Essen. Es ist erst zehn Jahre her, dass der letzte von ihnen aus dem Amt schied – aber was waren das noch für Zeiten für die Sozialdemokraten! Die SPD-Alt-Oberbürgermeister von Bochum, Dortmund und Duisburg erinnern sich. Krings, Eikelbeck und Samtlebe im Gespräch.
Sie haben sich über Jahrzehnte in der Politik engagiert. Haben Sie sich mittlerweile vollkommen verabschiedet – oder sind Sie noch interessierte Beobachter?
Krings: Wer politisch so aktiv war wie ich, der kann sich davon nicht lösen. Ich verfolge alles noch mit Leidenschaft. Manchmal gebe ich den jüngeren Kollegen auch noch Ratschläge . . .
Auf die man auch hört?
Krings: Längst nicht jeder. Wir sind eine andere Generation, wir kennen den Krieg, die Todesangst und Hunger, die Aufbauphase. Als ich meine Frau gefragt habe, was uns ihrer Meinung nach von der heute jungen Generation unterscheidet, hat sie gesagt: Die sind im Wohlstand geboren, und sie genießen ihn – wir mussten ihn uns erst erarbeiten. Und das hatte vielfältige Folgen.
Eikelbeck: Ich interessiere mich sehr für alles. Aber oft macht es mich vor allem eines: schwermütig. Beispielsweise die vielen unvorbereiteten Führungswechsel in der SPD oder der Fall Clement . . .
Sie kennen den ehemaligen NRW-Regierungschef, der vor einigen Wochen aus Ärger über ein Partei-Ordnungsverfahren gegen ihn aus der SPD ausgetreten ist, sehr gut. Was haben Sie ihm geraten?
Eikelbeck: Dass er diese Kindereien lassen soll. Er hätte sich in die Politik der hessischen SPD-Chefin Ypsilanti nicht einmischen dürfen.
Samtlebe: Diese Dame, ich könnte vor Wut platzen. Egal.
Generationswechsel sind völlig normal. Aber es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen uns und den heute Aktiven: Ich habe zu den damaligen SPD-Verantwortlichen hochgeschaut, ich habe auf sie gehört. Das machen heute nur noch die wenigsten, viele sind taubstumm.
Fehlt der Respekt?
Samtlebe: Das will ich niemandem unterstellen. Aber es wäre oft in deren eigenem Interesse, sich mit jemandem zu beraten.
Eikelbeck: Dann wäre die SPD wohl auch nicht da, wo sie heute ist: Ich habe mir nie vorstellen können, dass die SPD die Mehrheit in den großen Revier-Städten verlieren könnte. Früher konnten doch zehn SPDler in Urlaub fahren, und bei Abstimmungen hatten wir trotzdem die Mehrheit. Die Schlüsselfrage lautet: Wie können wir das Vertrauen zurückgewinnen?
Ihre Antwort?
Eikelbeck: Die Mandatsträger müssen zu den Menschen gehen, auf die Fußballplätze, in die Kleingartenanlagen . . .
Samtlebe: . . . und zu den Taubenzüchtern. Mir hat man nachgesagt, dass ich während meiner Amtszeit jedes Kaninchen geküsst habe. Heute sage ich: Seht her, das war richtig. Man wird nicht gewählt, um auf einem Thron zu sitzen.
Wann begann der Abstieg der Sozialdemokratie im Revier?
Samtlebe: Als die Grünen sich gründeten. Aber die absolute Mehrheit hatten wir dennoch.
Krings: Richtig. Wir haben damals mit der Umweltpolitik ein Thema liegengelassen, das wir hätten besetzen müssen. Aber gleichzeitig ist eine Generation herangewachsen, die nur auf Funktionen schielt.
Samtlebe: . . . die lassen sogar Werbeagenturen für sich arbeiten. Das muss man sich mal vorstellen! Die lassen sich von anderen die Worte in den Mund legen. Das hätte mit mir niemand machen können.
Krings: Wenn wir Revier-Oberbürgermeister früher zusammenkamen, hatte keiner von uns ein Stück Papier dabei. Wir haben frei Schnauze geredet – wir wussten, was zu sagen war.
Eikelbeck: Und die Menschen haben es verstanden . . .
Samtlebe: Sogar Johannes Rau hat es verstanden. Wer seine Füße und seinen Kopf nicht unten hat, der wird es nicht schaffen, die Menschen zu erreichen. Franz Müntefering weiß das glücklicherweise auch.
Die SPD ist vor allem über die Reformpolitik von Altkanzler Schröder uneins. War diese Politik richtig?
Samtlebe: Selbstverständlich. Aber es gab und gibt Korrekturbedarf. Es kann nicht sein, dass jemand, der nach 35 Berufsjahren entlassen wird, das gleiche Geld vom Staat bekommt wie jemand, der auf der faulen Haut gelegen hat.
Krings: Es gibt weitere Pro-blembereiche, etwa die Rentenfrage. Wer bis 50 in der Kokerei gearbeitet hat, der ist krank. Da muss ich einen Unterschied zum Lehrer machen, der auch bis 67 arbeiten kann.
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