Berlin. Nach einem Unfall leiden viele Verkehrsteilnehmer unter psychischen Schwierigkeiten. Solche Folge-Erkrankungen können bis zur Arbeitsunfähigkeit führen. Allerdings ist eine eindeutige Diagnose häufig schwierig. Denn ernsthaft Erkrankte und reine Simultanten sind nicht immer klar zu unterscheiden.

Durch einen Unfall verletzte Verkehrsteilnehmer haben immer häufiger auch psychische Schwierigkeiten. 'Solche Erkrankungen nach Verkehrsunfällen sind eindeutig auf dem Vormarsch', bestätigt Michael Burmann von der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV).

Konkrete Zahlen gibt es für Deutschland noch nicht. Doch schon 2001 stellte eine britische Untersuchung bei 1.441 Unfallopfer fest, dass rund 17 Prozent der Betroffenen ein Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) entwickelt haben. Das ist eine schwere seelische Erkrankung, unter der vor allem Soldaten nach Kriegseinsätzen oder Entführungsopfer leiden.

Seelisches Leiden

Begünstigt wird PTBS, wenn die Betroffenen gleichzeitig ihre Lebenssituation sehr negativ beurteilen, finanzielle Probleme haben oder sich ungerecht behandelt fühlen. Vielfach können die Unfallopfer nicht mehr arbeiten. Ein Blick in die Rentenstatistik beweist, dass in Deutschland seelische Erkrankungen mittlerweile die Hauptursache für einen vorzeitigen Jobausstieg sind.

So hat sich der Anteil der Erwerbstätigen in den letzten 14 Jahren mehr als verdoppelt. Während der Anteil laut Deutscher Rentenversicherung 1993 noch bei 15 Prozent lag, erreichte er im vergangenen Jahr mit 41 Prozent einen neuen Höchststand. Und der Anteil an Simulanten? Betroffen sind nun im zunehmenden Maße die jährlich rund 400.000 Verkehrsunfallopfer. Löst der Verkehrsunfall ein seelisches Leiden aus, muss der Unfallgegner, also in der Regel ein Kfz-Haftpflichtversicherer, für den Schaden aufkommen.

Schwierige Diagnose

Derzeit tobt hinter den Kulissen ein Streit zwischen Versicherer, Anwälten und Medizinern, wie Psychoschäden nach Verkehrsunfällen sauber erkannt und in ihrem Ausmaß bestimmt werden können. Grund: Schon kleine Verkehrsunfälle können bei stark beanspruchten Personen eine seelische Erkrankung auslösen. Scheinbar sind zudem immer wieder Opfer betroffen, die lediglich durch einen Auffahrunfall ein leichtes Schleudertrauma erlitten haben.

Grundsätzlich ist es nicht ausgeschlossen, dass ein kleiner Unfall, eine große Wirkung entfaltet. Vielfach ist dann keinerlei Körperverletzung feststellbar. Indizien für einen Psychoschaden sind laut Prof. Rolf Schneider, Chefarzt der Neurologischen Klinik in Aschaffenburg, eine starke Desorientierung direkt nach dem Unfall sowie anhaltende Angstzustände, Phantomschmerzen oder schwere Erschöpfung. Die Diagnose ist aber äußerst schwierig.

Wie unterscheidet man zwischen Opfern und Simulanten

'Schätzungsweise zehn bis 30 Prozent der Opfer, die eine psychische Störung behaupten, sind reine Simulanten', schätzt der Experte. Doch selbst diese Prognose ist von Unsicherheit geprägt. Denn eine einheitliche Linie bei der Begutachtung von seelischen Erkrankungen gibt es bisher nicht. Das bestätigt Praktiker Burmann: 'Wir erleben immer wieder, dass unterschiedliche Gutachter zu ganz unterschiedlichen Einschätzungen der Betroffenen kommen.'

Ob das Unfallopfer tatsächlich unter einem schweren Traumata leidet oder eher eine vorübergehende 'Anpassungsstörung' hat, ist entscheidend für die Entschädigung durch den Versicherer. Prof. Schneider: 'In der Regel dauert eine Anpassungsstörung lediglich sechs Monate. In Ausnahmefällen, wenn der das Opfer depressiv ist, kann die Erkrankung bis zu 24 Monate anhalten.'

Hohe Beträge

Entscheidend für die Entschädigung des Unfallopfers mit seelischen Leiden ist zudem seine Persönlichkeitsstruktur. 'Wenn der Unfall mehr oder weniger nur das Fass zum Überlaufen brachte, der Betroffene also in naher Zukunft sowieso aus der Bahn geworfen worden wäre, sind Abzüge bei der Entschädigung üblich', erläutert Jurist Burmann. Der Bundesgerichtshof habe hier den Versicherern Abschläge von bis zu 80 Prozent zugestanden.

Grundsätzlich müssen sich Opfer, die nach einem Unfall eine psychische Erkrankung behaupten, auf einen gutachterlichen Spießrutenlauf einstellen. Burmann: 'Oft gibt es im Laufe des gerichtlichen Verfahren drei oder mehr Gutachten. Die Diagnose ist existenziell, weil die Betroffenen in der Regel arbeitsunfähig sind.' Daher gehe es beim Streit mit dem Versicherer in der Regel nicht nur um ein einige 10.000 Euro Schmerzensgeld, sondern vor allem um mehrere 100.000 Euro für den Verdienstausfall.

Ein starker Verbündeter

Privatgutachten müssen von den Unfallopfern selbst getragen werden. Auch die Rechtsschutzversicherung übernimmt die Kosten nicht. Für ein psychologisches Gutachten werden bis zu 2.000 Euro fällig. Sinnvoll ist es da, nach einem anerkannten, professionellen Gutachter zu suchen, der möglicherweise auch vom gegnerischen Versicherer akzeptiert wird.

Seit einigen Jahren bietet die Universität Köln eine berufsbegleitende Qualifizierung, die vom Rückversicherung GenRe und der Ärztekammer Nordrhein unterstützt wird. Rund 150 Experten wurden, wie Prof. Schneider, hier zu 'Medizinischer Sachverständiger cpu' weitergebildet. Eine Übersicht der Experten gibt es bei der GenRe (Email: AskGenRe(at)genre.com).

Noch besser ist es für die Betroffenen aber, wenn sie einen starken Verbündeten gewinnt. 'Gutachten erstellt auch der medizinische Dienst der Krankenkassen', so Burmann. Sie sind kostenfrei. Denn die Krankenkassen wären verpflichtet, jede Chance zu nutzen, hohe Krankheitskosten auf den Kfz-Haftpflichtversicherer des Unfallgegners abzuwälzen. Bestätigt der Gutachter der Krankenkasse beispielsweise eine posttraumatische Erkrankung durch den Unfall, kann das Opfer mit einer hohen Entschädigung rechnen, während die Kasse alle ihre Behandlungskosten zurück fordern darf. (mid)