Düsseldorf. Heftiger Schlagabtausch im Landtag: Opposition kritisiert schwarz-grüne Chaostage um den ersten Schulden-Etat der neuen Koalition.
Der Ministerpräsident bemühte sich um maximale Teilnahmslosigkeit. Als am Mittwochmorgen der Düsseldorfer Landtag zusammentrat, um eine „außergewöhnliche Notsituation“ Nordrhein-Westfalens festzustellen und die Umgehung der verfassungsrechtlichen Schuldenbremse einzuleiten, ließ sich Hendrik Wüst die Last der Verantwortung nicht anmerken.
Der CDU-Politiker plauderte auf der Regierungsbank angeregt mit seiner Stellvertreterin Mona Neubaur (Grüne), wischte konzentriert auf seinem Handy herum oder tuschelte mit dem hinter ihm platzierten Stabschef Marcel Grathwohl. Alles schien wichtiger zu sein als die Landtagsdebatte, in der sich außer Finanzminister Marcus Optendrenk (CDU) nur die dritte Reihe der schwarz-grünen Koalition wie der tapfere 34-jährige Parlamentsneuling Simon Rock (Grüne) zu Wort melden durfte.
„Business as usual“, lautete augenscheinlich die Devise. Nichts sollte darauf hindeuten, dass die neue Landesregierung nicht einmal ein halbes Jahr nach Amtsantritt finanzpolitisch gerade ziemliche Chaos-Tage durchlebt. Die Abgeordneten von CDU und Grüne stimmten am Mittwoch für die Ausrufung einer „außergewöhnlichen Notsituation“, die sich in den vergangenen Wochen als Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine dramatisch zugespitzt habe. Damit soll NRW rechtlich die Schuldenbremse umgehen dürfen. In einem zweiten Nachtragshaushalt wird so noch vor Weihnachten die Aufnahme neuer Kredite von bis zu fünf Milliarden Euro möglich.
Schwere Tage für die Partei der "schwarzen Null"
Für die CDU als „Partei der schwarzen Null“ wäre diese Entscheidung für sich genommen schon schwierig. Doch vorangegangen war ein Manöver, das FDP-Landtagsfraktionschef Henning Höne als „Versuch einer politischen Geldwäsche“ brandmarkte. Finanzminister Optendrenk wollte Energiekrisenhilfen des Landes zunächst aus zweckgebundenen Corona-Krediten bezahlen, die er noch bis Anfang November in Milliardenhöhe am Kapitalmarkt aufnahm. Die Präsidentin des Landesrechnungshofs, Brigitte Mandt, grätschte jedoch dazwischen und nannte den Buchungstrick in einer seltenen ad hoc-Mitteilung der Behörde „verfassungswidrig“.
Schwarz-Grün musste hektisch umplanen und entschied, wie in einigen anderen Bundesländern doch lieber offiziell die Schuldenbremse zu lockern. Die überschüssigen Corona-Kredite werden also zurückgezahlt, neue Energiekrisen-Kredite aufgenommen. Da die Zinsen in den vergangenen Monaten stark gestiegen sind, rechnete SPD-Oppositionsführer Thomas Kutschaty vor, dass der Zeitverzug den Steuerzahler leicht 80 Millionen Euro gekostet haben könnte. FDP-Mann Höne höhnte: „Das ist kein Schiffbruch, das war eine Selbstversenkung.“
Nach Regierungslesart hat Schwarz-Grün nichts anderes versucht als Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), der ebenfalls Geld aus dem Corona-Rettungsschirm des Bundes umgewidmet hatte. „Die zur Abmilderung und Bewältigung der bestehenden Notsituation erforderlichen Maßnahmen belasten den Landeshaushalt gravierend und lassen sich nicht ohne eine Kreditaufnahme bewältigen“, sagte Optendrenk. Am Ende geht es ohnehin nur um die Frage, mit welchen Krediten man gegen die Energiekrise ansubventioniert.
Den Start hatte sich Schwarz-Grün ganz anders vorgestellt
Wer sich in den vergangenen Tagen bei Koalitionären umhörte, spürte schnell, dass man sich den Start des ersten schwarz-grünen Bündnisses in NRW und die Premiere bei der gemeinsamen Haushaltsaufstellung ganz anders vorgestellt hatte. Geräuschlos und harmonisch wollte die „Zukunftskoalition“ über das Land hinausstrahlen. Wüst, in zahlreichen Repräsentationsterminen als moderner Konservativen ausgeleuchtet, soll mit dem Ärger um den Etat möglichst nicht verbunden werden. Doch SPD-Oppositionsführer Kutschaty ätzte im Parlament, der versierte Finanzminister Optendrenk habe sich von der Staatskanzlei bloß zu Buchungstricks drängen lassen und fahrlässig seinen „guten Ruf hergegeben“.
Schwerer als der Imageverlust wiegt womöglich das verfassungsrechtliche Restrisiko, das immer noch bleibt. Es ist der Regierungskoalition nicht gelungen, die Opposition ins Boot zu holen. FDP-Fraktionschef Höne zweifelt die Rechtsgrundlage für die Ausrufung der Notsituation an und brachte eine Überprüfung der neuen Milliarden-Verschuldung durch den Verfassungsgerichtshof ins Spiel.
Opposition zieht womöglich vors Verfassungsgericht
Der Essener Jurist Kutschaty, selbst sieben Jahre Justizminister, meldete ebenfalls rechtliche Bedenken an. Schwarz-Grün könne nicht verfassungsfest erklären, „warum jetzt doch eine Notlage eingetreten ist, von der die Regierung vor Wochen noch behauptet hat, dass es sie gar nicht gibt“. Unklar sei, warum zusätzliche Kosten der Krise nicht auch durch Haushaltskürzungen finanziert werden könnten. Und es sei noch gar nicht bekannt, was Schwarz-Grün überhaupt mit den fünf Milliarden Euro konkret gegen die Krise unternehmen wolle. Dass lediglich der Haushalts- und Finanzausschuss des Landtags über die Ausgaben entscheiden soll und nicht das gesamte Parlament, will die Opposition ebenfalls nicht hinnehmen.
Die Koalition hat bislang erklärt, dass sie Lücken schließen werde, die Entlastungspakete des Bundes etwa bei Einrichtungen für Kinder und Jugendlichen oder kleineren Unternehmen ließen. Zudem wolle man einkommensschwache Haushalte zusätzlich entlasten. Kutschaty warnte indes davor, „dass Sie sich wieder nur eine Truhe voller Geld in den Koalitionskeller stellen wollen, um damit grüne und schwarze Koalitionsprojekte zu finanzieren“.