Düsseldorf . Laschets Regierungskommission für mehr Sicherheit in NRW präsentiert überraschend einen Forderungskatalog für mehr Schutz vor Kindesmissbrauch.
Die sogenannte „Bosbach-Kommission“ für mehr Sicherheit in Nordrhein-Westfalen hat Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) überraschend ein lange Liste konkreter Reformmaßnahmen zum besseren Schutz vor Kindesmissbrauch vorgelegt.
Der frühere Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach (CDU) präsentierte als Kommissionschef mit seinem Co-Vorsitzenden Robert Orth (FDP) am Mittwoch der Staatskanzlei eine erste zwölfseitige Handlungsempfehlung. Die 16-köpfige Regierungskommission „Mehr Sicherheit für Nordrhein-Westfalen“ tagt seit Januar 2018 unter Bosbachs Führung vertraulich und unabhängig vom eigentlich zuständigen Innenministerium. Die Opposition hatte zuletzt mehrfach Ergebnisse eingefordert und das Gremium als Wahlkampf-Gag Laschets abqualifiziert.
Der Bericht zum Thema Kindesmissbrauch ist nun der erste öffentliche Arbeitsnachweis nach 15 Sitzungen und Außenterminen. Dass Teilergebnisse der Staatskanzlei übergeben wurden, erklärte Bosbach mit der Aktualität der Debatte um den massenhaften Kindesmissbrauch auf einem Campingplatz im ostwestfälischen Lügde. „Es war unser Ziel, unsere Expertise so schnell wie möglich mit den Ministerien und Ermittlungsbehörden zu teilen“, erklärte der CDU-Politiker. Die Kommission kommt damit einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Landtags zuvor, der auf Antrag der Opposition vor allem die Polizei-Fehler im Fall Lügde durchleuchten und strukturelle Veränderungen beraten soll.
Konkret schlägt die „Bosbach-Kommission“ mehrere Reformschritte vor:
1. Ärzteaustausch: Eine neue Datenbank soll Kinderärzten helfen, Hinweise auf Kindesmissbrauch leichter zu einem Gesamtbild zusammenzufügen. Da Täter häufig mit den Opfern den Kinderarzt wechselten, sei es für Mediziner nicht leicht, schon aus kleineren Verletzungen einen Verdacht auf Missbrauch herauszulesen. Durch eine Änderung des Kinderschutzgesetzes sollen künftig verschlüsselt bereits vage Verdachtsfälle in eine Datenbank eingepflegt werden. Damit würde man über das jüngst eingerichtete „Kompetenzzentrum Kindeswohl“ von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hinausgehen, das erstmals überhaupt einen Austausch von Diagnosen unter Ärzten zum Thema Kindesmissbrauch ermöglichte. Die ärztliche Schweigepflicht setzt dem enge Grenzen.
2. Zusammenarbeit von Polizei und Jugendhilfe: Bislang darf das Jugendamt die Polizei erst bei einem konkreten Verdacht auf Missbrauch einschalten. Die Bosbach-Kommission will Datenschutz-Vorschriften so anpassen, dass bereits bei einem vagen Verdacht der Austausch erleichtert wird.
3. Frühwarnsystem: Staatliche Stellen, die mit Kindern zu tun haben, sollen in Fortbildungen besser für Kindeswohlgefährdungen sensibilisiert werden. Das sind Lehrer und Erzieher, aber auch Mitarbeiter von Feuerwehr und Rettungsdiensten, die Einblick in Wohnverhältnisse bekommen können.
4. Mehr Personal für Inobhutnahmen: Wenn die Gefahr der schwerwiegenden Misshandlung eines Kindes in der Luft liegt, sollen Jugendämter genug Personal vorhalten, um auch unverzüglich einzuschreiten. Fehlende Mitarbeiter oder Schutzplätze dürfen nicht zum Wegschauen verleiten. „Es muss verhindert werden, dass die Hemmschwelle, entsprechende Maßnahmen zu treffen, aufgrund fehlender Kapazitäten nach oben verschoben wird“, heißt es im Kommissionsbericht.
5. Weniger Opfervernehmungen: Die Vernehmung kindlicher Missbrauchsopfer erfordert eine besondere Ausbildung. Die Polizei braucht zusätzliche Experten mit diesem besonderen Einfühlungsvermögen. Außerdem spricht sich die Kommission dafür aus, den Kindern weniger Vernehmungen zuzumuten, damit sie ihr Leid nicht immer wieder ausbreiten müssen und obendrein juristische Streitigkeiten über ihre Glaubwürdigkeit zu ertragen haben. Die Idee: Speziell geschulte Ermittlungsrichter sollen die Vernehmung der Opfer direkt in Begleitung eines Gutachters übernehmen. Die gerichtliche Verwertung einer entsprechenden Video-Aufzeichnung dieser Vernehmungen soll auch gegen den Willen des Angeklagten ermöglicht werden.
6. Spezielle Beweissicherungsteams: Die Kommission will die mobilen Einsatzkommandos der Polizei so aufrüsten, dass sie beim ersten Zugriff in der Wohnung eines Verdächtigen besser Beweismaterial sichern können. Die frühe Sicherung computerforensischer Beweise ist gerade im Bereich Kinderpornografie extrem wichtig.
7. Umgang mit Datenmengen: Digitale Spuren sind bei Kindesmissbrauch und Kinderpornografie so relevant, dass die „Bosbach-Kommission“ neue Standards in der Polizei-Arbeit fordert. Asservate sollen nach einheitlichen Kriterien gesichert, von einer zentralen Expertengruppe über leistungsstarke Datenleitungen ausgewertet und wegen der schieren Datenmassen häufiger mit Hilfe computerforensischer Spezialsoftware durchleuchtet werden. Im Fall Lügde waren 155 CDs aus der Kreispolizeibehörde Lippe verschwunden.
„Erfolgreicher Kinderschutz kann nur sichergestellt werden, wenn alle beteiligten Behörden, Institutionen und Verbände Hand und Hand arbeiten“, bilanziert die Bosbach-Kommission in ihrem Papier.