Essen. Lehrkräfte werden händeringend gesucht und können sich die Stellen aussuchen. Sinken angesichts des dramatischen Mangels die Anforderungen?

Die Pläne der Landesregierung, künftig auch an Fachhochschulen Lehrkräfte für berufsbildende Schulen auszubilden, um mehr Lehrerinnen und Lehrer an die Schulen zu bringen, hat eine grundsätzliche Debatte um die Qualität der Lehrerausbildung in NRW befeuert. Rund 4000 Lehrerstelle an Schulen können in NRW derzeit nicht besetzt werden. Zugleich will das Land 10.000 neue Stellen bis 2027 schaffen. Sinkt angesichts des großen Bedarfs die Qualität der Ausbildung, um möglichst viele Studierende in die Klassen zu bringen? Werden womöglich inhaltliche Standards sowie Prüfungsanforderungen „angepasst“, um den Bedarf zu decken?

Einen Hinweis darauf könnte die Entwicklung der Durchfallquoten bei den Staatsprüfungen für das Lehramt liefern. Laut dem staatlichen Landesprüfungsamt für Lehrämter an Schulen in Dortmund haben im Jahr 2018 rund 2,3 Prozent der Kandidatinnen und Kandidaten die Prüfung nach dem Referendariat endgültig nicht bestanden. 2020 waren es 2 Prozent, und im Jahr 2022 sind 1,8 Prozent durchgefallen. Die Quote ist demnach im Verlauf von fünf Jahren leicht gesunken.

Keine besseren Noten

Dass diese Entwicklung auf sinkende Prüfungsstandards hindeuten könnte, weist Reinhard Schulte, Direktor des Landesprüfungsamtes, klar zurück. Die geringe Schwankung sei nicht signifikant, findet er. „Die Anforderungen bei den Prüfungen sind trotz des Lehrermangels sicher nicht gesunken, sondern eher gestiegen“, sagt Schulte. „Verschenkt wird da gar nichts“, betont er. Die Durchfallquote sei am Ende der langen Ausbildung seit Jahren niedrig und zeige dabei nur leichte Ausschläge.

Auch interessant

Müssen Lehrer ihren Beruf an einer Universität lernen? Die Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (Fachhochschulen) meinen, sie könnten ebenfalls Studierende bis zum Lehramtsabschluss führen.
Von Christopher Onkelbach und Matthias Korfmann

„Es wird keine Studentin und kein Student mit besseren Noten durchgelassen oder überhaupt durchgelassen, nur weil es Lehrkräftemangel gibt“, stellt auch Stephan Hußmann klar, Direktor des Kompetenzzentrums für Lehrerbildung, Lehr- und Lernforschung (Dokoll) an der TU Dortmund. „Wir haben ja eine Verantwortung unseren Schülern und Schülerinnen gegenüber.“ Stattdessen müsse der Beruf endlich aufgewertet werden, nicht nur durch mehr Gehalt, sondern auch durch Anerkennung, doppelte Besetzung in Klassen, verminderter Stundenzahl und Fortbildungen.

Mit Spitzen-Abi ins Studium

Der renommierte Bildungsforscher Klaus Klemm weist darauf hin, dass auch die Einstellung von Lehrkräften nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage funktioniere. „Es gab immer Phasen, da wurden auch jene genommen, die so gerade eben bestanden haben. Und es gab Phasen, wo selbst Leute mit einem Einser-Abschluss abgelehnt wurden.

„Wer vor drei Jahren ein Lehramtsstudium für Grundschulen begonnen hat und bald vor einer Klasse steht, musste einen Numerus Clausus (NC) von 1,5 bis 1,7 bestehen, erläutert Klemm. „Für das Studium brauchte man also ein Spitzen-Abi. Wenn dies kein Ausweis für Studierfähigkeit ist, dann kann man das Abi auch gleich vergessen.“ Zugleich werden Tausende junge Menschen, die Lehrer werden wollten, trotz guter Zeugnisse wegen des hohen NC nicht ins Studium gelassen. Klemm: „Dass man jetzt von einem drohenden Qualitätsverlust redet, finde ich erstaunlich.“

Anspruchsvolle Ausbildung

Karim Fereidooni kennt die zukünftige Lehrergeneration sowie die Studienanforderungen, denn er bildet als Professor für Didaktik der sozialwissenschaftlichen Bildung an der Ruhr-Uni Bochum angehende Lehrkräfte aus. Den Verdacht, die Lehrerausbildung werde angesichts des dramatischen Mangels womöglich schlechter, kann er nicht nachvollziehen. „Wir haben im internationalen Vergleich mit dem Bachelor- und Master-Studiengängen sowie dem Vorbereitungsdienst eine sehr anspruchsvolle Ausbildung“, so Fereidooni. In manchen Ländern komme man bereits mit einem Bachelor-Abschluss an die Schulen. „Wir haben unsere Qualitätsstandards keinesfalls gesenkt“, betont er.

Auch interessant

Viele Grundschüler in NRW sollen große Probleme im Schreiben und Rechnen haben. (Symbolbild)
Von Laura Lindemann und Matthias Korfmann

Fereidooni plädiert wie Klaus Klemm hingegen dafür, auch die Fachhochschulen – die sich heute Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW) nennen – stärker in die Lehrerausbildung einzubeziehen. Bislang können HAW nur in Kooperation mit einer Universität Lehramtsstudiengänge anbieten, wollen aber künftig eigenständige Studienangebote für das Lehramt Berufskolleg aufbauen. „Das würde dazu beitragen, den Lehrkräftemangel zu lindern“, sind die Experten überzeugt.

Fachhochschulen bieten sich an

Doch ausgerechnet die Berufskollegs, die von einer solchen Reform profitieren könnten, haben Bedenken. So will der Verband der Lehrerinnen und Lehrer an Berufskollegs (vlbs) an dem bestehenden Kooperationsmodell festhalten. „Die Zusammenarbeit mit den Universitäten stellt sicher, dass Kombinationen zwischen beruflichen und allgemeinbildenden Fächern im Rahmen der Didaktik des Berufskollegs sichergestellt werden“, sagt Verbandsvorsitzender Michael Suermann.

Wenn die Studierenden der HAW für den Master-Abschluss nicht mehr an eine Uni wechseln müssten, würden die Universitäten über kurz oder lang aus der Lehramtsausbildung für bestimmte berufliche Fachrichtungen aussteigen, glaubt Suermann. „In der Summe reduziert sich daraus praktisch die Fächervielfalt für die Studierenden sowie der Fokus auf berufliche Bildung an den Universitäten.“

Keine Klagen von Eltern

Die bestehenden Kooperationsmodelle zwischen den HAW und Unis sollten daher ausgebaut werden, „sie verbinden das Beste aus beiden Systemen“. Lernforscher Hußmann stimmt dem zu: HAW sollten nur dann in die Lehrerausbildung einsteigen, „wenn ausreichend pädagogische und fachdidaktische Professuren eingestellt sind, ansonsten ist das Kooperationsmodell mit einer Uni sehr gut.“

Auch interessant

Die wohl größte Überraschung im neuen Kabinett von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst ist Dorothee Feller. Die frühere Münsteraner Regierungspräsidentin ist die neue Schulministerin des Landes.
Von Matthias Korfmann und Stephanie Weltmann

Eltern schulpflichtiger Kinder scheinen bislang keinen Anlass zu sehen, an der grundsätzlichen Befähigung junger Lehrkräfte zu zweifeln. Über konkrete Beschwerden von Eltern, dass Lehrerinnen oder Lehrer nicht ausreichend ausgebildet seien oder für den Beruf nicht geeignet erscheinen, ist der Landeselternschaft Gymnasien in NRW jedenfalls nichts bekannt. Probleme zwischen Schülern und Lehrern seien meist individueller Art, teilt die Landeselternschaft mit.

Lehrkräfte fühlen sich überlastet

Unter dem Strich dürfte die Klage über eine womöglich sinkende pädagogische Eignung mancher Lehrkräfte wohl weniger mit Studium und Ausbildung zusammenhängen als mit der schulischen Praxis. Viele Lehrkräfte fühlen sich laut jüngstem „Schulbarometer“ ausgebrannt, überlastet und chronisch erschöpft. Eine Folge: 13 Prozent der für die Erhebung befragten Lehrkräfte wollen künftig ihre Arbeitszeit reduzieren – was den Lehrermangel weiter verschärfen dürfte.