Essen. Der Hartmannbund plädiert für eine Notfall-Pauschale ohne Ausnahmen. Die erhobenen Gebühren sollen strikt in die Notfallmedizin zurückgeführt werden.
Überlastet und unterfinanziert: Notaufnahmen in deutschen Krankenhäusern beklagen ihren Status als "Lückenbüßer" für Patienten, die ohne tatsächliche Not vorstellig werden oder aber den Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigungen nicht oder nur unzureichend nutzen.
Daher fordert Dr. Thomas Lipp, Allgemeinmediziner und Vorsitzender des Hartmannbundes Sachsen, die Einführung einer Gebühr für Notfallpatienten: Die Inanspruchnahme des Kassenärztlichen Notdienstes solle pauschal zehn Euro kosten, das Aufsuchen der Notaufnahme künftig 20 Euro.
"Diese Gebühren", betont Lipp im Gespräch mit unserer Redaktion, "sollen nicht dazu genutzt werden, um irgendjemandes Bezüge zu erhöhen, sondern komplett in die Notfallmedizin zurückgeführt werden." Die Krankenkassen sollen dann jeweils zum Ende eines Quartals oder Jahres angefallene Gebühren einziehen. Das diene "dem Erhalt der im internationalen Vergleich guten Strukturen" und dem Zweck, dass jeder in Deutschland weiterhin gleichermaßen versorgt werden könne.
Ausnahmslos alle sollen belangt werden
Geht es nach Lipp, sollen dabei ausnahmslos alle belangt werden - auch jene, die die Krankenkasse von der Zuzahlungspflicht befreit, wie etwa Hartz-IV-Empfänger. Die Kosten seien dabei im Verhältnis zum Nutzen für den Patienten "lächerlich gering".
Florian Lanz, der Sprecher des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, hält dagegen. In seinen Augen sei es "ein Unding, dass hier vielen kranken Menschen pauschal 'Missbrauch' (der Notaufnahmen, d. Red.) vorgeworfen wird". Er vermutet: "Vielleicht ist der häufigere Gang in die Notaufnahme ja auch das Ergebnis eines eventuell unzureichenden Wochenenddienstes der niedergelassenen Ärzte. "Bevor die Ärzte fordern, so Lanz weiter, "den Patienten erneut in die Tasche zu greifen, sollten sie erstmal eine seriöse Analyse der Situation und der Gründe auf den Tisch legen."
Lipp: Bessergestellte "vervollkommnen den Komfort"
Thomas Lipp will das so nicht stehen lassen, er wertet Lanz' Einschätzung als "populistisch" und "substanzlos". Seiner Auffassung nach gebe es genügend Analysen, die den angesprochenen "Missbrauch" belegen: "Der Konsens unter Ärzten ist, dass Notaufnahmen tatsächlich missbraucht werden", nämlich überwiegend von "Bessergestellten" zur "Vervollkommnung des Komforts". Den Leuten in die Tasche greifen würden da eher die Krankenkassen mit ihren Zusatzleistungen.
32 Euro Erlös stehen 120 Euro Kosten gegenüber
Die Sorge seiner Kritiker, eine derartige Regelung vergrößere soziale Unterschiede, weil akute Notfall-Patienten infolge fehlender finanzieller Mittel fernbleiben könnten, teilt Lipp nicht. Es sei nämlich keinesfalls so, dass Notaufnahmen bisher von "Armen überrannt" würden. Der Großteil der sozial Schwächeren unter den Kranken ginge seinen Erfahrungen nach sehr sorgsam mit der Gesundheit um und könnte einschätzen, ob der nächstmögliche Besuch des Hausarztes ausreiche oder eben nicht. Der Teil des Prekariats wiederum, der sich durch Suchtmittel willentlich selbst gefährdet, habe schließlich auch täglich Geld für diese übrig.
Lipps Forderung fußt auf einer Studie der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), die besagt, dass jeder dritte Patient, der einen Notdienst in Anspruch nimmt, ein Bagatellfall sei. Zudem stünden die Kosten für die Behandlung in einem krassen Missverhältnis zum Ertrag. 37 Krankenhäuser machten im Rahmen der Studie fallbezogene Angaben zu ihren Erlösen, demnach nach schlägt ein ambulanter Notfall im Schnitt mit 120 Euro zu Buche, bringt aber nur einen durchschnittlichen Erlös von 32 Euro ein. Bei mehr als zehn Millionen ambulanten Notfällen summierten sich diese Fehlbeträge pro Fall auf eine Milliarde Euro, rechnet Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der DKG, vor.
"Hoher bürokratischer Aufwand ohne relevanten Nutzen"
Teilweise Unterstützung erfährt Lipp durch Dr. Roland Stahl. Der Sprecher der Kassenärztlichen Bundesvereinigung erklärte auf Anfrage unserer Redaktion, dass es richtig sei, "über Steuerungsinstrumente nachzudenken". Denn: "Die finanziellen Mittel in der gesetzlichen Krankenversicherung sind begrenzt. Schon heute werden in der vertragsärztlichen Versorgung etwa zehn Prozent der Leistungen nicht vergütet." Doch ob eine Gebühr für den ärztlichen Bereitschaftsdienst der richtige Ansatz ist, "muss man prüfen".
Dr. med. Fedai Özcan, Direktor Nephrologie und Notfallmedizin am Klinikum Dortmund, sieht die von Lipp geforderte Pauschale mit Blick auf die zum 1. Januar 2013 abgeschaffte Praxisgebühr skeptisch: "Die Praxisgebühr hat gezeigt, dass die Besuche in Facharztpraxen sowie Notaufnahmen außerhalb regulärer Dienstzeiten keineswegs reduziert werden konnten. Es war ein hoher bürokratischer Aufwand ohne relevanten Nutzen, deshalb ist es ja auch abgeschafft worden."