Münster. Die CDU ringt um den Industriestrompreis, will daraus aber keine neue Runde im Kandidatenstreit machen. Kann das klappen?
Als Friedrich Merz am Dienstagnachmittag den „Engelssaal“ des Atlantic-Hotels in Münster verlässt, trägt er nicht nur frische Sommerbräune im Gesicht, sondern ebenso eine gewisse Zuversicht im Herzen, dass es nun endlich losgehen kann mit der Rückkehr zur Sachpolitik. Konzeptarbeit statt Kanzlerkandidaten-Debatte, das scheint sein frommer Wunsch für die zweite Halbzeit der Berliner Legislaturperiode zu sein.
Bei der Klausurtagung der nordrhein-westfälischen Bundestagsabgeordneten hat der CDU-Partei- und Fraktionsvorsitzende seine Leute auf „ein neues Kapitel in unserer Wirtschaftspolitik“ eingeschworen. Merz will, „dass wir Energie- und Klimapolitik so verbinden, dass daraus ein ganzheitliches Konzept wird“. Keine einseitige Festlegung auf E-Autos und Wärmepumpen, sondern staatlich ermöglichte Technologieoffenheit auf dem Weg zur Klimaneutralität.
Industriestrompreis: Linnemann und Merz sind skeptisch bis ablehnend
Der 67-jährige Sauerländer, der sich während seiner langen Politik-Abstinenz in Aufsichtsräten tummelte und mal als die personifizierte Wirtschaftskompetenz der Union galt, will in der Rezession endlich als, nun ja, „Alternative mit Substanz“ zur zerstrittenen Ampel-Bundesregierung wahrgenommen werden. Die Tagung in Münster soll auf diesem Weg ein erster Schritt sein. Ein wohnungspolitisches Papier wurde dort geschrieben. Vor allem hat sich Merz gemeinsam mit seinem neuen Generalsekretär Carsten Linnemann in die Sachauseinandersetzung über den Industriestrompreis gestürzt. Das liegt ihm. Merz hält erkennbar nichts davon, den Strom von einigen international bedrängten Konzernen künstlich mit Steuermilliarden herunter zu subventionieren. Da ist er Ordnungspolitiker: Nur ein rasch erhöhtes Angebot an Kilowattstunden, notfalls erzeugt mit dem Wiederanfahren von drei deutschen Atomkraftwerken, könne den Preis drücken.
Damit es auch jeder versteht, hat Generalsekretär Linnemann am Dienstagmorgen im „Deutschlandfunk“ noch mal klargestellt: „Ich persönlich habe einfach ein Problem, wenn man sich auf wenige Firmen konzentriert.“ Auch Mittelständler wie die Bäckerei um die Ecke hätte Schwierigkeiten, die Energiekosten wieder reinzuholen. Neben der Erweiterung des Angebots schlug Linnemann als weitere Sofortmaßnahmen eine Senkung der Stromsteuer und Netzentgelte vor.
Sachfragen sind Machtfragen: Bloß keinen neuen Ärger mit Wüst
Das klingt zwar alles nicht so viel anders als aus dem Mund von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der vor zwei Wochen vor der versammelten NRW-Wirtschaft in Düsseldorf eine Absage an „Subventionsstrohfeuer“ in entgeisterte Manager-Gesichter sprach.
Bloß: Hat sich nicht ausgerechnet NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sehr klar für einen Industriestrompreis ausgesprochen und dabei den Schulterschluss mit den Grünen gesucht? Eine Rückkehr zur Atomkraft wäre mit diesem Koalitionspartner für Wüst ja keine aussichtsreiche Option. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung versuchte Wüst am Dienstag zwar, seine Subventionsforderung als eine Art energiepolitische Notwehr wegen angeblicher Untätigkeit der Ampel zu verkleistern. Der Widerspruch zu Merz und Linnemann, die einen „Brückenstrompreis“ allenfalls am Ende eine Maßnahmenkaskade sehen, bleibt jedoch offensichtlich.
Fachfragen sind immer auch Machtfragen. Nach unschönen Wochen, in denen sich Wüst als Mann mit dem „Herzschlag der Mitte“ ziemlich ungeniert zum Rivalen in der K-Frage aufgebaut hat, kann Merz keinen neuen Konflikt mit dem Düsseldorfer Regierungschef gebrauchen. Die Landtagswahlen in Hessen und Bayern nahen, die Umfragewerte im Bund müssen besser werden. CSU-Chef Markus Söder, ein weiterer unausgesprochener Aspirant auf die Scholz-Herausforderung 2025, beschädigt sich möglicherweise mit seinem Agieren in der „Flugblatt-Affäre“ gerade selbst beträchtlich. Freuen kann man sich in der NRW-Landesgruppe darüber kaum, so ist in Münster zu hören, denn bei aller Söder-Skepsis im ehemaligen Laschet-Land sind die Antisemitismus-Vorwürfe doch zu bestürzend.
Flugblatt-Affäre: Beschädigt sich Söder gerade selbst?
„Weil es ja im Sommer eine Rolle gespielt hat“, sagt Merz, wolle er betonen, dass er sich „ganz eng und sehr, sehr kollegial mit Hendrik Wüst“ abstimme. Er stelle „mit großer Genugtuung“ fest, dass die Kooperation zwischen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und der schwarz-grünen Landesregierung in NRW funktioniere. Am Vorabend war der Ministerpräsident Abendessen-Gast der Klausurtagung.
Merz und Wüst hätten sich zuletzt im Sauerland unter Männern ausgesprochen, heißt es. Das Sommerinterview in der ARD hat der Parteichef ebenfalls unfallfrei über die Bühne gebracht, obwohl Böswillige nur auf neue Fehltritte gewartet hatten. Wüst tat Merz zudem den Gefallen, im Interview mit der Süddeutschen dessen Führungsanspruch ausdrücklich anzuerkennen und in der K-Frage nicht weiter zu zündeln. Das hindert Wüst freilich nicht daran, an diesem Mittwoch und Donnerstag mit eigens nach NRW gelotstem Mediengefolge erneut auf Roadshow zu gehen. „Sommertour“ nennt sich das, schöne Bilder und neue Kanzler-Spekulationen garantiert.