notfall aber auch mal die herkömmlichen Programme aus dem Internet." Er bevorzuge zwar das Gespräch vis à vis, sagt Hörner. Dass Video-Interviews künftig aber eine immer größere Rolle spielen werden, glaubt er dennoch.
Für ein Video-Interview sollten Job-Anwärter einige Vorbereitungen treffen. Jochen Mai von www.karrierebibel.de hat ein paar Tipps parat. Zum Beispiel sollten nicht nur Frauen zum Puderdöschen greifen. Wir klären die Fragen nach dem Was, Wie und Wo. In fünf Schritten zum Video-Interview.
Punkt 1 - die Umgebung
Auch wenn der Bewerber zuhause sitzt, sollte die Umgebung, die er sich für das virtuelle Job-Interview aussucht, möglichst neutral und ruhig sein, sagt Karriere-Experte Mai. Poster, Pflanzen oder Vitrinen lenken ab. "Besser sind weiße, oder gern auch einfarbige Wände."
Wie auch im Vorstellungs-Gespräch von Angesicht zu Angesicht rät Mai Bewerbern, sich möglichst gerade aber locker an einen Tisch zu setzen. Die Web-Cam sollte dabei in etwa auf Augenhöhe platziert werden. Während des Gesprächs empfiehlt es sich zudem, möglichst in die Kamera, und nicht etwa ständig auf das eigene Bild zu schauen.
Punkt 2 - das Licht
Eine helle, freundliche Umgebung rückt den Kandidaten schnell ins rechte Licht. Das Gesicht sollte gleichmäßig ausgeleuchtet sein, am besten mit Tageslicht, empfiehlt Jochen Mai. Bei künstlicher Beleuchtung bestünde nämlich die Gefahr, dass das Bild einen Gelbstich bekommt.
Gibt es keine natürliche Lichtquelle, könne man auch Kunstlicht nutzen. Die Lichtquelle müsse weit genug vom Gesicht entfernt platziert werden. "Das Licht sollte frontal oder leicht von der Seite aufs Gesicht scheinen, nicht von unten oder oben. Das produziert unvorteilhafte Schatten."
Punkt 3 - das Erscheinungsbild
Ob im Konferenzraum oder im Wohnzimmer - der erste Eindruck zählt. "Bewerber sollten die Situation ernst nehmen und sich entsprechend seriös kleiden", sagt Mai. Natürlich könne man Hausschuhe oder gar eine Schlafanzughose anziehen, denn "normalerweise ist ja nur der Oberkörper zu sehen." Allerdings könnten unvorhergesehene Störungen schnell unangenehm werden, deshalb lautet Mais Devise: "immer vollständig anziehen".
Bei der Kleiderwahl sollten Bewerber allerdings von Mustern absehen. "Kleinkarierte Hemden, gestreifte Krawatten oder Jackets in Hahnentritt-Optik mag die Kamera nicht." Genau so wenig wie starke farbliche Kontraste.
Natürliches Puder für Frauen und Männer
Einen ungewöhnlichen Tipp hat Jochen Mai für Männer parat. "Ich empfehle jedem, egal ob Mann oder Frau, etwas hautfarbenes Puder aufzutragen." Wer das gerade nicht zur Hand hat, kann Stirn, Nase und Wangen mit weichem Toilettenpapier abtupfen. Das vermeide glänzende Haut, die durch die Kamera noch besser zu sehen sei.
Punkt 4 - die Vorbereitung
"Vor dem Interview ist es immer ratsam, Situation und Technik mit einem Freund zu testen", sagt Jochen Mai. Der Karriere-Berater hat zudem ein paar Stimmübungen parat, "die zwar albern klingen, aber nützlich sind." Zum einen empfiehlt er, vor dem Interview laut und in möglichst vielen Tonlagen ein paar Lieder zu singen oder ein Buch zu vorzulesen.
Die Stimme mit Übungen ölen
Eine weitere Art die Stimme zu ölen, beschreibt er so: Gerade hinstellen und tief Luftholen. Dann langsam nach vorne beugen, dabei Kopf und Arme hängen lassen. Schließlich Kopf und Arme schütteln und dabei möglichst stimmhaft die Luft aus dem Körper lassen. Die Übung fünf mal wiederholen, um die Stimmlippen aufzuwärmen.
Außerdem empfehle es sich immer, ein Glas Wasser in Griff- aber außer Sichtweite zu stellen. "Das ist die erste Hilfe gegen den trockenen Mund oder einen Frosch im Hals."
Punkt 5 - die Technik
Auf den guten Ton kommt es beim Video-Interview an. Fenster sollten geschlossen, Hintergrund-Geräusche minimiert werden. Für eine optimalen Sound empfiehlt Jochen Mai, nicht das in den Laptop integrierte Mikro zu nutzen. "Oft reicht schon das Headset des Smartphones aus." Die Stimme halle weniger und man vermeide Rückkopplungen.
Das Smartphone sei häufig ohnehin bereits qualitativ besser für einen Video-Chat geeignet als der Laptop. "Viele Handys haben schon eine HD-Kamera, die können Bewerber dann sehr gut nutzen." Der Laptop wiederum besticht durch Bildschirm-Größe und Komfort. Kandidaten sollten im Vorfeld selbst testen, welches Gerät sie bevorzugen.