Düsseldorf. Seit der “Doppelwumms“-Ankündigung des Kanzlers sind Wochen vergangen. Können sich Bund und Länder an diesem Mittwoch endlich einigen?

Einen „Doppelwumms“ zur Entlastung von Bürgern und Betrieben hatte Kanzler Olaf Scholz (SPD) bereits Ende September angekündigt. Doch noch immer rangeln Bund, Länder und Kommunen um Details zur Abfederung von Inflation und Energiekrise. Der Milliardenpoker geht bei der Ministerpräsidenten-Konferenz an diesem Mittwoch in die entscheidende Runde. Für NRW steht besonders viel auf dem Spiel. Der Einigungsdruck ist gewaltig. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hat am Wochenende appelliert, man möge „zusammenhalten und nicht kleinlich sein“. Aber gelingt das?

Schulden:

Gaspreisbremse, Wohngeld-Ausweitung, Inflationshilfen - die Ampel-Koalition in Berlin hat schon vor Wochen ein Riesenpaket geschnürt und erwartet die Mitfinanzierung durch die Länder. Allein in NRW wären dafür rund 3,3 Milliarden Euro fällig. Landesfinanzminister Marcus Optendrenk (CDU) sieht in seinem Haushalt 2023 jedoch „keinen Puffer“ dafür. In seinem Etat seien rund 90 Prozent der Ausgaben durch Personalausgaben und Pflichtprogramme gebunden. Wegen der Schuldenbremse könnte NRW auch nicht ohne Weiteres neue Kredite aufnehmen. Der finanzielle Handlungsspielraum des Landes im kommenden Haushaltsjahr werde „gering bis null“, warnte Optendrenk.

Inflation:

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) betont, dass die Inflation aktuell zusätzliches Geld auch in die Kassen der Länder spüle. Eine weitere Verschiebung der Lasten auf den Bund stoße an Grenzen. Überhaupt kritisieren Ampel-Vertreter, dass Wüst als Chef des bevölkerungsreichsten Bundeslandes immerzu nach Berlin zeige und anders als andere Ministerpräsidenten selbst kein Hilfspaket schnüre. Lindner plant derweil ein „Sondervermögen“ über 200 Milliarden Euro – also Kreditermächtigungen außerhalb des normalen Bundeshaushalts – zur Finanzierung der Gaspreisbremse.

Gaspreisbremse:

Der Bund will im Dezember einmalig den Abschlag der Gas- und Fernwärmerechnung übernehmen. Das soll als Brücke wirken, bis voraussichtlich im März 2023 die eigentliche Gaspreisbremse mit einem gedeckelten Preis für eine bestimmte Verbrauchsmenge kommt. Wüst hat in der ARD vor einer „Winterlücke“ gewarnt und erwartet, dass die Gaspreisbremse „auch rückwirkend“ für Januar und Februar gilt. Außerdem warnt er: „Es darf keine Gerechtigkeitslücke geben.“ In NRW würden ein Viertel aller Heizungen mit Öl oder Holzpellets betrieben. Man könne besser die Mehrwertsteuer auf Energie so weit senken, „wie es das Europarecht erlaubt“. Auch der Bochumer Europaabgeordnete Dennis Radtke, stellvertretender Bundesvorsitzender des CDU-Arbeitnehmerflügels CDA, kritisierte: „Die Menschen, die nicht mit Gas heizen, werden von der Ampel einfach vergessen.“

Wohngeld:

Der Bund will den Empfängerkreis des Wohngeldes von derzeit 800.000 Menschen mit geringem Einkommen auf rund zwei Millionen ausweiten. Bislang zahlt der Bund diese Sozialleistung, künftig sollen die Länder an den Kosten beteiligt werden. Für NRW geht es dabei wegen der vergleichsweise ungünstigen Sozialstruktur an Rhein und Ruhr um bis zu 500 Millionen Euro, die künftig Jahr für Jahr aus dem Landeshaushalt bezahlt werden müssten. Wenn eine solche ungeplante dauerhafte Belastung kommt, müsste die schwarz-grüne Koalition in Düsseldorf wohl etliche eigene Projekte beerdigen.

Krankenhausfinanzierung:

Die 341 Krankenhäuser in NRW, denen ohnehin ein schmerzhafter Strukturwandel bevorsteht, sind durch die Energiekrise noch stärker in Schieflage geraten. Ohne Unterstützung des Bundes drohe schon 2023 „eine Insolvenzwelle“, hat der Präsident der Krankenhausgesellschaft NRW, Ingo Morell, unlängst gewarnt. NRW will Hilfen aus Berlin ohne die gleichzeitige, bei Unternehmen und Privatleuten sonst übliche Einsparverpflichtung. Denn: Krankenhäuser können kaum Energie einsparen, weil medizinische Geräte wie MRT oder CT viel Strom verbrauchen und Patientenzimmer nun mal wärmer sein müssen als Amtsstuben.

9-Euro-Ticket:

Ein 49-Euro-Ticket soll das 9-Euro-Ticket ersetzen und den Öffentlichen Personennahverkehr in der Energiekrise attraktiver machen. Unklar ist, wer dieses Zuschussgeschäft für Bus- und Bahnbetreiber bezahlen soll. Die Länder erwarten vom Bund zunächst Verbesserungen bei der dauerhaften Finanzierung des Angebots („Regionalisierungsmittel“), damit der Fahrplan gerade auf dem Land nicht noch weiter ausgedünnt werden muss. Sie halten in den Jahren 2022 und 2023 eine Erhöhung der Regionalisierungsmittel um jeweils zusätzlich 1,65 Milliarden Euro gegenüber dem jeweiligen Vorjahr für nötig.

Flüchtlinge:

Die neue Flüchtlingskrise hat nur indirekt mit der Energiekrise zu tun, wird aber als Folge des Ukraine-Krieges bei der Ministerpräsidenten-Konferenz mitverhandelt. „Bund und Länder dürfen die Kommunen nicht im Stich lassen, denn da muss am Ende praktisch gehandelt werden“, forderte Wüst. Der Bund zahlt zwar für Menschen aus der Ukraine, die sofort in die Grundsicherung kommen und nicht mehr nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bezahlt werden. Das Problem: NRW nimmt inzwischen auch wieder sehr viele Flüchtlinge auf, die aus anderen Ländern der Welt über die Balkanroute ins Land kommen. Zudem müssen die Kommunen für alle Zugewanderten am Ende die Integrationsarbeit von Kita bis Schule organisieren.

Bürgergeld:

Das neue Bürgergeld, das ab Januar Hartz IV ersetzen soll, ist zwar eine Sozialreform der Ampel unabhängig von der Energiekrise. Doch die Union will das Gesetz im Bundesrat aufhalten und dürfte sich die Zustimmung abhandeln lassen. Auch Wüst findet, dass das Bürgergeld Fehlanreize setze und neue Ungerechtigkeiten schaffe: „Ich finde, es hat sich bewährt, dass Menschen sich auch ein Stück anstrengen müssen, wenn sie Sozialleistungen bekommen“, sagte er der ARD.