Willingen. Die Ministerpräsidenten aus NRW und Hessen auf Tour mit großem Pressetross - ein neues strategisches Duo in der CDU-Kursdebatte?

Hendrik Wüst hat keinen Bürger im Regen stehen lassen und sah selbst auch nicht aus wie ein begossener Pudel. Damit hatte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident an seinem ersten Arbeitstag nach dem Sommerurlaub schon die größte Herausforderung gemeistert. 

Wüst wanderte am Montag gemeinsam mit seinem Wiesbadener Amtsbruder Boris Rhein von Willingen in Hessen über die Landesgrenze nach Winterberg in NRW. Rhein will im Oktober wiedergewählt werden, so dass sich die PR-Strategen eine schöne 6km-Route mit Pressetross durch die wunderbare Heidelandschaft des Mittelgebirges ausgedacht hatten. Nicht absehbar waren Wind und Dauerregen, der den Politikern fast unablässig ins Gesicht peitschte. 

Nun weiß man seit der verunglückten Kanzlerkandidatur von Wüsts Amtsvorgänger Armin Laschet, dass schlechtes Wetter schnell zum Image-GAU werden kann. Der hatte im Flutsommer 2021 bei Regen einem leidgeprüften Anwohner Trost zugesprochen, während sein Personenschützer ihm einen Schirm hielt. „Laschet lässt Flutopfer im Regen stehen“, war später eine Botschaft zu einem unglücklichen Fotoausschnitt, der in den sozialen Netzwerken für Furore sorgte. Als Laschet sich wiederum beim Besuch des damaligen Bundesfinanzministers Olaf Scholz (SPD) klatschnass regnen ließ, war von einem „begossenen Pudel“ und einem „Sinnbild“ für eine scheiternde Bundestagswahl-Kampagne die Rede.

Wüst will Parteichef Merz nicht weiter schwächen 

Wüst trottet am Montag tapfer mit Rhein durch das Herbstwetter. Er trägt halbe Wanderschuhe, die dem äußeren Anschein nach nicht erst für diesen Termin angeschafft worden sind. Dazu Funktionsjacke und beige Freizeithose, deren dunkle Wasserflecken später auf den Fernsehbildern nicht zu sehen sind. Die Frisur schützt Wüst mit einer blauen Schirmmütze, die über der Krempe ein großes „P“ ziert. Eine Leihgabe von Tochter „Pippa“? 

Überlegungen der Protokollbeamten, die Route abzukürzen, werden verworfen. Schnell gilt man dann als Schön-Wetter-Politiker. Also durchziehen. Nur den Abstecher zu einer Hochheide-Aussichtsplattform schenkt man sich. Offiziell geht es um die Tourismus-Zusammenarbeit beider Bundesländer, um eine gemeinsame Förderung des Ski-Nachwuchses der Region und den beschädigten Wald. „Der Klimawandel macht auch vor der Höhe nicht Halt“, warnen die lokalen Fachleute die Ministerpräsidenten auf 700 Metern. „Es ist immer wieder ein schmerzvoller Anblick“, sagt Wüst mit freier Sicht auf verendete Bäume. 

Die politische Herausforderung des Tages besteht für Wüst und Rhein jedoch vor allem darin, „Tief Friedrich“ zu meistern. Das Sommertheater um den CDU-Vorsitzenden Merz, Wüsts mögliche Ambitionen auf die Kanzlerkandidatur und die Angst vor parteiintern Mauerspechten an der „Brandmauer“ zur AfD - all das sorgt dafür, dass mehrere Dutzend Journalisten unter die Wandervögel gegangen sind. Nicht wenige eigens angereist aus Berlin. 

Landesverbände pochen auf Mitsprache bei K-Frage

Wüst ist erkennbar darum bemüht, den Parteichef nach all seinen Andeutungen der vergangenen Wochen nicht weiter zu schwächen. Ausdrücklich nimmt er ihn gegen den Vorwurf - auch aus den eigenen Reihen -  in Schutz, kommunale Kooperationen mit der AfD zu goutieren. „Wer Friedrich Merz unterstellt, eine Annäherung betreiben zu wollen, macht vielleicht einen billigen Geländegewinn, aber kennt Friedrich Merz nicht.“ Schuld am Aufstieg der Rechtspopulisten sei die Ampel-Koalition in Berlin. Nur mal zur Erinnerung. 

Die Symbolik des Tages hat es trotzdem in sich. Wüst und Rhein starten an der Mühlenkopfschanze in Willingen und laufen von dort rüber nach NRW, direkt ins „Merz-Land“ Sauerland. Vom neuen „Skywalk“ aus, einer waghalsigen Seilbrücken-Konstellation in 100 Meter Höhe, können sie fast schon Merz‘ Geburtsort Brilon sehen. 

Mit seinen Andeutungen Richtung Kanzlerkandidatur hat es Wüst zweifellos bereits geschafft, im Personalpoker an die Spitze der Landesfürsten vorzurücken. Neben CSU-Chef Markus Söder, der erst noch im Oktober seine Landtagswahl formidabel gewinnen müsste, ist er inzwischen eine Art „natürlicher“ Anwärter auf die Scholz-Herausforderung 2025. Doch will er und sollte er wirklich jetzt schon? Wer Wüst und Rhein, die beide mit den Grünen regieren, wie freundliche Jungs zwischen all den nassen Heide-Schafen sieht, erkennt schon einen anderen Stil. Der aggressive Berliner Alarmismus ist weit weg. Irgendwann fängt man an, sich zu wundern, warum permanent vier schwarze gepanzerte Limousinen mit Zivilpolizisten an Bord den Spazierweg vorweg fahren. 

Wüst wird darauf angesprochen, dass er doch seine Bereitschaft zur Kanzlerkandidatur erklärt habe. „Ich weiß nicht, wo sie das Zitat herhaben“, blockt er ab. Zugleich verweist er darauf, dass Boris Rhein und er zwei CDU-Landesvorsitzende seien, „die es für klug halten, die Landesverbände einzubeziehen“. Rhein sekundiert: Man sei als CDU „eine ganz besonders föderal aufgestellte Partei“. Die K-Frage, so darf man es verstehen, wird im Spätsommer 2024 nicht im Vier-Augen-Gespräch zwischen Merz und Söder beantwortet. 

Vor allem Wüst, der Hobby-Jäger ist, wirkt die ganze Zeit außerordentlich entspannt. Bei der Brotzeit in der Skihütte in Winterberg schaut er auf ein geschnitztes Schild, das auch sein CDU-internes Motto sein könnte: „Der Birkhahn und der Auerhahn, die balzen im April. Da ist der Jäger besser dran, er balzt, wann er will.“