Düsseldorf. Die Impf-Empfehlung gegen Humane Papillomviren kommt nicht nichtig bei den Eltern in NRW an. Die Landesregierung setzt auf Aufklärung.

Die HPV-Impfung schützt Mädchen und Jungen nach Einschätzung von Medizinern gut vor späteren Krebserkrankungen an den Geschlechtsorganen. Doch in NRW bleiben im bundes- und im europäischen Vergleich viele Kinder und Jugendliche ungeimpft. Während an Rhein und Ruhr nur etwa jedes zweite 15-jährige Mädchen vollständig gegen HPV immunisiert ist, sind es in Portugal fast alle Mädchen dieses Alters.

Die FDP-Landtagsfraktion ruft nun nach besseren Informationen über die Vorteile dieser Impfung und plädiert für freiwillige Immunisierungs-Aktionen in Schulen. „Die Landesregierung muss ihre Anstrengungen zur Steigerung der Impfrate bei der HPV-Impfung unbedingt intensivieren“, sagte Susanne Schneider, Gesundheitsexpertin der FDP im Landtag, dieser Redaktion.

Der Berufsverband der Kinder- und Jugendmediziner in NRW meint, die Bürgerinnen und Bürger müssten über die Medien besser über HPV-Viren und die Gefahren, die von ihnen ausgehen, informiert werden, zum Beispiel im TV-Werbeprogramm. Die vielen Broschüren, die zu dem Thema gedruckt würden, kämen in der Regel nicht bei den Eltern an. Die Vorbehalte gegenüber dieser Impfung seien noch viel zu groß.

HPV-Impfung – verpasste Chance für NRW?

Was ist eine HPV-Infektion?

Humane Papillomviren (HPV) zählen zu den häufigsten sexuell übertragenen Viren. Sie können bei Frauen und Männern bösartige Krebserkrankungen und Warzen im Genitalbereich verursachen, zum Beispiel Gebärmutterhals-, Vagina-, Penis- und Analkrebs, aber auch Mund- und Rachenkrebs. HPV-Infektionen sind nicht meldepflichtig, daher gibt es laut Landesregierung keine Angaben, wie viele Menschen sich mit HPV infizieren. Oftmals bemerkten die Betroffenen es gar nicht.

Was ist die HPV-Impfung?

Laut Robert-Koch-Institut (RKI) ist diese Impfung der beste Schutz vor HPV-Infektionen. Es gibt zwei Impfstoffe – Cervarix und Gardasil 9 – die eine hohe Schutzwirkung haben sollen. Die Krankenkassen übernehmen die Impf-Kosten für Kinder.

Wem wird die Impfung empfohlen?

Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt seit 2007 für Mädchen und seit 2018 für Jungen im Alter von neun bis 14 Jahren zwei Impfungen gegen HPV. Eine verpasste Immunisierung sollte bis zum Alter von 17 Jahren nachgeholt werden.

Wie sind die Impfquoten in NRW?

Bei den Mädchen schlecht, bei den Jungen „grottenschlecht“, sagt Ralph Köllges, Impf-Experte und Präventionsbeauftragter Impfen des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in NRW. 51 Prozent der 15-jährigen Mädchen in Deutschland waren laut RKI im Jahr 2020 vollständig geimpft. Neuere Zahlen liegen nicht vor. Im Kassen-Bezirk Nordrhein waren es 53,8 Prozent, für Westfalen gibt es keine Angaben. Die Impfquote bei 15-jährigen Jungen liegt bundesweit und in NRW bei etwa bei 17 Prozent. Im Bundes-Vergleich hat NRW einen Platz im Mittelfeld, viel höher sind die Quoten zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern (68,7 Prozent der 15-jährigen Mädchen, 29.9 Prozent der 15-jährigen Jungen).

In Europa liegt Deutschland im unteren Mittelfeld. In Portugal sind zum Beispiel laut RKI 95 Prozent der 15-jährgen Mädchen geimpft, In Island 88, in Norwegen 86 Prozent. In Ländern mit hohen Quoten gibt es oft Schul-Impfprogramme. Für NRW trifft das nicht zu.

Wie entwickeln sich Krebs-Neuerkrankungen in NRW mit Bezug zu HP-Viren?

In einer Antwort von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) auf eine Anfrage der FDP-Abgeordneten Susanne Schneider und Franziska Müller-Rech, die dieser Redaktion vorab vorliegt, werden Tumor-Fallzahlen für die vergangenen Jahre genannt. Sie lassen zwar nicht generell auf einen Zusammenhang mit HPV-Infektionen schließen, „in vielen Fällen“ seien diese aber die Ursache für die Erkrankungen.

Das Ergebnis: Zwischen 2008 und 2019 hat sich die Zahl der jährlich festgestellten Tumore kaum verändert. 2008 wurden zum Beispiel 1058 Fälle von Gebärmutterhalskrebs in NRW gezählt, 2019 waren es 1035. Bei Peniskrebs stieg die Zahl von 148 auf zuletzt 219. Mediziner wie Ralph Köllges glauben, dass eine höhere HPV-Impfquote langfristig zu einer Absenkung der Fallzahlen führen werde. Erfahrungen aus Australien legten dies nahe.

Warum ist die HPV-Impfung so wenig bekannt?

Kinderarzt Köllges sagt, dass sich die Mehrheit der Eltern nicht ausreichend über die HPV-Impfung informiert fühle. „Diese Impfung ist aus zwei Gründen schwer zu platzieren. Erstens gilt sie als sexualisierte Impfung. Empfohlen wird sie im Alter von neun bis 14 Jahren, und viele Eltern von Neunjährigen sagen, unser Kind spielt doch noch mit Puppen“, so Köllges. Es gebe also eine „Tendenz zum Aufschieben“ bei den Eltern, aber auch bei manchen Ärzten. Zweitens rutschten Kinder ab etwa zehn bis zwölf Jahren oft in ein „Niemandsland der medizinischen Versorgung“.

Die schlechte Impfquote unter Jungen erklärt der Mediziner mit der relativ jungen Impfempfehlung. „Im Volksmund heißt sie noch immer Gebärmutterhalskrebsimpfung. Das ist aber irreführend, denn die Impfung schützt sowohl Mädchen als auch Jungen.“

Gibt es Impf-Risiken?

In Internet-Foren werden diverse Risiken beschrieben wie zum Beispiel Schmerzen und schwere Kreislaufbeschwerden. Auch werden von Impfgegnern zwei Todesfälle „aus dem deutschsprachigen Raum“ mit HPV-Impfungen verknüpft. Laut Paul-Ehrlich-Institut (PEI) seien seit der Empfehlung der Impfung 2007 keine schweren unerwünschten Wirkungen gemeldet worden, die ursächlich in Zusammenhang mit der HPV-Impfung standen. Das gelte auch für die genannten Todesfälle. Sehr häufig sind laut RKI Schwellungen und Rötungen an der Einstichstelle. Kreislaufprobleme stünden meist im Zusammenhang mit Angst vorm Impfen.

Wie will NRW die Quote verbessern?

Minister Laumann setzt auf Aufklärung, vor allem in Schulen. Schulkinder würden aber nicht aktiv zu freiwilligen Impfungen aufgefordert. Die Krebsgesellschaft NRW und die Ärztliche Gesellschaft zur Gesundheitsförderung planen das Projekt „Gesundheitsbildung mit dem Fokus auf HPV-lmpfaufklärung und -motivation für Schülerinnen und Schüler und Erwachsene".

Reicht das?

Susanne Schneider (FDP) hat Zweifel. Sie rät dazu, sich an Bremen ein Beispiel zu nehmen. Dort gibt es freiwillige HPV-Impfungen in Schulen.

Ralph Köllges bezweifelt, dass die vielen Faktenblätter die Eltern erreichten. „Ich würde mir Informationen in der TV-Werbung über HPV-Infektionen wünschen. Wir benötigten die rechtlichen Voraussetzungen, um in den Medien mehr über HPV und die Impfung berichten zu können.“ Kinderärzte könnten die Aufklärungsarbeit in den Schulen unterstützen. „Das Impfen sollte aber besser in den Praxen geschehen.“