Düsseldorf. Der Neujahrsempfang zeigt: Der Ministerpräsident ist nach seinem Wahlsieg unangreifbar geworden - und sucht internationale Flughöhe.

Die Düsseldorfer Neujahrempfänge der nordrhein-westfälischen CDU waren immer ein Stimmungsbarometer für den wichtigsten Landesverband der Partei und gaben oft Aufschluss über das Selbstbild des Landesvorsitzenden. Armin Laschet präsentierte dort 2018 nach seinem überraschenden Landtagswahlsieg den Aachener Auto-Professor Günther Schuh als Festredner, einen schillernden Freund aus seinem Rotary-Club. Der aktuelle Ministerpräsident Hendrik Wüst, nach triumphaler Wiederwahl im vergangenen Mai und Bildung der ersten schwarz-grünen Koalition in NRW die unumstrittene Nummer eins, greift da am Samstag etwas höher ins Regal.

Den mehr als 1000 Gästen im Museum Kunstpalast wird zunächst ein Video mit einer Grußbotschaft des Bürgermeisters von Kiew, Vitali Klitschko, präsentiert. „Du bist, lieber Hendrik, ein wahrer Freund der Ukraine“, richtet der ehemalige Boxweltmeister aus. In den grausamen Kriegswirren scheinen ihm sogar Sentenzen des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten nicht zu entgehen: „Du hast immer gesagt: Wer vor Putins Krieg flieht, ist in Nordrhein-Westfalen herzlich willkommen. Diese Worte bedeuten uns sehr, sehr viel“, sagt Klitschko. Tatsächlich haben die NRW-Kommunen seit Kriegsausbruch vor fast einem Jahr 200.000 Ukrainer aufgenommen und dabei allein 40.000 Kinder in Schulen oder Kitas integriert.

Kränze von der Kommissionspräsidentin

Als Festrednerin hat Wüst die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, gewinnen können, was durchaus ein Coup ist, da es in Brüssel zurzeit ja genug zu tun gibt und die oppositionelle Union den Landesverbänden aktuell nicht so viele Promis ans Rednerpult schicken kann. Doch der Moment ist klug gewählt. Dem in der Partei bestens vernetzten Wüst ist nicht entgangen, dass von der Leyen offenbar gern als Spitzenkandidatin der EVP bei der Europawahl 2024 für eine zweite Amtszeit an der Kommissionsspitze antreten möchte. Da kann Rückhalt der einflussreichen NRW-CDU nicht schaden.

Von der Leyen schlägt in ihrer Rede den großen Bogen von den Ukraine-Hilfen bis zur Energiewende mit Wasserstoff-Produktion, für die sie den wandlungsfähigen Standort NRW besonders gut gerüstet sieht. „Ein Zurück in die Abhängigkeit von russischen fossilen Brennstoffen kann es unter keinen Umständen mehr geben. Das ist jetzt unsere Generationenaufgabe, die wir meisten müssen“, mahnt von der Leyen. Dem „lieben Hendrik“ windet die mächtigste Frau Europas dabei eifrig Kränze: „Ich weiß, dass bei Dir die nordrhein-westfälische Industrie und Wirtschaft in den allerbesten Händen ist.“

Und der Jugendchor singt dazu kölsche Lieder

Damit es nicht zu staatstragend wird, lässt die CDU den Kölner „Jugendchor St. Stephan“ zwischendurch in der guten Stube Düsseldorfs auch kölsche Lieder von Brings und den Bläck Fööss singen. Wüst selbst, der immer Landespolitiker war und nie durch internationale Vorstöße aufgefallen ist, bemüht sich erstmals um so etwas wie eine außenpolitische Flughöhe. Ein Indiz für Bundesambitionen? Er beklagt den schlechten Zustand des deutsch-französischen Verhältnisses („Sprachlosigkeit und an manchen Stellen offener Dissens“), tut das aber ohne die Schärfe seines Parteivorsitzenden Friedrich Merz, der nicht unter den Gästen weilt. Vielmehr gibt Wüst den besorgten Kanzler-Versteher: Er sei neulich informell von Vertretern aus Frankreich und Benelux um Rat geben worden: „Erklär‘ uns mal Euren neuen Kanzler. Der Olaf ist uns ein Rätsel.“

Überhaupt fällt an diesem Vormittag auf, dass der oft hölzern formulierende, aber immer bestens vorbereitete Wüst einen neuen Sound sucht. Die eigene Bedeutung unterstreicht er eher spielerisch, indem er an von der Leyen gerichtet sagt: „Ich erinnere mich noch gut, dass wir im Februar letzten Jahres in Deinem Büro gesessen haben. Wir sprachen über die Entwicklung an der Grenze zwischen Russland und der Ukraine. Das war der Moment, wo viele noch gehofft haben: Das wird doch wohl nicht passieren.“ Man sieht da vor dem geistigen Auge förmlich Wüst und von der Leyen beim bangenden Kriegsrat, zwei Entscheider auf Augenhöhe. Zugleich platziert Wüst ungewohnt locker eine Pointe über von der Leyens Biografie, die im Saal durchaus ankommt: „Du warst in Brüssel auf der gleichen Schule wie Boris Johnson. Na, jedenfalls aus Dir ist was geworden.“

Wüst findet einen neuen Sound

Bis auf die Nationalhymne, die versehentlich zweimal angespielt wird, wird es ein perfekt komponierter Neujahrsempfang. Die ehemals zerstrittene NRW-CDU wirkt so geschlossen wie lange nicht und äußerst zufrieden mit den Grünen als Regierungspartner in einer sich modern-konservativ gebenden „Zukunftskoalition“. Seit seinem klaren Wahlsieg scheint der ehedem umstrittene Wüst die letzten Kritiker überzeugt zu haben, wobei bei Christdemokraten an Rhein und Ruhr schon immer die alte Basketball-Regel galt: „Wer trifft, hat Recht.“

Sogar ein gewisser Personenkult, den man eher weiter südlich bei der CSU vermutet, ist inzwischen akzeptiert. Im Museum Kunstpalast wird ein längerer Imagefilm gezeigt, der in dynamischen Schnitten vor allem den smart ausgeleuchteten Ministerpräsidenten beim Arbeiten und Siegen zeigt. Nach der Vorführung tritt Wüst ans Mikrofon und fragt in den Saal: „Ist doch immer wieder schön zu sehen, oder?“