Berlin. Der Missbrauchsskandal hat den emeritierten Papst Benedikt erreicht – das ist verheerend für die katholische Kirche, so Gudrun Büscher.
Der emeritierte Papst Benedikt XVI. (94) will für die Missbrauchsopfer beten. Er bedauert, was Diener Gottes Mädchen und Jungen angetan haben, ließ er über seinen Privatsekretär wissen. Doch damit ist es nicht getan.
Auch am Tag nach der Veröffentlichung des Gutachtens über sexuellen Missbrauch in der Erzdiözese München und Freising legt sich die Empörung nicht. Das hat auch damit zu tun, dass das System aus Lügen und Vertuschung bis hinauf zum früheren deutschen Papst reicht. Und seit mehr als einem Jahrzehnt hat sich nichts geändert: Die Kirchenmänner geben nur das zu, was nicht mehr zu leugnen ist.
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Zahl der Opfer ist viel höher
Aber jetzt braucht es keine neuen Worte der Entschuldigung, sondern tätige Reue. Das Gutachten nennt fast 500 Männer und Frauen, die bis heute darunter leiden, was ihnen Priester und andere Kirchenleute angetan haben. Es waren Kinder und Jugendliche, die ihnen vertraut hatten und deren seelische Wunden oft bis heute nicht verheilt sind.
Abgründe öffnen sich, wenn sie zu erzählen beginnen. Aus anderen Gutachten weiß man, dass die Zahl der Opfer viel höher ist, dass das Dunkelfeld um ein Vielfaches größer ist.
Kein Unrechts- oder Schuldbewusstsein
Nicht nur für Katholikinnen und Katholiken ist es unerträglich, dass es noch immer kein Unrechts- oder Schuldbewusstsein zu geben scheint. Auch die Kälte, das fehlende Mitgefühl ist schockierend und steht in einem krassen Missverhältnis zu allem, woran Katholiken glauben.
Dass der Skandal Benedikt erreicht hat, ist für die Kirche verheerend. Ausgerechnet der frühere Papst, der so stolz ist auf sein gutes Gedächtnis, beteuerte, er habe als Erzbischof 1980 nichts davon gewusst, dass ein pädophiler Kaplan in seinem Bistum eine neue Chance bekam – und rückfällig wurde. Er habe an der entsprechenden Sitzung nicht teilgenommen.
Doch die Akten sprechen eine andere Sprache. Der kriminelle Priester wurde geschützt, und Benedikt tut so, als hätte er nichts damit zu tun. Doch nicht nur er steht in der Verantwortung. Auch seine Nachfolger haben nicht genug getan, um die Täter von ihren jungen Opfern fernzuhalten.
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Kirchenführung hat sich von den Menschen entfernt
Mit jedem Vorwurf wächst die Entfremdung der Gläubigen von ihrer Kirche. Und selbst die Versuche, die Opfer zu entschädigen, zeigen, wie weit sich die Kirchenführung von den Menschen entfernt hat. Schon auf die Idee zu kommen, die Entschädigungszahlungen aus der Kirchensteuer zu begleichen, war empörend.
Wieso sollten die Gläubigen – zu denen sogar die Leidtragenden gehören könnten – für die Wiedergutmachung aufkommen?
Die Kirche muss unverzüglich die Schuld anerkennen
Wer nach Gründen sucht, warum die Katholiken in Scharen aus der Kirche austreten, wird schnell fündig. Die Fassungslosigkeit über „die da oben“ wächst. Der Synodale Weg, den die Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der Katholiken ins Leben riefen und der zu Umkehr und Erneuerung führen sollte, steckt in einer Sackgasse.
Die Bischöfe sind nicht mal bereit, eine unabhängige Ombudsstelle einzurichten, wo sich Missbrauchte offenbaren können. Die moralische Instanz Kirche ist durch Doppelmoral untergraben. Immer mehr Menschen halten sie für weltfremd.
Hoffnung auf Heilung besteht nicht. Viele Diözesen haben bis heute nicht wirklich damit begonnen, nach den Tätern in den eigenen Reihen zu suchen. Vor allem aber darf diese schmerzhafte Wahrheitssuche keine Ausrede mehr dafür sein, nichts zu tun. Eine Organisation, die Nächstenliebe predigt, kann die Missbrauchten nicht ewig vertrösten und mit Almosen abspeisen. Sie muss unverzüglich die Schuld anerkennen, die sie durch Hunderte krimineller Geistlicher auf sich geladen hat – und endlich handeln.