Düsseldorf. Der Chef des Arbeitnehmerflügels der CDU in NRW, Dennis Radtke, rät seiner Partei, nicht nur die Wirtschaft zu bedienen.

Dennis Radtke (44) ist als Landesvorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) einer von den Unionspolitikern, die immer wieder dran erinnern, dass die Volkspartei CDU auch eine soziale Verantwortung trägt. Der Europaabgeordnete aus Bochum meint, dass seine Partei die Sozialpolitik schon seit vielen Jahren vernachlässige. Dass mit Carsten Linnemann aus Paderborn ein Wirtschaftsliberaler Nachfolger des bisherigen CDU-Generalsekretärs und CDA-Vertreters Mario Czaja wird, beanstandet Radtke nicht. Aber im Gespräch mit Matthias Korfmann lässt er durchblicken, wie sehr der Arbeitnehmerflügel der Union unter Druck geraten ist.

Herr Radtke, wie kommt die Personalie Carsten Linnemann bei Ihnen als Vertreter des Sozialflügels an? Einer aus ihren Reihen – Mario Czaja – musste gehen, ein Vertreter der Mittelstands- und Wirtschaftsunion wird Generalsekretär.

Dennis Radtke: Ich habe nie die Einschätzung geteilt, dass Mario Czaja als Generalsekretär das sozialpolitische Korrektiv zum Vorsitzenden Friedrich Merz sein sollte. Es ist nicht die Aufgabe eines Generalsekretärs, ein Korrektiv des Parteichefs zu sein. Im Gegenteil: Er muss ein Verstärker des Vorsitzenden sein, und das ist Carsten Linnemann ganz sicher. Ich kenne ihn lange und schätze ihn sehr.

Aber ein Sozialpolitiker ist er nicht, oder?

Dennis Radtke: Die Entscheidung für Carsten Linnemann ist nicht zu beanstanden. Mich besorgt etwas anderes: Die CDU hat Defizite in ihrem Sozialprofil. Wir haben mit Karl-Josef Laumann nur noch einen Vertreter des sozialen Flügels in der engeren Parteiführung. Von 26 Beisitzern im CDU-Bundesvorstand sind 19 Mitglied der Mittelstands- und Wirtschaftsunion. Die MIT wird genauso gebraucht wie die Junge Union, die CDA, die Frauen- und die Senioren-Union. Aber der Sozialflügel ist eben in den vergangenen fünfzehn Jahren immer weniger sichtbar geworden.

Das fiel vielleicht nicht so auf, weil Karl-Josef Laumann ein sehr präsenter Vertreter des Sozialflügels ist. Es reicht aber nicht, sich hinter Karl-Josef Laumann zu verstecken. Außerdem wurde die CDU lange Zeit von tagespolitischen Entscheidungen im Bundeskanzleramt dominiert. Wir sehen heute, dass der Sozialflügel in der Bundestagsfraktion, in den Landtagsfraktionen und in der Parteispitze schwächer geworden ist.

Warum ist das so?

Dennis Radtke: Zunächst müssen wir uns als CDA an die eigene Nase fassen. Wir hätten uns stärker um das Thema Zukunft der Einzelgewerkschaften kümmern müssen. Ab September werden wir mit Elke Hannack nur noch eine Vertreterin im DGB-Vorstand haben. Aus den Vorständen der Einzelgewerkschaften sind wir raus. Da fehlt ein wichtiger Baustein. Auch in der Partei waren wir an manchen Stellen zu leise, wo andere auf die Pauke gehauen haben. Karl Josef Laumann ist an vielen Stellen Einzelkämpfer gewesen.

Mit Friedrich Merz hat das nichts zu tun. Diese Entwicklung gibt es schon lange. Ich habe als CDA-Politiker ein Interesse daran, dass Merz erfolgreich ist, denn nur dann ist die CDU wieder erfolgreich. Wir müssen aber offen und ehrlich über die Defizite in der Partei sprechen.

Welche sind das?

Radtke: Wenn wir über 30 Prozent hinauswollen, müssen wir bestimmte Themen glaubhafter und empathischer aufgreifen. Eine der Gründe, warum wir die Bundestagswahl verloren haben, war, dass wir auf zentrale sozialpolitische Fragen wie Mindestlohn und bezahlbaren Wohnraum nur technokratische Verrenkungen im Angebot hatten, die nicht mal die Mitglieder verstanden haben. Manche in der CDU sagen: mit sozialen Themen kann man keine Wahl gewinnen. Das mag stimmen. Aber wir können auf jeden Fall Wahlen damit verlieren, wenn unser Schaufenster dort leer ist.

Info: CDU-Sozialflügel will mehr Einfluss

Nachdem CDU-Chef Friedrich Merz mit Carsten Linnemann einen Wirtschaftsliberalen zum designierten Generalsekretär gemacht hat, will der Sozialflügel mehr Einfluss in der Parteispitze. Der Bundesvorsitzende der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Karl-Josef Laumann, müsse in die engste Parteispitze aufrücken, forderte CDA-Vizechef Christian Bäumler. Konkret: Laumann solle Linnemann-Nachfolger als CDU-Parteivize werden.

Der aus dem Münsterland stammende NRW-Gesundheitsminister Laumann ist bereits Mitglied des CDU-Präsidiums und seit 2005 Bundesvorsitzender des CDA, sein Vize Bäumler ist seit 1998 Landesvorsitzender der CDA Baden-Württemberg. Bäumler sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Die CDU kann Wahlen nur mit den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen gewinnen und nicht gegen sie.“ So kritisierte Bäumler beispielsweise Linnemanns Forderungen, auch ein Renteneintrittsalter von 72 Jahren nicht auszuschließen und Arbeitslose zur Annahme von Jobangeboten zu verpflichten. (dpa)