Essen. Seit der Öffnung Myanmars in den 90ern gewinnt der Tourismus von Jahr zu Jahr an Bedeutung. Reisende schätzen vor allem die Ursprünglichkeit des Landes. Doch die geht zunehmend verloren: wo sich gerade noch Bambushütten drängten, stehen heute Resorts. Doch das Bild in Birma prägen auch Umsiedlungen und Zwangsarbeit.

Das Wasser glitzert schon in der tief stehenden Sonne als sich die Fischer mit vereinten Kräften in die Seile stemmen, um ihre Netze einzuholen. Ein voll beladener Ochsenkarren zuckelt vorbei und hinterlässt tiefe Furchen im Sand. Ans Meer grenzt eine Kulisse wie aus einem Robinson Crusoe-Film: eine Reihe Palmen, dahinter scheinbar undurchdringliches Dickicht – sonst nichts. Nur wenige Kilometer weiter traben zwei Jogger in Bikini und Badeshorts federnden Schrittes vorbei.

In Myanmar hält mit den Touristen auch die Moderne Einzug: Um die Buddahstatuen in den goldenen Pagoden blinken bunte Neonlichter, in den Bussen läuft Musik von Anastacia bis Simply Red – nur eben auf birmanisch – und an den Sehenswürdigkeiten kassiert die Regierung mit saftigen Eintrittsgeldern kräftig ab.

Lachende Männer, winkende Frauen

Auf der anderen Seite sind da diese Menschen mit einer Herzlichkeit wie man sie selten findet: die lachenden Männer in ihren Longyis, den langen Wickelröcken, und die winkenden Frauen mit dem gelben Tanaka im Gesicht, das sie zum Schutz gegen die Sonne aus geriebenem Sandelholz und Wasser anrühren.

Die Bewohner Bagans, einem offenen Tempelareal mit über 2000 Monumenten, leben schon jetzt vorwiegend vom Tourismus. Die Jahrhunderte alten Ziegelsteinbauten leuchten als verwitterte Ruinen orange in der Sonne. Pferdekutschen ziehen durch die Savannenlandschaft und zum Sonnenuntergang stehen zehn Reisebusse vor einem Heiligtum. Besucher drängeln um die besten Fotoplätze, Kinder preisen allerlei Souvenirs an – bei Bedarf auch in gebrochenem Deutsch oder Französisch.

Birmanen laden Touristen nach Hause ein

Seit der Öffnung des Landes Anfang der 90er Jahre nimmt der Tourismus in Myanmar an Bedeutung zu. Im Jahr 2010 reisten knapp 800.000 Besucher ein – nur ein Bruchteil des touristischen Aufkommens im benachbarten Thailand. Doch die Birmanen freuen sich über jeden einzelnen Gast. Sie lächeln und winken, testen mit Begeisterung ihr Englisch, laden Fremde sogar in ihre Häuser ein.

Htun Ngwe verdient als Taxifahrer und Tour-Guide sein Geld, manchmal begleitet er Ausländer auch kostenlos. Seine Habseligkeiten, das altmodische Handy mit der ausziehbaren Antenne, eine Designersonnenbrille aus Berlin und sein Motorrad, hat er von dankbaren Touristen geschenkt bekommen. Karma sei das, glaubt der freundliche Buddhist.

Statuen mit Blattgold-Überzug

Obwohl das ehemalige Birma laut UN-Entwicklungsbericht unter den 40 ärmsten Ländern der Welt rangiert, ist den Menschen ihre Religion viel wert. Selbst die gegenwärtige Regierung, die sich noch immer aus dem Kader des Militärs speist, wendet Unsummen für die Renovierung und den Neubau von Tempeln auf. Die heilige Mahamuni-Statue in Mandalay haben Pilger schon so dick mit Blattgold überzogen, dass ihre Konturen teils gar nicht mehr zu erkennen sind.

Mandalay gilt als das kulturelle Zentrum des Landes, rund 2000 Klöster soll es in der Gegend geben. Und wenn sich die 1200 Mönche des Mahagandhayon-Klosters in ihren weinroten Roben aufstellen, um ihr Frühstück in den Almosenschalen zu empfangen, lauern ihnen inzwischen zahlreiche Besucher auf – aufgereiht wie Paparazzi.

Ein Knattern kommt vom Kanal

Auch die motorisierten Holzkanus, mit denen Touristen auf den Inle See hinausfahren, knattern schon am frühen Morgen in Scharen über den Kanal. Himmel und Wasser zerfließen im Morgendunst. Die Fischer, die als graue Tupfen auf dem See treiben, tauchen ihre Netze ins Wasser und bewegen aufrecht stehend wie ein Gondoliere mit dem Fuß ihr Ruder. An den Rändern des Sees gibt es schmale Passagen, in denen flache Kähne zwischen schwimmenden Beeten navigieren.

Ihre Produkte bringen die „Intha“, die Menschen vom See, später zum Markt. Gemüse, Tee und Gewürze werden dort abgewogen. Dazwischen Haushaltsartikel, Kleidung und Garküchen. Am Rand betreibt ein Friseur seinen Salon, daneben fertigen Schmiede große Buschmesser. Ein Idyll auf Zeit: Mitten im Naturschutzgebiet entstehen bereits riesige Resorts.

Zwangsarbeit für den Tourismus

Doch die Birmanen haben schon vor der Ankunft der ersten Besucher einen hohen Preis für die touristische Öffnung bezahlt: Um die Sehenswürdigkeiten für das „Visit Myanmar Year 1996“ herauszuputzen, griff die Regierung zu Zwangsarbeit und Umsiedlungen. Wer die Aussicht vom Mandalay Hill genießt, blickt auf den so hergerichteten Königspalast und auf ein Gefängnis, in dem viele der laut Amnesty International über 2000 politischen Gefangenen einsitzen.

Dabei ist es gerade die Ursprünglichkeit, die Myanmar so faszinierend macht. Entlang des Ayeyarwady Flusses, der die Stadt säumt, entfaltet das romantische Mandalay seinen besonderen Charme. Bambushütten drängen sich windschief aneinander. Davor schäumt sich eine Gruppe Kinder lachend mit Seife ein, andere schrubben gewissenhaft ihre Longyis. Männer mit spitzen Bambushüten radeln auf ihren Rikschas vorbei, Frauen tragen auf dem Kopf die Einkäufe nach Hause.

Eine andere Zeitrechnung

Noch gibt es sie, diese Orte, in denen eine andere Zeitrechnung herrscht. In den Fischerdörfern am Golf von Bengalen trocknen Garnelen und Chilis in der Sonne. Schmale Holzbrücken, manchmal nicht mehr als zwei Bambusrohre, führen über klare Flüsse. Zwischen den Mangroven am Ufer sammeln alte Männer schwarze Krebse. Kinder spielen im Schatten der Palmen Fußball, vor den Hütten stehen Frauen mit ihren Babys auf dem Arm und grüßen freundlich. Die Häuser sind hier alle offen, Türen gibt es nicht und auch die Einrichtung ist spartanisch: einige Bastmatten, an den Wänden hängen Familienfotos und die wichtigsten Gebrauchsgegenstände – ein Kamm, ein Dosenöffner, ein Angelhut.

Doch selbst an diesen einsamen Stränden sind die Bäume schon mit weißen Markierungen versehen. Das Land ist verkauft, meist an ausländische Investoren, die früher oder später neue Resorts eröffnen werden. Die wenigen Bambushütten, die sich harmonisch in die Landschaft fügen, müssen dann verschwinden und mit ihnen die lächelnden Menschen.