Essen. Viele Apotheken und Praxen werden am 15. November aus Protest geschlossen sein. Es geht um mehr Geld und gegen die Politik eines Mannes.

Patientinnen und Patienten müssen am Mittwoch, 15. November, mit erheblichen Einschränkungen bei der ambulanten Versorgung rechnen: In ganz NRW werden erneut zahlreiche Apotheken geschlossen bleiben. Apothekerinnen und Apotheker protestieren zum dritten Mal für mehr Geld und gegen die Politik von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Der gesamte November ist ein Protestmonat der Apotheken in Deutschland - in NRW beteiligen sich am 15. November auch viele Hausärztinnen und Hausärzte, die ihre Praxen schließen.

Was kommt auf Patientinnen und Patienten zu?

Nach Angaben der Apothekerverbände werden die Mehrheit der Apotheken am 15. November geschlossen sein. Apothekerinnen und Apotheker wollen an dem Tag in einem Demonstrationszug mit tausenden Teilnehmern durch Dortmund ziehen, sagte der Chef des Apothekerverbandes Nordrhein, Thomas Preis. In Westfalen-Lippe wird die Beteiligung auf weit mehr als 80 Prozent der Apotheken geschätzt.

Auch viele Ärztinnen und Ärzte machen mit: Die rund 2500 Arztpraxen des Hausärzteverbandes Nordrhein werden an dem Tag ab 10 Uhr zu einer gemeinsamen Fortbildung aufgerufen, wie eine Verbandssprecherin sagte. Sie rechnet damit, dass mehr als jede zweite Praxis geschlossen werde. Lars Rettstadt, Vorsitzender des Hausärzteverbandes Westfalen-Lippe, geht ebenfalls von einer hohen Protestbeteiligung aus: „Die Frustration über die verfehlte Gesundheitspolitik der Bundesregierung ist groß.“

Was heißt das für die Versorgung?

Patientinnen und Patienten sollten sich rechtzeitig in der Apotheke oder Praxis informieren und auf Aushänge achten. „Grundsätzlich sollten die Patienten sich darauf einstellen, dass nahezu alle Apotheken geschlossen sind“, sagte eine Sprecherin des Apothekerverbands Westfalen-Lippe. Die Versorgung über die Notdienste sei gewährleistet. Informationen, welche Apotheke Notdienst hat, gibt es darüber hinaus auf www.aponet.de und über die kostenfreie Festnetznummer 0800 00 22 8 33. Der ärztliche Bereitschaftsdienst ist unter 116 117 zu erreichen.

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Worum geht es bei dem Protesttag der Apotheken und Arztpraxen?

Das Aktionsbündnis Patientenversorgung im Bereich Nordrhein, zu dem Apotheken, Haus- und Zahnärzte gehören, spricht von einer eklatanten Unterfinanzierung und einer immer weiter zunehmenden Versorgungslast. Honorare und Vergütungen müssten erhöht werden und kontinuierlich an die steigenden Anforderungen angepasst werden: „Wir brauchen angemessene Honorare, die sich am Arbeitsaufwand und an den steigenden Kosten orientieren“, so die Akteure des Bündnisses. Zu dem Bündnis gehört auch der Freie Verband der Zahnärzte Nordrhein, der seine Mitglieder ebenfalls zum Protest aufruft.

Was bedeutet das konkret in den Apotheken?

Teil des Problems ist aus Apothekersicht der in der Arzneimittelpreisverordnung festgelegte Apothekenzuschlag. Er wird auf den Einkaufspreis eines Fertigarzneimittels aufgeschlagen und soll einer Apotheke ermöglichen, ihre Betriebskosten zu decken. Die Betriebskosten sind wie vielerorts durch Inflation und Tariferhöhungen gestiegen – der Apothekenzuschlag ist zuletzt 2013 erhöht worden.

Das Fass zum Überlaufen gebracht habe, dass die Apothekenvergütung Anfang des Jahres gekürzt worden sei, sagt Michael Beckmann, seit 1999 Apotheker mit 16 Beschäftigten in Dortmund. „Die Kürzungen bedeuten für eine normale Apotheke einen hohen vier- bis fünfstelligen Betrag“, rechnet der 56-jährige Inhaber der „Markt-Apotheke“ den Verlust vor. „Das lässt uns vor Wut schäumen.“ Der Druck steigt: Elf Prozent der Betriebe schreiben rote Zahlen, ein Drittel sieht sich wirtschaftlich gefährdet.

Beckmann erinnert an die Zeit der Corona-Pandemie, in der die Apotheken viele Aufgaben übernommen hätten. „Klar haben wir auch mehr verdient in der Zeit, aber wir haben auch bis zu 70 Stunden in der Woche gearbeitet. Da ist es eine Unverschämtheit, jetzt Mittel zu kürzen.“

Hat der Medikamentenmangel etwas mit dem Ärger zu tun?

Normalerweise arbeitet eine Apotheke mit ein oder zwei Großhändlern. Wenn Engpässe bestehen, klappern Beschäftigte andere Händler ab, versuchen es auch im Ausland oder telefonieren dem behandelnden Arzt hinterher. „Wenn ich früher einen Klick brauchte, um ein Medikament zu bestellen, jagen wir heute bis zu 400 Arzneimitteln oft mehrere Tage hinterher“, sagt Beckmann. Laut Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände beläuft sich der Gesamtaufwand pro Jahr in allen 18.000 Apotheken auf 5,62 Millionen Stunden.

Michael Beckmann ist seit 1999 Inhaber der „Markt-Apotheke“ in Dortmund Aplerbeck. Er beteiligt sich am 15. November am Protest der Apotheken gegen die aus ihrer Sicht anhaltende Unterfinanzierung.
Michael Beckmann ist seit 1999 Inhaber der „Markt-Apotheke“ in Dortmund Aplerbeck. Er beteiligt sich am 15. November am Protest der Apotheken gegen die aus ihrer Sicht anhaltende Unterfinanzierung. © FUNKE Foto Services | Andreas Buck

Was fordern die Apothekerinnen und Apotheker?

Der Apothekenzuschlag soll von derzeit 8,35 Euro plus drei Prozent des Einkaufspreises auf 12 Euro steigen und an die Inflation gekoppelt sein. Bei Lieferengpässen soll es zudem einen Zuschlag von 21 Euro geben. Ebenso protestieren sie gegen Pläne von Gesundheitsminister Lauterbach, die Hürden für Filialapotheken zu senken.

Wie reagieren Patientinnen und Patienten bislang auf den „Apothekerstreik“?

Überraschend positiv, berichtet Michael Beckmann in Dortmund. „Zu mir kam eine Kundin, die hatte in der Zeitung von dem Protest gelesen und sagte, dass wir es genau richtig machten. Die Leute haben verstanden, dass es nur vordergründig um unsere Vergütung geht. Es geht um ihre Versorgung.“

Können Apotheker und Ärztinnen überhaupt streiken?

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Zwar wird in diesem Zusammenhang auch von „Apothekerstreik“ gesprochen. Es handelt sich am 15. aber um einen Protesttag. Der Unterschied: Gewerkschaften können Beschäftigte zum Streik aufrufen. Hier wollen aber die Inhaberinnen und Inhaber selbst, also die Apothekerinnen und Ärzte, ihren Unmut kundtun. Dazu schließen sie auf eigenes Risiko ihre Praxen und Apotheken. Das heißt, dass sie auf ihren Umsatz verzichten. „Dass so viele bereit sind, dies zu tun, zeigt, wie schwierig die Situation ist“, sagt eine Sprecherin des Apothekerverbands Westfalen-Lippe.