Düsseldorf. Die grüne Vize-Ministerpräsidentin wird von Aktivisten als Gesicht des “Kohledeals“ abgelehnt. Was das mit dem Star von gestern macht.
Wer Mona Neubaur zurzeit in ihrem Düsseldorfer Wirtschaftsministerium besuchen will, muss den Seiteneingang nutzen. Die großen, automatisch öffnenden Schiebetüren zum Foyer des ehemaligen Mannesmann-Turms an der Rheinuferpromenade bleiben außer Betrieb. Sicher ist sicher. Zuletzt war es immer wieder zu Aufmärschen empörter Klimaschützer gekommen.
Neubaur, seit gut einem halben Jahr grüne Vize-Ministerpräsidentin in der schwarz-grünen Landesregierung von Hendrik Wüst (CDU), gilt vielen Aktivisten als Gesicht eines großen Verrats. Wohin im großen Nordrhein-Westfalen sie auch von ihrer dunklen Dienstlimousine chauffiert wird, Vertreter von „Fridays for Future“ oder „Lützerath unräumbar“ sind meist schon vor Ort und nehmen sie unfreundlich in Empfang.
Im Netz wird Neubaur praktisch rund um die Uhr bis hin zu persönlichen Diffamierungen angegangen. Bei den NRW-Grünen musste man sich inzwischen daran gewöhnen, dass Klimaaktivisten Büros besetzen oder wie zu Wochenbeginn Kohlebriketts vor die Landesgeschäftsstelle kippen. Als der immer sehr elegant gekleidete neue Landesvorsitzende Tim Achtermeyer mit den Demonstranten sprechen wollte, wurde er nur höhnisch gefragt, ob der Energiekonzern RWE seinen Anzug bezahlt habe.
Es ist etwas kaputt gegangen zwischen Grünen und Klimabewegung
Es ist etwas kaputt gegangen seit dem 4. Oktober 2022 zwischen der Klimabewegung und der Partei, die einst aus ihr hervorgegangen ist. Damals präsentierte Neubaur gemeinsam mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und RWE-Chef Markus Krebber eine Vereinbarung, die von Aktivisten schnell als intransparenter „Kohledeal“ zerrissen wurde. Kernpunkt: In NRW wird das Ende der Kohleverstromung von 2038 auf 2030 vorgezogen, im Gegenzug darf RWE zwei Kraftwerksblöcke im Rheinischen Revier bis 2024 länger laufen lassen und das Braunkohle-Protestdorf Lützerath noch abbaggern.
Unmittelbar nach der Verständigung mit RWE bemühten sich die Spitzengrünen um Neubaur, in einem Dauerfeuerwerk aus Tweets und Pressemitteilungen dies als großen Sieg für den Klimaschutz zu intonieren. Diese Lesart verfing jedoch nie. Der Kohleausstieg 2030 stand bereits seit Sommer im schwarz-grünen Koalitionsvertrag und war ohnehin erwartet worden. RWE will und muss ja auch grüner werden. Dass die Kohle unter Lützerath „in diesem und im nächsten Winter“ wirklich für die akute Versorgungssicherheit infolge des Ukraine-Kriege benötigt wird, wie Neubaur mehrfach erklärte, bezweifeln Klimaschützer bis heute hartnäckig und wedeln mit Gegengutachten.
Die fröhliche Unbeschwertheit ist verflogen
Wie tief das Zerwürfnis reicht, ließ sich am Montag beobachten. Neubaur nahm sich da Zeit für ein mehr oder minder unangemeldetes Gespräch mit der fast namensgleichen Klimaaktivistin Luisa Neubauer. Eine versöhnliche Geste der 45-jährigen Ministerin, die einen übervollen Terminkalender hat. Doch gleich anschließend stellte sich die 26-jährige Sprecherin von „Fridays fo Future“ vor die Kameras und unterstellte Neubaur eine „ganz dramatische Absage an die eigene Verantwortung“.
Spurlos geht das alles nicht an der Grünen-Politikerin vorüber. Neubaur ist zwar zugewandt wie immer und bittet etwas kokett darum, nicht immer „Frau Ministerin“ zu sagen. Doch das Unbeschwerte, das sie nach dem 18,2 Prozent-Triumph bei der Landtagswahl im vergangenen Mai umgab, ist verschwunden. Sie habe ein breites Kreuz, versichert Neubaur gern. Die aus dem altbayerischen Pöttmes stammende Diplom-Pädagogin rollt bei „Kreuz“ immer noch das „R“, obwohl sie seit einem Vierteljahrhundert in Düsseldorf lebt. Doch die sprudelnde Fröhlichkeit, mit der man sie sonst radelnd irgendwo zwischen Fortuna-Stadion und Altstadt erlebte, ist ersteimal weg.
Die Symbolik von Lützerath dramatisch unterschätzt
Einen solchen Höllensturz muss man erst einmal verkraften: Nach dem Einzug der Grünen in die Landesregierung herrschte „Mona-Mania“, alle Klimabewegten in NRW suchten Neubaurs Nähe. Kaum ein halbes Jahr später ist sie Feindbild Nummer eins der Ökoszene. Sie gilt als Handlangerin von RWE, die angeblich Lützerath geopfert hat. Sogar die eigene Parteijugend ist längst auf Distanz.
„Dass RWE die Kohle unter Lützerath in Anspruch nehmen darf, wurde nicht mit der Vereinbarung von Bund, Land und RWE im Oktober geregelt“, nimmt Grünen-Landtagsfraktionschefin Wibke Brems die Ministerin in Schutz. Bereits im März 2022 habe das Oberverwaltungsgericht die Eigentumsverhältnisse von RWE bestätigt. Brems gehört ebenso wie Umweltminister Oliver Krischer zum engsten Kreis um Neubaur. Dass ausgerechnet Krischers ehemaliger Mitarbeiter Titus Rebhann im März als Cheflobbyist bei RWE anheuert, hat die Gefechtslage gleichwohl nicht leichter gemacht.
Überhaupt scheint niemand in Neubaurs Umfeld die Symbolik des verwaisten und dem Abriss geweihten Dorfes Lützerath in voller Schärfe gesehen zu haben. Neubaur reihte sich noch im Herbst 2021 persönlich bei den Demonstranten am Tagebaurand ein. Im Landtagwahlprogramm ein Jahr später wurde Lützerath nicht mehr namentlich erwähnt. Stattdessen gab man vor, „alle Dörfer“ im rheinischen Revier retten zu wollen. Bei der Präsentation des schwarz-grünen Koalitionsvertrages im Sommer 2022 wurde nicht klar kommuniziert, dass Lützerath gar nicht mehr zu retten ist. Stattdessen ließ sich Neubaur von Ministerpräsident Wüst, der das Thema klug auf Distanz hält, in die Rolle derjenigen drängen, die mal gucken soll, was bei RWE herauszuholen ist. Nun ist der Schaden da und das Spiel mit der Lützerath-Hoffnung zu Ende.