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Als Kind galt er als Sonderling und Außenseiter. Laute Geräusche und Unordnung sind für ihn eine Qual. Erst spät in einem Leben mit vielen Problemen kam seine Mutter dahinter: Thorsten Brandt leidet am Asperger-Syndrom.
Thorsten Brandt geht gerne ins Kino. Wenn es nicht zu voll ist. Er setzt sich dann auf einen Platz ganz außen im Saal. Dort, wo er seine Ruhe hat, sich auf die Leinwand konzentrieren kann. Wo weniger Geräusche sind. Weniger Gerüche. Kein Quasseln, kein Popcorn. Bei „Mein Name ist Khan” hat das gut geklappt. Thorsten mag den Film mit Bollywood-Legende Sharuk Khan sehr. Aus mehreren Gründen. Auch, weil Khan einen Menschen mit Asperger-Syndrom spielt. Da kennt sich Thorsten aus. Hat er selbst.
„Gleich zu Beginn des Films gibt es diese Szene, in der Khan als Junge in der Schule von den Kindern rumgeschubst wird. Wo er sich schließlich die Hände vor die Ohren presst, weil er den Lärm nicht ertragen kann. Diese Überflutung mit Reizen kenne ich nur zu gut.” Zuletzt hat er es vor wenigen Tagen erlebt. „Mein Onkel hat mich beim Deutschland-Spiel zum WM-Gucken in eine Kneipe mitgenommen, die nicht so überfüllt war. Ich habe mich auch richtig gefreut, aber der Lärm hat mich geschafft. Bei mir geht das sogar auf die Augen. Der Krach steigert sich, und mein Sichtfeld beginnt zu verschwimmen. Dann kann ich nur raus.” Die Fans hatten auch Vuvuzelas dabei. „Solche Mopeds. Die kann ich schon gar nicht ertragen, weil sie wie depressive Elefanten klingen. Und Elefanten sind meine Lieblingstiere. Also mag ich den Ton natürlich nicht.”
Wer Thorsten Brandt trifft und sich mit ihm unterhält, kommt so schnell nicht auf die Idee, dass der 27-Jährige mit einem Handicap zu ringen hat. Er wirkt eher cool, er wirkt wie ein salopper junger Mann. Das ist ein prinzipielles Problem bei Asperger. Es ist eine schwache Form des Autismus. Deshalb wurde das Syndrom bei Thorsten erst vor zwei Jahren diagnostiziert. Deshalb hat er in Kindheit und Jugend einiges einstecken müssen.
Das „Träumerle“
in der Schule
„Schon als kleines Kind habe ich nicht so richtig Anschluss gefunden. Ich fühlte mich immer allein wohler als in der Gruppe. Wenn meine Mutter mich mit auf den Spielplatz nahm, war das wie in diesem Werbespruch nur umgekehrt: Nur dabei statt mittendrin.”
In der Schule wird’s noch schlimmer. Die Lehrer nennen ihn „Träumerle”. Warum, kann er heute sogar verstehen. „Ich konnte stundenlang aus dem Fenster gucken. Wenn da ein Vogel auf dem Ast saß, fand ich den sehr viel spannender als den Unterricht.” Der Horror sind für ihn Klassenfahrten. „Ich habe mich bemüht, bin mal mit in eine Jugendherberge. Fremde Umgebung, fremde Betten. Mir ging’s ganz, ganz dreckig. Ich hab geheult. Das war natürlich Anlass für endlosen Spott, die Lehrer waren sauer, weil sie glaubten, ich stell mich an. Aber nach einem halben Tag war ich wieder zu Hause. Und glücklich.”
„Leichter wurde es aber nicht. Während ich in der Schule immer als Heulsuse verspottet wurde oder als komischer Kauz, hatte ich auch später keinen leichten Stand. Wenn jemand ein Buch über Mobbing schreiben möchte, ich kann ihm endlos erzählen. In der Ausbildung waren es vor allem die Frauen, die auf mir rumgehackt haben. Männer nehmen einen eher so, wie man ist.”
Thorsten bittet sie alle nur, ihn doch in Ruhe zu lassen. Das lassen sie nicht. Dann hilft ihm nur der Sport. Er fährt Mountain-Bike bis zur totalen Erschöpfung, weil er genau diesen Zustand liebt. Er entdeckt Tai Chi für sich, Reki, die Meditation. Auf diesen Wegen findet er zu sich, bringt Körper und Geist in Einklang.
Etwa in dieser Zeit liest seine Mutter im Internet erstmals über Asperger. Ihr geht ein Licht auf. Ein Neurologe bestätigt die Diagnose zweifelsfrei. „Für meine Mutter war es wohl ein Schlag, mein Sohn und Autismus. Ich fand das eher cool, endlich wusste ich, was los ist. Endlich hatte ich ein Wort für alles. Bei aspies.de konnte ich mit anderen chatten. So nach dem Motto: Und, was habt ihr für Ticks, wo lauern die Probleme?”
Monk und
der Dschungel
Bei Thorsten ist es vor allem der Ordnungssinn, dieser Wunsch, dass alle Dinge feste Strukturen haben müssen. Er nennt ein Beispiel. „Wenn ich im Café sitze, und an einem Tisch stehen drei weiße und ein schwarzer Stuhl, am nächsten drei schwarze und ein weißer, das macht mich wahnsinnig. Ja, richtig, das erinnert an Monk, den TV-Detektiv. Den liebe ich übrigens sehr. Da verpasse ich keine Folge. Er erinnert mich an mich. Für uns ist das wirklich ein Dschungel da draußen.”
Mit Monk gemein hat Thorsten auch den Sauberkeitsfimmel. „Meine Hände dürfen niemals klebrig sein. Unerträglich. Ich räume auch mein Zimmer jeden Tag auf, einmal in der Woche gibt’s Großreinemachen. Ich brauche die Abgeschiedenheit und die Sauberkeit meines Zimmers, um meine Batterien wieder aufzuladen.”
Und die Zukunft, wie soll’s in zehn Jahren aussehen? „Eine eigene Wohnung wäre schön. Natürlich würde ich auch gerne eine Freundin haben. Das hat noch nicht geklappt. Ich gehe halt nicht in Kneipen, ich würde niemals Alkohol trinken, Partys sind mir unerträglich. Wo also soll ich jemanden kennenlernen? Und wie soll ich eine Frau mit meinen speziellen Eigenschaften halten?“ Für jeden Topf gibt es einen Deckel, sagt seine Mutter. „Mal abwarten.”
Eine andere Hürde im Leben hat Thorsten aber gerade genommen. Nach zwei Jahren eines quälenden Kampfes mit den Behörden hat er endlich die Zulassung erhalten. Er darf jetzt als Physiotherapeut arbeiten. Ein Happy End. Wie bei Khan. Wie im Kino.