Bochum. .
Die Studiengebühren stehen auf der Kippe, bei den Koalitionsverhandlungen wird sich ihr Schicksal entscheiden. Die Wirtschaftswissenschaftler der RUB haben nun ein drei Jahre altes Thesenpapier überarbeitet und öffentlich gemacht: Studiengebühren sind sozial gerecht und sollten erhalten bleiben.
Kurz nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ist der Streit um das Gratis-Studium in vollem Gange. Universitätsverwaltungen rechnen vor, mit vielen Ausfällen sie rechnen müssten, würden die Studiengebühren wieder abgeschafft. An der Ruhr-Universität Bochum (RUB) betrugen die Einnahmen aus den Studiengebühren im vergangenen Jahr 26 Millionen Euro, wie Sprecher Josef König erklärte. Dagegen sind die Allgemeinen Studierenden-Ausschüsse (AStA) in der Regel anderer Meinung. Beim AStA der Uni Duisburg-Essen beispielsweise steht die Hoffnung auf die finanzielle Entlastung der Studenten im Vordergrund: „Wir begrüßen alle politischen Bestrebungen, die eine Abschaffung der Studienbeiträge zur Folge haben.“
Mitten in diese Debatte platzt nun ein Thesenpapier der Bochumer Wirtschaftswissenschaftler. Darin betrachten sie Studiengebühren rein ökonomisch und kommen zu dem Schluss: „Studiengebühren sind sozial gerecht und geboten.“ Erstellt haben die Wissenschaftler das Papier, in dem sie Argumente gegen Studiengebühren vorstellen und anschließend auseinandernehmen, bereits vor drei Jahren. „Damals herrschte eine große Unsicherheit über den Sinn von Studiengebühren, sowohl an der Uni als auch im Ministerium“, sagt ihr Wortführer Prof. Stefan Winter. Nun sei die Diskussion im Wahlkampf wieder aufgeflammt, so dass sich das Team zu einer Überarbeitung entschlossen habe. „Wir wollen damit auch deutlich machen, was Gebühren an der Uni bewirken können“, sagt Winter, und nennt als Beispiel seinen Lehrstuhl, der 1,5 Mitarbeiterstellen mehr habe und auch zusätzliche Seminare anbieten könne.
Flächendeckendes Kreditsystem gefordert
Die vielfach geforderte Abschaffung der Studiengebühren sei daher keine Lösung für das Bildungssystem, in dessen Hochschulen deutlich mehr Studenten aus reicheren als aus armen Familien sitzen. „Vom kostenlosen Studium profitieren vor allem die Wohlhabenden, da sie diesen Bildungsweg ohnehin mehr nutzen.“ Aus staatlicher Umverteilungssicht sei Gebührenfreiheit genauso unsinnig wie der verminderte Mehrwertsteuersatz auf Lebensmittel. Dieser komme eben nicht nur den sozial Schwachen, sondern vor allem den Besserverdienenden zu Gute. Und da sie auch für Lebensmittel mehr ausgäben, würden sie pro Kopf mehr gefördert als die Schwachen.
Die aber, die nicht studieren und durchschnittlich ein niedriges Lebenseinkommen haben, finanzierten darüber hinaus über ihre Steuern die Ausbildung der reicheren Studenten mit. So entstehe eine faktische Umverteilung von unten nach oben, auf die schon Karl Marx hingewiesen habe.
Damit aber auch Kindern aus Arbeiterhaushalten der Sprung an die Uni gelingt, wollen die Wissenschaftler Studenten individuell fördern. Sie schlagen ein flächendeckendes Kreditsystem zur Gegenfinanzierung vor, bei dem die Möglichkeit besteht, die Rückzahlung einkommensabhängig zu gestalten und ärmeren Hochschul-Absolventen den Kredit sogar komplett zu erlassen. Das soll auch die Studenten, die Angst vor einem Schuldenberg zum Berufsstart haben und zudem ihre Jobaussichten noch nicht einschätzen können, zum Studium animieren.
Zu viele Studenten wanderten ab
Der generelle Verzicht auf Studiengebühren hat laut Winter mehrere Nachteile – vor allem mit Blick auf die Globalisierung der Arbeitswelt: „So laden wir weltweit zur Plünderung ein.“ Menschen aus dem Ausland könnten kostenlos in Deutschland studieren. „Aber anschließend geben wir ihnen keine Aufenthaltsgenehmigung und jagen sie aus dem Land.“ Außerdem wanderten derzeit vor allem deutsche Mediziner nach England und Skandinavien ab – die Kosten für ihr teures Studium zahlen sie laut Winter dann eben nicht über ihre Steuern in Deutschland zurück. „Da die europäische Hochschulpolitik explizit auf eine Erhöhung der internationalen Mobilität ausgerichtet ist, entzieht gerade diese Politik selbst der Gebührenfreiheit ihre Legitimation“, heißt es im Thesenpapier.
Die Wissenschaftler erkennen an, dass der Verzicht auf Gebühren das Studium gerade für ärmere Abiturienten zunächst attraktiv erscheinen lässt. „Allerdings hatten wir 60 Jahre lang keine Gebühren und trotzdem setzte und setzt sich der überwiegende Teil der Studenten aus besser situierten Familien zusammen.“
Blieben die Studiengebühren auch bei der neuen Landesregierung erhalten, würden sich langfristig rentable und weniger rentable Studienfächer, die dann mit einem Rückgang der Studentenzahlen rechnen müssten, herausbilden. Das ist von den Wissenschaftlern aber durchaus gewollt: „Keine Volkswirtschaft kann es sich auf Dauer leisten, in erheblichem Maß in die Bereitstellung von Studiengängen zu investieren, die negative Bildungsrenditen erzeugen.“ Es wäre das Aus für viele der sogenannten „Orchideen-Fächer“ wie Skandinavistik oder Ökotrophologie.
Das Wort „Gerechtigkeit“ hört Stefan Winter in der aktuelle Debatte um Studiengebühren oft. Er gibt zu bedenken: „Wer fördert eigentlich die Menschen, die es nicht bis zur Uni schaffen?“
Das Papier zum Weiterlesen finden Sie hier.