Münster. . Eltern haben das Recht, die Schule für ihr Kind frei zu wählen. Doch wenn die Wunschschule mehr Anmeldungen als Plätze hat, hagelt es Absagen.

Wenn Anfang Februar die Viertklässler ihre Halbjahreszeugnisse in den Händen halten, gehen sie los: Die Anmeldungen zu den weiterführenden Schulen. Und je nach Region, Stadt und Wunschschule beginnt damit auch ein Verteilungskampf. Denn längst nicht jeder Schüler kann die Schule besuchen, die die Familien ausgesucht haben. An diesem Mittwoch beschäftigt sich auch das Oberverwaltungsgericht in Münster mit der Klage einer Frau aus Essen, die die ihren Sohn gerne auf die Gesamtschule im Nachbarort Heiligenhaus geschickt hätte, aber abgewiesen wurde.

Die Schule lehnte den Jungen jedoch mit dem Hinweis auf zu viele Bewerber ab. Die Richter in Münster müssen jetzt prüfen, ob die damalige Schulleiterin das Aufnahmeverfahren ordnungsgemäß durchgeführt hat. Inzwischen steht die Schule unter neuer Leitung.

Kein Einzelfall. Und auch kein neues Problem, wie Behrend Heeren vom Verband Gemeinnützige Gesellschaft Gesamtschule (GGG NRW) berichtet. Gerade beim anhaltenden Mangel an Gesamtschulplätzen würden immer wieder Gerichte eingeschaltet. «Vielen Eltern ist es schwer vermittelbar, wie Schulen entschieden haben, selbst wenn sie nach klaren Regeln handeln», sagt Heeren.

Tränen und Enttäuschung bei Ablehnung

Beispiel Köln: Die Gesamtschulen in der wachsenden Großstadt mussten im vergangenen Schuljahr 960 Schüler ablehnen - obwohl gerade erst zwei neue Schulen des Typs eröffnet worden waren. «Man muss den Kindern von Anfang an deutlich machen, dass es neben der Wunschschule auch noch Alternativen gibt, damit der Schaden in den Familien so gering wie möglich ist», rät eine Sprecherin.

Tränen und Enttäuschung bei einer Ablehnung kennt auch Christian Birnbaum, Anwalt für Schulrecht und Experte für Schulplatzklagen. Weit über hundert solcher Fälle hat er in den vergangenen Jahren durchgefochten. «Es gibt Eltern, die glauben, dass mit einer Absage die Laufbahn ihrer Kinder ein für alle mal verbaut ist», erklärt er die Motivation seiner Mandanten. Andere fühlten sich ungerecht behandelt, wenn etwa alle Nachbarskinder einen Platz haben und sie leer ausgehen.

Schulleiter können Wunschkandidaten unterbringen

In NRW sei die rechtliche Situation vergleichsweise klar geregelt, so der Anwalt. So müssen Schulen mit einem Bewerberüberhang zunächst ihren Spielraum bei der Klassengröße ausschöpfen. Hier versuche so manche Schule unzulässigerweise Plätze als Reserve vorzuhalten. Auch können Härtefälle den Vorrang bekommen. «Sind die Kapazitäten tatsächlich erschöpft, stellt sich die Frage, ob die Plätze in einem rechtmäßigen Verfahren vergeben wurden», sagt Birnbaum.

Der Gesetzgeber sieht in einer Verordnung mehrere Kriterien vor, nach der die Schulleitung auswählen kann: Besuchen Geschwister schon die Schule? Gibt es ein ausgewogenes Geschlechter-Verhältnis sowie zwischen guten und schlechten Schülern und zwischen Schülern unterschiedlicher Muttersprachen? Auch die Frage, wie weit der Schulweg ist oder ob die zuvor besuchte Grundschule in der Nähe liegt, kann, muss aber kein Auswahlkriterium sein. «Der Schulleiter hat hier Gestaltungsfreiheit, welche Kriterien er anwendet», sagt Birnbaum.

Ein Problem sieht der Anwalt vor allem in der gängigen und ebenfalls erlaubten Praxis, das Los mitentscheiden zu lassen. «Da wird regelmäßig gemauschelt. Schulleiter bekommen so die Möglichkeit, ihre Wunschkandidaten unterzubringen - zu Lasten anderer abgelehnter Schüler», ist er überzeugt. Und so ist er sicher, dass auch nach dieser Anmelderunde wieder Arbeit auf ihn zukommen wird.

Offenheit und Durchlässigkeit der Schulform

Angebot und Nachfrage passen vor allem bei Gesamtschulen, aber auch bei einigen städtischen Gymnasien mit besonders gutem Ruf an einigen Standorten nicht immer übereinander, bestätigt auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in NRW. Zu Zeiten der schwarz-gelben Landesregierung zwischen 2005 und 2010 habe es keine einzige Neugründung einer Gesamtschule gegeben, sagt deren Vorsitzende Dorothea Schäfer. Erst mit dem Schulkonsens von SPD, Grünen und CDU änderte sich das: Längeres gemeinsames Lernen ohne Festlegung auf einen Schulabschluss bereits in der fünften Klasse ist inzwischen an 334 Gesamtschulen möglich - zum Schuljahr 2017/18 gab es mehr als 300 000 Gesamtschüler.

«Es ist die große Offenheit und Durchlässigkeit dieser Schulform, die Eltern reizt», sagt Schäfer. Außerdem seien fast alle Gesamtschulen im Land als gebundener Ganztag organisiert - für viele berufstätige Eltern schlagendes Argument für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Auch im kommenden Jahr rechnen GEW und GGG in Nordrhein-Westfalen wieder mit einen Run auf die in manchen Städten und Regionen raren Plätze. (dpa)