Jelenia Góra. Schlesien war einst Teil von Deutschland und bot dem Adel eine Residenz für den Sommer. Davon zeugen in der Region noch etliche Schlösser, die der Staat Polen verkauft hat und die nun nach und nach zu Schlosshotels aufgewertet werden. Darin lässt sich für wenig Geld noch ein wenig Prunk genießen.

Annemarie Harzbecher kannte Schloss Lomnitz bereits zu einer Zeit, da hätte über dieser Geschichte leider noch stehen müssen „Schluss mit Lomnitz“: Bäume wuchsen aus den Fensterhöhlen, Dächer und Decken waren eingestürzt, meterhoch lag drinnen der Schutt. So in etwa müssen Sie sich das vorstellen. „Wenn man daran vorbei fuhr, dachte man immer: Schnell weiter, bevor dir etwas auf den Kopf fällt“, erinnert sich die 70-Jährige. Sie kam heil davon.

Doch dann geschah Schloss Lomnitz (Palaz Lomnica) in Niederschlesien, im polnischen Südwesten, eine dieser Auferstanden-aus-Ruinen-Geschichten: Bald nach dem Revolutionsjahr 1989 verkaufte Polen die lästigen Schlösser Schlesiens für wenig Geld, und aus einer Altbau-Mietwohnung in Berlin-Moabit brachen die Jura-Studenten Ulrich und Elisabeth von Küster auf, das Schloss zu retten, das bis 1945 eben den von Küsters gehört hatte, seinen Vorfahren. Um das jetzt etwas unterkühlt abzukürzen: Sie haben geschwitzt und geschuftet, es hat gedauert, gekostet und geklappt. Es gibt heute Schlosshotel und Hofläden, Gutsbetrieb und Restaurants, Park und Küchengarten, Pferd, Schwein, Ente, Teich. Und wer hier im Sommer wohnen will, braucht ein bisschen Talent für Planung und Vorausschau. „Normale Menschen haben noch nie die Welt verändert, nur die Verrückten“, sagt Annemarie Harzbecher liebevoll über diese Entwicklung, eine Vertraute der von Küsters.

34 Schlösser auf 100 Quadratkilometern

Wer hätte überhaupt gedacht, dass das Hirschberger Tal zurückkehren würde auf die Landkarte des Tourismus? Anderthalb Jahrhunderte bis in den Zweiten Weltkrieg hinein war es ein Top-Ziel des adligen und bürgerlichen Tourismus in Preußen: Gelegen am Nordrand des Riesengebirges, rund 70 Kilometer östlich der Neiße, die Schneekoppe im Blick.

Eine weite, leichte, geschwungene Landschaft ist das, der alles schwere, alles, ja, östliche ganz fremd ist. Das Tal umfasst rund 100 Quadratkilometer um die Großstadt Jelenia Góra (Hirschberg) herum. Auf diesen 100 Quadratkilometern stehen allein 34 Schlösser und Herrenhäuser des früheren schlesischen Adels, fast wie andernorts die Reihenhäuser beieinander. Und man übertreibt nur geringfügig, wenn man behauptet, Arne Franke sei mit ihnen allen per Du.

Kräuterlikör im englischen Flair

Besonders mit den acht, demnächst neun Schlosshotels im Tal, wo man für 80, 90, 100 Euro pro Nacht sein Doppelzimmer finden kann. „Ich bin schlossfixiert“, sagt der Denkmalschützer und Kunsthistoriker schließlich selbst und kennt jede Geschichte. Von Schildau zum Beispiel (Wojanow), der früheren Sommerfrische des Prinzen Wilhelm Friedrich der Niederlande und seiner Frau Luise von Hohenzollern. Schildau ist außen Schloss, doch innen – nach dem Brand von 2002 – ein ganz normales Hotel mit großem Wellness-Bereich. Sein riesiger Park grenzt übrigens an den ebenso riesigen Park von Lomnitz, dazwischen fließt nur das magere Flüsschen Bober, doch einen Steg oder ein Brücklein suchte man vergebens: Schildau war halt königlich, Lomnitz war nur adelig.

Oder, ein weiteres Beispiel, Stonsdorf (Staniszow): Ein bisschen englisch wirkt es, die Inhaber, Familie Dzida, haben da eine Neigung. Der gleichnamige Kräuterlikör wird hier noch verkauft, doch nicht mehr hergestellt. Das Rezept ist 1945 mitgeflohen. Um dann Schluss zu machen, Fischbach (Karpniki): Fischbach steht noch vor der Eröffnung als Hotel, doch wenn man weiß, dass die Mutter des Bayernkönigs Ludwig II. hier lebte, dann sieht man manches mit anderen Augen in Hohenschwangau.

Nichts zum Reichwerden

Man ahnt es jetzt schon, was man machen kann im Hirschberger Tal: Schlösser besuchen! Parks besuchen! Ruinen besuchen, die eine oder andere gibt es schon noch. Wandern, schwimmen, Sport, Wellness. Alles Alpine im Winter. „In den Schlosshotels sind Arbeitsplätze entstanden, jetzt sehen die Leute die Chancen, unsere Arbeit wird leichter“, sagt Grazyna Kolazyk. Sie ist die Direktorin einer privaten Stiftung zur Rettung aller Schlösser und Parks im Hirschberger Tal. Da wäre noch Buchwald (Bukowiec), wo das kleine Haupthaus zwar steht, die schrille Besonderheit eines Drei-Flügel-Baus fürs liebe Vieh aber abgebrannt ist. Oder das demnächst ungenutzte Erdmannsdorf, wo die Dorfschule auszieht: Sommerfrische der Hohenzollern auch dies, bevor Wilhelm II. sie Anfang des 20. Jahrhunderts verkaufte.

Hört sich alles an wie eine einzige Schlossallee? Nah beieinander liegen sie ja, aber reich wird man mit ihnen auch nicht so schnell. Spötter sagen, Ulrich von Küster verdiene als Richter den Unterhalt der siebenköpfigen Familie. Und Elisabeth verdiene mit dem Schloss, was das Schloss verschlingt.