Düsseldorf. Der gescheiterte Parteichef wird sich am Montag wohl auch von der Fraktionsspitze zurückziehen. Nachfolgeszenarien werden konkreter.
Es wird wohl ein Rückzug auf Raten. Wenn sich an diesem Montag der geschäftsführende Vorstand der SPD-Landtagsfraktion zusammenschaltet, wird allenthalben damit gerechnet, dass Thomas Kutschaty auch hier den Vorsitz niederlegt. Am Dienstag soll er sich dann gegenüber der Gesamtfraktion erklären. Der 54-jährige Rechtsanwalt aus Essen war am vergangenen Donnerstag bereits als Chef des größten Landesverbandes der Kanzler-Partei zurückgetreten und hatte in der NRW-SPD zehn Monate nach dem historischen Landtagswahldebakel alle Schleusen des Frusts geöffnet.
„Es ist kaum vorstellbar, dass er Fraktionschef bleiben kann. Das tut der Thomas sich nicht an“, prophezeit einer, der Kutschaty lange kennt. Wie soll ein Oppositionsführer im Parlament die Regierung von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) angreifen, wenn er so offensichtlich selbst angezählt ist? Es geht wohl eher um einen gesichtswahrenden Abgang. Kutschaty wird ja bis 2027 als Hinterbänkler weiterhin Mitglied der 56-köpfigen Fraktion bleiben, so dass allen an einem halbwegs vernünftigen Umgang miteinander gelegen scheint.
Kutschaty wurde überfrachtet mit Erwartungen
In Teilen der Landtagsfraktion wurde mit Unbehagen registriert, dass die Landespartei in ihrer offiziellen Stellungnahme am vergangenen Donnerstag Kutschatys Rücktritt zwar als „eine Zäsur in der Arbeit der NRW-SPD“ eingeordnet hatte, sich aber zu keinem Wort des Dankes an den scheidenden Vorsitzenden durchringen konnte. Kutschaty wird unter seinen Parlamentskollegen zwar nicht als charismatischer Menschenfischer verehrt, aber doch als „anständiger Kerl“ geschätzt, der im Landtagswahlkampf viele Meter gemacht habe. Gezeichnet war die kühle Partei-Mitteilung von der scheidenden Generalsekretärin Nadja Lüders, über deren Fähigkeiten sich Kutschaty intern zuletzt abfällig geäußert haben soll, und vom Hammer Oberbürgermeister Marc Herter, der 2018 selbst gern Landtagsfraktionschef geworden wäre.
Herter führt die NRW-SPD jetzt interimsmäßig bis August. Der für den 6. Mai angesetzte Parteitag wurde verschoben. Stattdessen will Herter, der den mitgliederstärksten SPD-Bezirk Westliches Westfalen lenkt, die unterschiedlichen „Kraftzentren“ auf eine geordnete Neuaufstellung einschwören. Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich Parteiregionen, Kommunalvertreter und etliche Bundestagsabgeordnete stark an Kutschaty gerieben hatten. Auslöser für den Rücktritt war schließlich ein unausgegorener Personalvorschlag für den Posten der Generalsekretärin, mit dem Kutschaty in den Gremien jäh durchgefallen war.
Doppelspitze hat der SPD im Bund geholfen
Am Wochenende wurde in der Partei viel telefoniert. Dabei zeichnete sich ab, dass einige einflussreiche Funktionsträger sich eine Doppelspitze als Führung der NRW-SPD vorstellen können. Dafür bräuchte es allerdings eine Zwei-Drittel-Mehrheit auf dem Landesparteitag für eine Satzungsänderung. Man will offenbar von der Bundespartei lernen, die 2019 auch vom zunächst belächelten Duo Saskia Esken/Norbert Walter-Borjans befriedet wurde. Zusammen mit Generalsekretär Lars Klingbeil trafen sie einige kluge strategische Entscheidungen, die im Herbst 2021 in der Kanzlerschaft des lange ungeliebten Olaf Scholz mündeten.
Ob das auch in der auf gut 26 Prozent abgestürzten, ehedem so mächtigen NRW-SPD klappen kann? Klar ist, dass Kutschaty auch an diffusen Sehnsüchten scheiterte, die er gar nicht erfüllen konnte. Die Nummer eins soll eine SPD-typische Aufstiegsgeschichte haben, politisch beschlagen sein, in den Werkshallen genauso gut ankommen wie in den Vorstandsetagen, fürs Wahlplakat taugen und dem gewieften Wüst die Stirn bieten können. Wenn das Personaltableau beim traurigen Pils durchgegangen wird, landet man immer wieder bei Leuten, die nicht zur Verfügung stehen: Johannes Rau (tot), Hannelore Kraft zu Glanzzeiten (Ruhestand), Bärbel Bas (Bundestagspräsidentin).
Spitzenkandidatur zur Landtagswahl 2027 wird später geklärt
Eine Doppelspitze böte die Möglichkeit, Verantwortung auf mehrere Schultern zu verteilen, heißt es. Über die Spitzenkandidatur zur Landtagswahl 2027 werde ohnehin erst in zweieinhalb Jahren entschieden. Vorher muss die NRW-SPD für Europawahl (2024), Kommunal- und Bundestagswahl (2025) wieder auf die Beine kommen. Es sei noch nicht die Zeit, dass „irgendjemand schon jetzt den Hut in den Ring wirft“, hat Interims-Parteichef Herter am Freitagabend gewarnt. Er selbst gilt aber als jemand, der die „kommunale Familie“ in einer Doppelspitze gut vertreten könnte. Auch Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze wird genannt, ebenso der Landesgruppenchef Achim Post und die ehemalige Staatsministerin Michelle Müntefering. Die erfolgreichen Oberbürgermeister Thomas Eiskirch (Bochum), Sören Link (Duisburg) und Thomas Westphal (Dortmund) sähe mancher auch gern auf der Landesebene.
In der Landtagsfraktion wird ebenfalls diskutiert, ob man sich in der Not ein Beispiel an den Grünen nehmen und erstmals ein Tandem an die Spitze stellen sollte. Gedacht werde aber eher an ein gemischtes Doppel. Als „natürliche“ Kandidaten für den männlichen Part gelten die Vize-Vorsitzenden Jochen Ott und Alexander Vogt. Der Schulpolitiker Ott ist erfahren, ein scharfzüngiger Debattenredner und hatte wohl recht, als er 2022 intern vergeblich Kutschaty zu einem harten Schulpolitik-Abwahlkampf gegen Schwarz-Gelb drängen wollte. Der 44-jährige Vogt hat viele Anhänger unter den jüngeren Abgeordneten und ist Chef des Unterbezirks Herne, wo die sozialdemokratische Welt noch ziemlich in Ordnung ist. Als Frauen, die aufrücken könnten, werden die Parlamentarische Geschäftsführerin Sarah Philipp und Fraktionsvize Lisa Kapteinat genannt. In der Tristesse soll ein Motto helfen, das man aus Zeiten des Rumpel-Fußballs kennt: Der Star ist die Mannschaft.