Düsseldorf. Etwa jedes zweite Kind in NRW bleibt bis zum Nachmittag in der Schule. Der Bedarf steigt: Bis 2025 fehlen laut Studie in Deutschland viele Plätze

Wenn Kinder von der Kita in die Schule wechseln, ist das für Eltern auch praktisch ein Einschnitt. Noch in den frühen Lebensjahren ihres Kindes genießen sie den vom Gesetzgeber zugesicherten Rechtsanspruch auf Betreuung bis in den Nachmittag – mit der Einschulung ist damit Schluss: Einen Rechtsanspruch auf den Ganztag für Schüler gibt es in Deutschland nicht. Stattdessen fehlen längst Betreuungsplätze: In Städten an Rhein und Ruhr führen Grundschulen mit Nachmittagsbetreuung sogar Wartelisten.

Dabei wird der Bedarf weiter steigen, einen Vorgeschmack darauf gibt eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung. Bei weiter steigenden Schülerzahlen werden bis 2025 in Deutschland rund 3,3 Millionen neue Ganztagsplätze an Grund- und weiterführenden Schulen benötigt. Solch ein Ausbau würde massive Kosten mit sich bringen: Für zusätzliches Personal müsste der Staat jedes Jahr weitere 2,6 Milliarden Euro ausgeben. Und die Städte stünden vor Investitionen in Höhe von 15 Milliarden Euro, um Räume zu schaffen.

Nachfrage wird bis 2025 auf 80 Prozent steigen

Grundlage der Berechnung ist eine Umfrage, in der sich schon heute 72 Prozent der Eltern einen Ganztagsschulplatz wünschen. Bis 2025 werde die Nachfrage auf 80 Prozent angestiegen sein – doppelt so hoch wie aktuell: 2015/16 waren knapp 40 Prozent der Schüler im Ganztag. Das können etwa Gesamtschulen mit Nachmittagsunterricht sein oder Grundschulen, an denen pädagogische Fachkräfte im offenen Ganztag (OGS) nach Schulschluss Sport und Hausaufgabenhilfen anbieten. In NRW besuchen 46 Prozent der Schüler Ganztagsschulen.

Stiftungsvorstand Jörg Dräger fordert einen „nationalen Kraftakt“ für gute Ganztagsschulen. „Bund, Länder und Kommunen können die nötigen Investitionen nur gemeinsam bewältigen.“ Ziel müsse der Rechtsanspruch auf die Ganztagsschule sein. Das würde laut Studie weitere Milliarden kosten: Bis 2030 wären 72 600 Fachkräfte für 5,2 Millionen zusätzliche Plätze nötig. Im Bund fordert die CDU den Rechtsanspruch für Grundschulkinder im Rahmen der kommunalen Jugendhilfe.

OGS-Träger zahlen in NRW heute drauf

In NRW sorgt bereits die heutige OGS für Grundschüler für Kopfschmerzen. Eltern ärgern sich über zu starre Betreuungszeiten, Sozialverbände beklagen indes eine massive Unterfinanzierung an den 2600 OGS-Grundschulen. „Uns droht der Kollaps“, sagt Helga Siemens-Weibring, OGS-Fachfrau bei der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe.

Sozialverbände betreuen rund 80 Prozent der OGS-Schüler in NRW im Auftrag der Städte. Dafür erhalten sie pro Platz knapp 1000 Euro vom Land, der Pflichtanteil der Städte liegt bei knapp 500 Euro. Nötig wären aber rund 3000 Euro für Personal und Sachkosten, so Siemens-Weibring: „In armen Städten, in denen der kommunale Anteil nicht ohne Weiteres erhöht werden kann, zahlt der Träger also jedes Jahr drauf.“ Weil es in NRW zudem keine verbindlichen OGS-Standards etwa zur Raumausstattung gibt, könne die Hausausgabenhilfe auch mal im Schulkeller stattfinden. Im Sommer hatten Sozialverbände landesweit für bessere OGS-Grundlagen gestritten. Im November sind dazu Gespräche mit der Landesregierung geplant.

Stiftung: Offener Ganztag reicht nicht aus

Dirk Zorn, einer der Autoren der Bertelsmann-Studie, hält den offenen Ganztag mit Hausaufgabenhilfe und Sportangeboten nicht für ausreichend. „Wir brauchen Ganztagsschulen, die über den Tag verteilt unterschiedliche Lernangebote machen“, so Zorn. Lehrkräfte sollten dazu am Nachmittag und auch außerhalb des eigentlichen Unterrichts engagiert, Erzieher und weitere pädagogische Fachkräfte auch vormittags vor Ort sein.

Zorn verweist auf die IQB-Bildungsstudie, nach der Grundschüler in NRW beim Lesen und in Mathe auf dem drittletzten Platz im Bund gelandet sind. „Eine Schule, die ihre Schüler den ganzen Tag über fördern kann, wird den wachsenden pädagogischen Herausforderungen am besten gerecht.“