Niamey. Das Land kämpft mit Terrorismus und Armut. Dennoch strömen Tausende dorthin - oftmals auf der Durchreise nach Europa. Was kann Deutschland tun?
"Unseren Nachbarkontinent", nennt Angela Merkel Afrika, das für viele aus Krieg, Hunger und Mythen besteht. Das westafrikanische Land Niger repräsentiert einige der so oft mit Afrika assoziierten Klischees: Es trägt den Titel des ärmsten Landes der Welt; es ist heiß; es gibt Terrorismus. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist die Erste in ihrem Amt, die den Niger offiziell besucht. Das Land ist Drehscheibe für Hunderttausende Flüchtlinge aus Westafrika.
Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) verließen seit Februar über 290.000 Migranten den Niger in Richtung Libyen und Algerien. Die Wüstenstadt Agadez, rund 950 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Niamey, ist einer der größten Handelsknotenpunkte des Landes. Bereits im 15. Jahrhundert handelten Nomaden mit Gold aus Westafrika Richtung Mittelmeer. Heute benutzen Menschen eine ähnliche Route. Sie reisen entweder über Algerien Richtung Spanien oder über Libyen nach Italien.
"Es gibt keine formellen Ablauf", erklärt Maurice Miango-Niwa. Sie kommen aus Nigeria, Gambia, Senegal, der Elfenbeinküste und anderen westafrikanischen Ländern. Von Niamey nehmen die Migranten einen Bus nach Agadez. An den Busstationen werden sie von sogenannten "Fixern" abgeholt, jene Mittelsmänner, die ihre Reise organisieren. Migranten landen in den Ghettos der Stadt. Dann beginnt das Warten.
Unterstützung für Herkunftsländer
Die Lebensbedingungen in den Ghettos sind schlecht, wie viele Betroffene IOM erzählen. Sie müssen für Unterkunft und Lebensmittel aufkommen, "Ghetto-Manager" regulieren die Fortbewegung und beschlagnahmen gelegentlich auch die Reisedokumente der Migranten.
Meistens fahren die Busse Richtung Séguédine, noch weiter im Nordosten des Landes, am Montag ab, erläutert Miango-Niwa. Von dort aus geht es weiter nach Libyen. Logistische Angelegenheiten werden per Telefon organisiert. Viele wissen nicht, was auf sie zukommt. Das harsche Wüstenklima und die Fahrt über das Mittelmeer fordert Opfer.
Die meisten Migranten fliehen vor einem schlechten Arbeitsmarkt, sagt Miango-Niwa. Im Sinne der auch von Merkel angestrebten Fluchtursachenbekämpfung müsste man deshalb Herkunftsländer finanziell und technisch unterstützen. Die Zahl der Migranten ist IOM zufolge von August auf September stark zurückgegangen. Zahlreiche der großteils nigrischen Migranten wollen demnach gar nicht nach Europa, sondern suchen Arbeit in Libyen.
Aufnahmezentren und Initiativen
Viele der Schmuggler, Fixer und Fahrer kommen ursprünglich aus einer anderen Industrie. "Die meisten Akteure illegaler Migration arbeiteten zuvor im Tourismus", erklärt Miango-Niwa. Aber es gebe keinen Tourismus mehr, deshalb müssten sie ihr Geld anders verdienen.
Der Menschenschmuggel ist lukrativ - nach IOM-Angaben verdienen Schmuggler bis zu 3,5 Millionen Zentralafrikanische Franc pro Woche, umgerechnet mehr als 5000 Euro. Womit sonst verdiene man so viel Geld? Welche Mechanismen braucht es, um Menschen von diesem Geschäft abzuhalten? Es sind Fragen, auf die es vorläufig keine Antworten gibt.
Bei ihrer dreitägigen Afrikareise nach Mali, Niger und Äthiopien, die am Sonntag begann, will Merkel sich für eine stärkere Bekämpfung von Fluchtursachen stark machen. Im Niger will sie sich mit Präsident Mahamadou Issoufou treffen. Lösungsansätze wären Aufnahmezentren und Initiativen, um Menschen in ihre Herkunftsländer rückzuführen, signalisierte Issoufou bei seinem Deutschland-Besuch im Juni. Doch Nigers Handlungsfähigkeit sei finanziell beschränkt. Bisher hatte die EU einen Afrika-Hilfsfonds mit 1,8 Milliarden Euro erstellt.
UN-Friedenseinsatz in Mali
Fast die Hälfte der 18 Millionen Einwohner leben unter der Armutsgrenze. Die Lebenserwartung beträgt 61 Jahre. Frauen gebären im Durchschnitt sieben bis acht Kinder. Etwa die Hälfte der Bevölkerung ist jünger als 15 Jahre.
Seit Jahren gibt es Anschläge durch bewaffnete Milizen, darunter auch Gruppen aus dem Ausland. Vor allem die nigerianische Terrormiliz Boko Haram ist auch im Niger aktiv. Die sunnitischen Extremisten haben seit 2009 mehr als 14.000 Menschen getötet. Sie terrorisieren vor allem den Nordosten Nigerias und die angrenzenden Nachbarstaaten.
Mit rund 570 Soldaten beteiligt sich die deutsche Bundeswehr an einem Friedenseinsatz der Vereinten Nationen im benachbarten Mali, und bildet im Rahmen einer EU-Mission malische Streitkräfte aus. Etwa 40 Bundeswehrsoldaten helfen aus Niamey, die Truppen zu versorgen. Auf dem Flugplatz in der nigrischen Hauptstadt sind auch zwei Transall-Maschinen der Bundeswehr stationiert. (dpa)