Lausanne. Von Lausanne in der Schweiz bis zur italienischen Stadt Domodossola: Das bietet eine Alpentour der anderen Art. Denn wo andere mit dem Auto die rund 600 Kilometer zurücklegen, setzt die italienische Reiseleiterin auf Bus, Bahn, Fahrrad. Nicht zuletzt um die nachhaltige Nutzung der Alpen zu sichern.

Marcella ist optimistisch: "Hannibal, die Römer, Napoleon und Goethe haben es geschafft, weshalb sollte es uns nicht auch gelingen?" In fünf Tagen will sie eine kleine Gruppe Gleichgesinnter von Lausanne in der Schweiz über alte Alpenwege und steile Pässe bis ins italienische Domodossola führen. Fast 600 Kilometer wäre man im Auto unterwegs, um diese Strecke zu bewältigen. Aber Marcella gehört zum Ständigen Sekretariat der Alpenkonvention, das sich eine nachhaltige Nutzung der Alpen auf die Fahne geschrieben hat. Ihr geht es darum, die wirtschaftlichen und sozialen Interessen der hier lebenden Bevölkerung mit dem Natur- und Landschaftsschutz in Einklang zu bringen. "Sechs Millionen Autos sind jährlich in den Alpen unterwegs - das kann die robusteste Umwelt nicht vertragen", findet die schlanke, drahtige Italienerin. Deshalb setzt sie für die Tour durch die Alpen auf Bus, Bahn, Fahrrad und gute Wanderschuhe.

Mit Wechselkleidung im Rucksack, Wanderstöcken, einem Smartphone und Kreditkarte ausgerüstet beginnt die Reise in Lausanne. Jeder Besucher der altehrwürdigen Universitätsstadt erhält in seinem Hotel eine Chipkarte ausgehändigt, mit der er den öffentlichen Nahverkehr kostenlos nutzen kann. Besser könnte der Auftakt für die Reise im Zeichen der Nachhaltigkeit kaum sein. Mit der Bahn geht es zum Genfersee, eine Fähre bringt die kleine Schaar ins französische Evian-les-Bains.

Mit Mountainbikes bis zum Montriond-See

Um ihre Weggefährten nicht gleich am ersten Tag zu überfordern hat Marcella bereits Bustickets nach Châtel besorgt, von dort geht es mit Mountainbikes bis zum Montriond See. Unterwegs bietet sich ein besorgniserregender Anblick: Wie Ackerfurchen haben sich die Mountainbikepisten in den Boden der Bergkämme und Hänge gegraben und die empfindliche Grasnarbe zerstört. Die Erosion droht nun die ohnehin dünne Kruste aufzuzehren.

Auf ein gelungeneres Konzept trifft die kleine Gruppe am nächsten Etappenziel: Chamonix, wo die Bahn den Touristen kostenfreie Fahrten ermöglicht. Obwohl im Tal von Chamonix in der Hochsaison bis zu 50.000 Besucher gleichzeitig Erholung und Abenteuer suchen, hält das Bahnangebot die Zahl der Staus in Grenzen. Warteschlangen gibt es dagegen an der Seilbahn, die bis auf die Aiguille du Midi fährt. Kein Wunder, bietet der Aussichtspunkt doch den besten Blick auf die ganzjährig mit Schnee bedeckten Gipfel der Alpen. Die weiße Kappe des Mont Blanc, Westeuropas höchstem Gipfel, glänzt in der Sonne.

Bergwelt scheint nahezu unberührt

Hier oben erscheint die Bergwelt noch völlig intakt und nahezu unberührt. Nur eine kleine Schar von Bergsteigern wagt die anstrengende Wanderung bis zum Gipfel des Mont Blanc. Dennoch mischt sich ein Wermutstropfen in die Flut der freigesetzten Endorphine, denn aus der von Marcella geplanten und von allen ersehnten Überfahrt nach Courmayeur per Seilbahn wird nichts, weil selbige auf italienischer Seite seit einigen Monaten generalüberholt und modernisiert wird.

Marcellas Smartphone hilft aus, es schlägt als Ersatz eine Busverbindung ins italienische Aosta-Tal vor. Der in Courmayeur durch den Fahrplan erzwungene Zwischenstopp lässt sich trefflich für eine Stärkung in einem der zahlreichen Restaurants im malerischen Ambiente der schneebedeckten Gipfel nutzen, bevor der Bus in Richtung Cogne aufbricht.

Winterlich anmutende Berglandschaft bis zum Miserin-See

In Cogne beginnt die erste längere Wanderetappe: Bald sind die Schneefelder erreicht und über Serpentinen geht es auf der Route Giroparco über einen Pass auf 2827 Metern am Mont Avic vorbei durch eine winterlich anmutende Berglandschaft bis zum Miserin-See und wieder hinab bis nach Dondena. Plätschernde Bäche und äsende Bergziegen vermitteln den Eindruck ungestörter Natur. Nur die riesigen Hochspannungsmasten, die ins Aosta Tal führen, passen so gar nicht ins Bild. Die Tagesetappe endet mit einer Busfahrt bis Saint-Rhémy-en-Bosses im Gran-San-Bernardo-Tal.

Am Folgetag passiert die Reisegruppe auf der sechsstündigen Wanderung von Italien in das schweizerische Bourg-Saint-Pierre den ältesten Pass der Westalpen, den St.-Bernhard-Pass. Die Route führt über einen Abschnitt der Via Alpina: Eine Berg-und-Tal-Tour, die auf 1600 Höhenmetern beginnt, dann auf 2469 Meter ansteigt und schließlich wieder auf 1600 Meter hinunter führt. Von Bourg St. Pierre bis nach Orsières gibt es eine Busverbindung. Um aber zum Etappenziel in Ulrichen zu kommen, bedarf es mehrerer kurzer Fahrten per Bahn über Sembrancher, Martigny und Brig. Löblicherweise ist es der Schweizer Bahn gelungen, die Anschlüsse gut aufeinander abzustimmen, so dass die Zwischenaufenthalte kurz ausfallen.

200 deutschsprachige Einwohnern

Ulrichen im Wallis wirkt mit seinen etwa 200 deutschsprachigen Einwohnern recht verschlafen, aber äußerst sauber und gepflegt. Und die regionale Küche sowie das Bier sind ausgezeichnet, was man nach einer langen Wanderung besonders zu schätzen weiß. Vom tief im Tal gelegenen Ort geht es am letzten Wandertag per Großtaxi wieder hinauf in die Bergwelt, zum Startpunkt eines alten Saumpfades. So heißen die Wege, auf denen die ersten Händler die Alpen mit Lasttieren überquerten. Dieser führt zum Griessee und weiter zum 2479 Meter hohen Griespass, hinter dem bereits Italien beginnt. Erneut bedeckt ein Schneeteppich die Gipfelregionen, unter dem dann und wann kleine Pfützen auf den unvorbereiteten Wanderer lauern. Langsam lösen sich die Frühnebel auf, und es eröffnen sich prächtige Panoramen.

Zum Abschluss der Tour geht es per Bus nach Domodossola. Im historischen Zentrum des etwa 18.000 Einwohner zählenden Städtchens finden sich ausgezeichnete Restaurants, bestens geeignet, um beim gemeinsamen Mahl ein Resümee der Tour zu ziehen. Nach fünf Tagen besteht kein Zweifel mehr daran, dass eine Alpentour ohne Auto möglich ist. Mehr noch: Ohne Pkw ist die Partie weitaus erlebnisreicher, gesünder und erholsamer. (dpa)