Düsseldorf. Der Bundestagsabgeordnete Max Lucks (Grüne) beobachtet im Auftrag des Europarates, ob es bei der Türkei-Wahl mit rechten Dingen zugeht
Der Bochumer Grünen-Bundestagsabgeordnete Max Lucks beobachtet im Auftrag der Wahlbeobachtungsmission des Europarates, ob es am Wochenende bei der Parlaments- und Präsidentschaftswahl in der Türkei demokratisch korrekt zugeht. Mit Matthias Korfmann sprach der 26-Jährige über Möglichkeiten und Grenzen der Wahlbeobachtung, über seine Türkei-Erfahrungen und über die politische Lage kurz vor dem Urnengang.
Herr Lucks, wie wird man Wahlbeobachter in der Türkei?
Lucks: Der Europarat und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) schreiben das aus, und man kann sich bewerben. Insgesamt macht etwa ein Dutzend Bundestagsabgeordnete mit. Im Fall einer Zusage müssen die Wahlbeobachter von der Türkei akkreditiert werden, und es geht um die Frage, an welchem Ort sie tätig werden.
Sie reisen nach Diyarbakir ins Erdbebengebiet, wo viele Kurdinnen und Kurden wohnen. Warum haben Sie dieses Ziel gewählt?
Lucks: Das war mein Wunsch, weil es wichtig ist, die Wahl auch außerhalb der großen Städte wie Istanbul und Ankara zu beobachten. Sollte es Manipulationen geben, dann wahrscheinlich nicht in der Istanbuler Innenstadt, wo alle genau hinsehen. Ein akkreditierter Wahlbeobachter kann gehen, wohin er möchte. Die Türkei kommt aber nicht von sich aus auf die Beobachter zu und schlägt Diyarbakir vor.
Sie sind nicht türkeistämmig, leiten aber die Deutsch-Türkische Parlamentariergruppe im Bundestag. Woher kommt das Interesse?
Lucks: Ich bin ein Kind des Ruhrgebiets, einer der vielfältigsten Regionen in NRW, das prägt mich und macht mich stolz. Von 2017 bis 2019 war ich Bundesvorsitzender der Grünen Jugend, und die Themen Menschenrechte und Türkei spielten eine große Rolle dort. Wir haben damals viele Kontakte zur sehr engagierten und bunten Zivilgesellschaft in der Türkei aufgebaut, die bis heute halten. Der türkische Staat wurde seit 2013 immer repressiver gegenüber Kritikern, und dennoch gibt es eine junge Generation, die auf die Straße geht, die an jedem 8. März zum Internationalen Frauentag trotz Verbot in Istanbul protestiert. Diese Menschen prägen mein Türkeibild.
Wie dicht ist das Kontrollnetz bei dieser Wahl?
Lucks: Wir reden über Stichproben. Es handelt sich zwar um eine der größten Wahlbeobachtungs-Missionen in der Geschichte des Europarates und der OSZE mit insgesamt fast 300 Beobachtern, aber diese Frauen und Männer können nicht flächendeckend tätig sein. Daher kommt es auch sehr auf die türkische Opposition an, die in jedem Wahllokal genau hinsehen wird, ob es dort demokratisch korrekt zugeht. Wir Wahlbeobachter sind offen für Hinweise und gehen jedem Verdacht nach.
Wie kontrollieren Sie konkret?
Lucks: Wir werden von Übersetzern und Security-Leuten begleitet und gehen stichprobenartig in Wahllokale hinein. Dort beobachten wir die Stimmabgabe, wir befragen Wahlhelferinnen und Wahlhelfer sowie Vertreter von Parteien. Wir überprüfen die Zulässigkeit der Urnen und sind bei der Auszählung dabei.
Und was geschieht, wenn Sie Unregelmäßigkeiten feststellen?
Lucks: Die werden sofort gemeldet. Es gibt einen Ad-hoc-Ausschuss des Europarates mit einem Sekretariat in Ankara, bei dem die Meldungen eingehen. Bis Montag wird dort ein Bericht über die Wahl geschrieben.
Wie ist die Lage vor dieser Wahl?
Lucks: Die vergangenen Jahre waren in der Türkei von Repressionen gegen die kurdische und linke Opposition sowie gegen Medien geprägt. Der Gipfel war ein Verbotsverfahren gegen die Oppositionspartei HDP. Auch Vertreter des sozialdemokratisch-kemalistischen Lagers werden bedroht und juristisch verfolgt. Diese Wahl ist aus der Sicht vieler Menschen dort die letzte Chance, um zurück zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu kommen.
Eines ist mir besonders wichtig: Bei dieser Wahl gibt es fünf Millionen Erstwählerinnen und Erstwähler. Laut Umfragen wird diese Gruppe zu etwa 80 Prozent die Opposition wählen. Diese jungen Menschen können den Unterschied machen, und sie wollen den Weg Richtung Demokratie gehen. Wenn das nicht klappt, werden vielen von ihnen auswandern wollen.
Wie groß ist die Gefahr, dass Präsident Recep Tayyip Erdogan und seine Partei AKP eine mögliche Niederlage nicht anerkennen?
Lucks: Das wäre der worst case, also der schlimmste Fall. Es mehren sich aber die Stimmen in der AKP, die sagen, man würde eine Niederlage akzeptieren. Das Nichtanerkennen eines Wahlergebnisses würde die sehr widerstandsfähige türkische Gesellschaft nicht akzeptieren. Es kommt auch darauf an, dass die internationalen Wahlbeobachter gut und schnell arbeiten, damit sich das Ausland ein objektives Bild machen kann.
Zur Person: Max Lucks
Max Lucks (26), Sozialwissenschaftler, geboren in Gelsenkirchen-Ückendorf und aufgewachsen in Wattenscheid, gehört seit 2021 dem Deutschen Bundestag an. Er war von 2017 bis 2019 gemeinsam mit Ricarda Lang Bundessprecher der Grünen Jugend, leitet heute die Deutsch-Türkische Parlamentariergruppe im Bundestag und gehört dem Bundestags-Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe an. Lucks ist zudem Mitglied in der parlamentarischen Versammlung des Europarates, einem Zusammenschluss von 46 europäischen Ländern, der das Ziel verfolgt, die Menschenrechte und die Demokratie zu verteidigen
Im Juni 2016 wurde Lucks in Begleitung der Grünen-Europaabgeordneten Terry Reintke im Rahmen der „Istanbul-Pride-Parade“ kurzzeitig festgenommen. Die „Istanbul Pride“ ist eine Demonstration für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans-, queeren und intersexuellen Menschen (LGBTQI).