Düsseldorf/Münster/Bochum. Die Abschiebung des mutmaßlichen Terrorhelfers Sami A. war illegal. Muss die Stadt Bochum ihn jetzt zurückholen? Wir beantworten Fragen.
Sami A. hätte nicht abgeschoben werden dürfen. Das hat das Oberverwaltungsgericht Münster am Mittwoch entschieden. Wie geht es jetzt weiter? Antworten auf die drängendsten Fragen.
Muss Bochum Sami A. jetzt aktiv zurückholen?
Nein. Sami A. werde nicht geholt, sondern müsse von sich aus nach Deutschland zurückreisen, sagte ein Sprecher der Stadt Bochum. Das Auswärtige Amt müsse Sami A. ein Visum für die Einreise ausstellen. "Wir als Stadt geben der Anwältin von Sami A. jetzt eine Kostenzusage für den Rückflug", sagte Sprecher Thomas Sprenger. Mehr könne die Stadt nicht tun.
In diesem Einzelfall stelle die Ausländerbehörde eine sogenannte Betretenserlaubnis aus, damit der als islamistische Gefährder geltende Sami A. trotz der bestehenden Einreisesperre nach Bochum zurückkehren könne. Zudem will die Stadt die Kosten für den Rückflug übernehmen. Nach seiner Ankunft in Deutschland müsse A. sich umgehend bei der Ausländerbehörde der Stadt Bochum melden, hieß es. Er erhalte lediglich eine Duldung und keine Aufenthaltserlaubnis.
Das Gericht erwartet von der Politik "diplomatische Bemühungen", um die Rückkehr von Sami A. voranzutreiben. Diese Forderung richtet sich naturgemäß allerdings eher ans Außenministerium und Kanzleramt, von der Stadt Bochum ist das nicht zu erwarten.
Welche juristischen Schritte sind noch möglich?
Theoretisch könnte die Stadt Bochum sich noch an das Bundesverfassungsgericht wenden. Die Stadt hatte allerdings schon vor der Entscheidung der Münsteraner Richter angekündigt, diesen Weg nicht beschreiten zu wollen.
Darf Sami A. Tunesien überhaupt verlassen?
Unklar. Sami A. war vor einigen Wochen von tunesischen Sicherheitsbehörden auf freien Fuß gesetzt worden. Die Ermittlungen gegen ihn liefen aber weiter, hieß es, deshalb dürfe er das Land nicht verlassen. Entsprechend verhalten reagierten die Behörden am Donnerstag auf den Gerichtsbeschluss aus Deutschland.
Hätte Sami A.s Abschiebung verhindert werden können?
Ja, sagen die Richter. Sie monierten ausdrücklich, dass die Abschiebung am 13. Juli selbst nicht mehr abgebrochen wurde. Die Entscheidung, dass Sami A. wegen einer möglichen Folterdrohung nicht nach Tunesien abgeschoben werden dürfe, sei dem Bamf um 8.14 Uhr und damit eine Stunde vor dessen Übergabe an die tunesischen Sicherheitskräfte mitgeteilt worden. Spätestens um 8.44 Uhr habe davon die Stadt Bochum Kenntnis gehabt. Die organisatorisch eingebundene Bundespolizei hatte eingeräumt, dass bereits ein Funkspruch ins Cockpit für den Abbruch der Aktion ausgereicht hätte.
Was bedeutet das Urteil für die Landesregierung?
Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) steht nach dem Urteil gehörig unter Druck. Er hatte „die persönliche Verantwortung“ für die umstrittene Abschiebung Sami A.s vom 13. Juli übernommen. Da diese Abschiebung offensichtlich rechtswidrig war, fordern mehrere Oppositionspolitiker nun Stamps Rücktritt. Stamp hat für Donnerstagnachmittag eine Pressekonferenz angekündigt.
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Auch Innenminister Herbert Reul (CDU) steht unter Beschuss. Reul hatte gegenüber der Rheinischen Post gesagt: "Die Unabhängigkeit von Gerichten ist ein hohes Gut. Aber Richter sollten immer auch im Blick haben, dass ihre Entscheidungen dem Rechtsempfinden der Bevölkerung entsprechen." Er bezweifle, ob das bei diesem Beschluss der Fall sei. Wenn die Bürger Gerichtsentscheidungen nicht mehr verstehen, sei das "Wasser auf die Mühlen der Extremen". Für die Äußerungen wurde Reul von Juristen und Oppositionspolitikern scharf kritisiert.
Und auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) muss sich rechtfertigen. Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki wirft ihm "unglaubliches Versagen" vor. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) - und damit der Innenminister - habe es bis heute versäumt, die vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen geforderte Verbalnote herbeizuschaffen, "wonach garantiert wird, dass Sami A. in tunesischen Gefängnissen nicht gefoltert wird", sagte er der Nachrichtenagentur dpa.
Was sagt Ministerpräsident Laschet dazu?
Laschet verteidigt das Vorgehen der Behörden im Fall des abgeschobenen Islamisten Sami A. Im Deutschlandfunk sagte er, nach seiner Auffassung sei nach Recht und Gesetz gehandelt worden. Die Kritik an der Abschiebung bezeichnete er als "parteipolitische Spiele".
Was ändert sich nun in der Asylpolitik?
Voraussichtlich wenig. Minister Stamp kündigte an, den Vorwurf, das Gericht getäuscht zu haben, mit der Veröffentlichung von Dokumenten entkräften zu wollen. Außerdem versicherte er: „Unser Kurs der konsequenten Abschiebung von Gefährdern wird unverändert fortgesetzt.“ (dor/tobi/dpa/epd)