Essen. Landesumweltamt meldet neue Tiefstände. 80 Prozent der Messstellen zeigen zu niedrige Pegel. Grundwasserneubildung geht wegen Trockenheit zurück.
Die Dürre hat Deutschland fest im Griff. Von Ost nach West zieht sich ein tiefrotes Band durch das gesamte Land, die Farbe steht auf der Karte des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung für „extreme bis außergewöhnliche Dürre“ - darin liegt auch Nordrhein-Westfalen. Eine Folge: Die Grundwasserspiegel in NRW sinken auf immer neue Tiefstände. „Rund 80 Prozent der Grundwassermessstellen weisen signifikant zu niedrige Gewässer-Stände auf“, stellt das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) in seinem aktuellen hydrologischen Statusbericht fest.
Wie ist die Situation in NRW?
Das Jahr 2022 brachte erneut einen sehr trockenen Sommer. Zwar fiel im September ungewöhnlich viel Regen, doch darauf folgte ein viel zu trockener Oktober. Im vergangenen Monat wurde laut Lanuv nur 35,9 Millimeter Niederschlag gemessen, das sind 48 Prozent weniger als der langjährige Mittelwert. Damit gehörte dieser Oktober zu den 20 Prozent der niederschlagärmsten Oktober-Monate seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1881. Dies hat womöglich Folgen für die Neubildung von Grundwasser im kommenden Winter.
Insgesamt fielen in der Vegetationsperiode des Jahres 2022 seit April nur 370 Millimeter Niederschlag. Das sind 130 Millimeter oder 26 Prozent weniger als im langjährigen Mittel. Der nasse September habe die Lage leicht verbessert, aber nicht entschärft. „Der Boden ist trotz der Niederschläge im September landesweit weiterhin bis in größere Tiefen zu trocken, in den nordöstlichen Landesteilen teilweise deutlich zu trocken“, so der Bericht.
Im Oktober wurden an 71 Prozent der Messstellen im Vergleich zu den langjährigen Beobachtungen für diesen Monat deutlich niedrigere Grundwasserpegel festgestellt. 22 Prozent der Messungen in NRW zeigten ein „absolutes Minimum“ für den Monat Oktober, so das Lanuv. An 23 Prozent war der Grundwasserstand „sehr niedrig“.
Was sind die Gründe für den Grundwasserrückgang?
„In NRW sind die Niederschläge in den vergangenen 20 Jahren tendenziell gesunken“, sagt Frank Herrmann, Wissenschaftler am Institut für Bio- und Geowissenschaften des Forschungszentrums Jülich (FZJ). Vor allem die Jahre seit 2010 waren zu trocken, was zu Defiziten beim Grundwasser geführt habe. „Die Grundwasserstände in der Tiefe reagieren stets zeitversetzt“, erläutert Herrmann. „Trockenperioden an der Oberfläche wirken sich in manchen Regionen erst nach Monaten oder Jahren in tieferen Grundwasserschichten aus“, erklärt Herrmann. Das könne bedeuten, dass die Grundwasserstände in manchen Gebieten zunächst weiter absinken.
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Klimaprojektionen zeigen neben einem Anstieg der Temperaturen eine Zunahme von heißen Tagen und längeren Hitzewellen, ergänzt Klaus Görgen vom Jülicher Institut für Bio- und Geowissenschaften. „Das wirkt sich durch eine höhere Verdunstung auch auf den Wasserkreislauf aus.“ Dies habe in dem komplexen System mit vielen Wechselwirkungen wiederum Einfluss auf die Grundwasserneubildung.
Hydrologen setzen ihre Hoffnungen auf die kommende nasse Jahreszeit. Für sie ist der 31. Oktober daher das „Wasserwirtschafts-Silvester“: der hydrologische Sommer ist beendet, und mit dem Start des neuen hydrologische Jahres erholen sich im Winterhalbjahr die Grundwasserbestände normalerweise wieder.
Wie wirkt sich das sinkende Grundwasser auf Menschen und Natur aus?
Trockene Böden sind hart und wenig durchlässig. Daher fließt Regenwasser an der Oberfläche rasch ab und sickert kaum ein. Dadurch gelangt weniger Niederschlagswasser in die Tiefe, wo es für die Grundwasserneubildung gebraucht wird. Die Landwirtschaft spürt die Folgen auf den Feldern sehr direkt. Auch die Natur leidet unter der Trockenheit. So führten die Dürrejahre 2018 und 2019 vielerorts zu einem Absterben von Fichtenbeständen durch massiven Borkenkäferbefall.
„Das Ökosystem verändert sich, die Artenvielfalt nimmt ab“, erklärt der Gewässer-Ökologe Daniel Hering von der Uni Duisburg-Essen. Hingegen breiten sich Arten, die anspruchsloser sind und mit extremen Bedingungen besser zurechtkommen, stärker aus, sagt der Professor für Angewandte Hydrobiologie.
Was kann man gegen die Entwicklung tun?
„Es fehlen Schwammstrukturen, die das Wasser länger halten. Wir brauchen Gewässer, die langsam fließen, mäandrieren, mit Mooren, Auenlandschaften und Sümpfen verbunden sind und von dort in Trockenzeiten ihr Wasser bekommen“, sagt Hering. Nackte, trockene und verdichtete Böden nehmen kein Wasser auf. Landwirte sollten daher nach der Ernte Zwischenfruchtanbau betreiben, um die Böden zu begrünen. Das tiefe Pflügen sollte vermieden werden, die Böden sollten nicht verdichtet werden. „Das hilft am Ende der Landwirtschaft und dem Grundwasser.“
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Mit einer Vielzahl von Maßnahmen müsse das Wasser möglichst in der Fläche gehalten werden, betont auch FZJ-Forscher Herrmann. Zudem müsse es besser versickern können und in Feuchtgebieten oder Gewässern gespeichert werden. Ein weiter optimiertes Wassermanagement könne helfen, Konflikte zwischen verschiedenen Nutzergruppen zu vermeiden. „Alles zusammen kann dazu beitragen, das Grundwasser in Zukunft weiter nachhaltig zu nutzen.“
Ist die Trinkwasserversorgung gefährdet?
„Die Trinkwasserversorgung in NRW ist nicht gefährdet“, betont das Lanuv. Die Wasserwerke an der Ruhr versorgen rund fünf Millionen Menschen im Ruhrgebiet mit Trink- und Brauchwasser. Es wird vorwiegend aus Oberflächenwasser oder einer Mischung aus Oberflächen- und Grundwasser gewonnen. In besonders trockenen und heißen Sommerwochen könne es in Einzelfällen zu Engpässen kommen, was aber nicht auf Grundwassermangel zurückzuführen sei.
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Wasserversorger geraten in Schwierigkeiten, wenn sehr viel Trinkwasser in kurzer Zeit entnommen werde, etwa für Pools oder zur Bewässerung von Gärten. Bevor Trinkwasser ins Netz gespeist wird, muss es auf Reinheit getestet werden. Diese Analysen kosten Zeit. „Da wurde dann einfach schneller entnommen als nachgefüllt werden konnte.“
>>>> Der „Wasser-Monitor“
Klaus Görgen vom Forschungszentrum Jülich arbeitet im Projektteam des „Wasser-Monitors“ für Deutschland. Das seit einem Jahr verfügbare Online-Tool zeigt in hoher räumlicher Auflösung eine Übersicht über das pflanzenverfügbare Wasser in den oberen 30 Zentimetern des Bodens.
Der „Wasser-Monitor“ liefert Anhaltspunkte, wie feucht der Untergrund in einer bestimmten Region und wann es Zeit ist, Pflanzen zu bewässern. Die Daten beruhen auf wissenschaftlichen Simulationsmodellen und blicken bis zu neun Tage in die Zukunft.