Istanbul. Türken, die ihren Partnern nach Deutschland folgen, müssen Deutsch lernen - so steht es im Zuwanderungsgesetz.Weil von der Prüfung so viel abhängt, herrscht im Istanbuler Goethe-Institut Stress. Kursteilnehmer erzählen.

Im Treppenhaus des Goethe-Instituts ist kein Durchkommen. Im ersten Stock, dort, wo man sich zum Deutschkurs anmeldet, hat sich ein Stau gebildet. Ein Mitarbeiter versucht, sich Gehör zu verschaffen. "Leider keine freien Plätze mehr." Aufgeregtes Geschnatter. Gleich rechts hinter der Tür, in ihrem Büro, sitzt Erika Broschek und guckt ein bisschen verzweifelt. Die 54-Jährige ist Leiterin der Sprachabteilung. "Kalt erwischt" habe sie der Andrang bei ihrer Ankunft in Istanbul vor einigen Monaten, sagt sie. Grund für den Boom auf dem türkischen Deutsch-Kurs-Markt ist aber kein plötzliches Interesse an der Sprache der Dichter und Denker, sondern das neue Zuwanderungsgesetz, das Deutschkenntnisse als Voraussetzung für den Ehegattennachzug vorschreibt. Die Prüfungen darf nur das Goethe-Institut abnehmen.

70 Schüler, die 20 Stunden pro Woche Intensiv-Unterricht erhalten, mündliche und schriftliche Tests für eigene und auswärtige Schüler, das sprengt die Kapazitäten des Istanbuler Instituts. Eine Früh- und eine Mittagsschicht wurden eingerichtet, Wartelisten auch, und einige der Schüler sogar weitergereicht. Ans Österreichische Institut, "eigentlich unsere Konkurrenz", sagt Broschek.

Die Kursteilnehmer kann Erika Broschek nicht aussuchen. Sie beschreibt sie als "schwierig". Grundschulabgänger sind darunter, die meisten Frauen. Viele, die erst lernen müssen, zu lernen. Und dann ist da noch die Sache mit der richtigen Einstellung. Broschek: "Viele sagen, ich gehe ja nicht nach Deutschland, sondern zu meiner Familie. Aber sie gehen doch nach Deutschland, das ist ja die Krux."

* Die Kursteilnehmer plagen andere Sorgen. Die künftigen "Import-Bräute" - es sind auch immer mehr Bräutigame darunter - haben vor Monaten geheiratet, schlagen sich seitdem mit Papierkram herum und träumen von der Einreise nach Almanya - wenn auch nicht mehr so kritiklos, wie es die Auswanderergenerationen vor ihnen taten. "Ich wünschte, er würde hierhin kommen", sagt Songül Dursun, die im vierten Monat schwanger ist. Sie müsse gar nicht unbedingt nach Deutschland. So denken auch andere, die sich fühlen, als werde ihr Eheglück von bösen deutschen Gesetzen auf die lange Bank geschoben. Doch sie wissen: Für ihre Ehepartner, Deutschtürken der zweiten und dritten Generation, deutsche Staatsangehörige mit deutschem Schulabschluss und deutscher Sozialisation, ist ein Leben in der Türkei nicht vorstellbar.

Sie hätten ja nichts dagegen, Deutsch zu lernen, sagen die Kursteilnehmer. Aber so unter Zwang, das gefalle ihnen nicht. Besonders für jene, die für den dreimonatigen Unterricht nach Istanbul kommen mussten, weil er in ihrer Stadt nicht angeboten wird, ist der Druck groß. "Eine psychische und finanzielle Belastung" sei das, sagt Aysun Bozkaya. Die 26-Jährige aus Tunceli in Ostanatolien ist bei Verwandten untergekommen, hat das Gefühl, zur Last zu fallen, weiß ohne eigenes Zimmer nicht, wo sie lernen soll und hat große Angst, die Prüfung nicht zu bestehen. Schließlich lasten alle Erwartungen auf ihr. Die Kursgebühren, fast 600 Euro, mehr als ein türkisches Durchschnittsgehalt, werden aus Deutschland überwiesen.

Auf die Frage, ob sie denn auch freiwillig einen Kurs besucht hätten, reagieren einige beleidigt. Selbstverständlich wollten sie Deutsch lernen. "Ich will mir doch in Deutschland ein Leben aufbauen und Karriere machen", sagt Narin Uslu. Das hübsche Gesicht der 24-Jährigen wird von einem bunten Kopftuch umrahmt. Ihre Augen funkeln selbstbewusst. "Vielleicht denken die ja, dass wir nur zuhause herumsitzen wollen, aber wir sind jetzt viel lernbegieriger." Sie spielt auf die vorherigen Generationen von "Import-Bräuten" aus der Türkei an. Sie habe das Gefühl, jetzt dafür büßen zu müssen, dass die anderen sich so wenig integriert haben.

* Chatten, mailen, telefonieren. Das ist das einzige, was den Istanbuler Kursteilnehmern bleibt, um mit ihrem Partner in Kontakt zu bleiben, bei manchen geht das schon seit zwölf Monaten so. Zuletzt gesehen haben sie sich im Sommer, als die "Deutschländer" gekommen waren, um Urlaub zu machen - und zu heiraten. Als die Ferien um waren, blieben die türkischen Eheleute allein zurück, mit der für manche riesengroßen Bürde: Lern' Deutsch!

Perihan Avcil und Sevda Alibulunt haben ein bisschen mehr Glück als die anderen. Ihre Ehemänner sind aus Duisburg und Koblenz angereist, um ihnen beim Pauken beizustehen. Um sechs Uhr in der Früh' stehen sie auf, fahren mit ihren Frauen zum Kurs, die Wege sind weit in Istanbul. Im Cafe des Goethe-Instituts warten sie aufs Unterrichtsende. "Wir üben zusammen bis tief in die Nacht", erzählt Gültekin Avcil. Der 32-jährige Schweißer ist Witwer, im August haben er und Perihan geheiratet. Und Gültekin ist sauer. "Wir fühlen uns veräppelt", sagt er. Als das neue Gesetz kam, hätte es keinen Spielraum gegeben, keine Schonfrist. Außerdem sei es unfair, dass die Deutschpflicht nicht für alle Nationalitäten gelte.

* Eine Woche später ist Prüfung. Sevda und Perihan haben bestanden, wie 90 Prozent aller Prüflinge. Sie sei vor Freude "an die Decke gesprungen", sagt Perihan. Jetzt freue sie sich am meisten auf ihre Wohnung in Meiderich. Dort wartet der nächste Kurs auf sie, 600 Stunden Deutsch plus 30 Stunden Orientierungshilfe. Doch das ist der 20-Jährigen jetzt egal. Sie hat die Prüfung bestanden, das Zertifikat in der Tasche. "Die Deutschen sollen nicht denken, dass wir wegen des neuen Gesetzes jetzt aufgeben und nicht kommen", sagt Sevda, "wir Türken lieben es, uns mit Schwierigkeiten auseinanderzusetzen."