Essen. Deutsche mit Migrationsgeschichte gehen seltener wählen. Politikforscher der Uni Duisburg-Essen gehen der Frage nach, wie sich dies ändern lässt.

Ein Drittel der Erstwähler in Deutschland hat eine Migrationsgeschichte. Doch Deutsche aus Einwandererfamilien gehen seltener wählen als Wahlberechtigte ohne Migrationsgeschichte. Dies sei bedenklich für die Demokratie, denn Wahlen würden dadurch immer weniger repräsentativ. Eine Studie der Politikwissenschaftler Achim Goerres und Jonas Elis von der Uni Duisburg-Essen sowie Sabrina Mayer von der Uni Bamberg für das Zentrum für Türkeistudien in Essen geht den Gründen für diesen Trend nach und benennt Faktoren, wie die Wahlmotivation erhöht werden könnte.

Demnach waren bei der Bundestagswahl 2021 rund 13 Prozent der Wahlberechtigten Eingewanderte mit deutscher Staatsangehörigkeit sowie ihre Nachkommen – ein neuer Rekordwert. 2017 waren es noch zehn Prozent. Dennoch gaben sie viel seltener ihre Stimme ab. Auch wenn die Wahlbeteiligung insgesamt seit Jahren sinkt, liegt der Wert in dieser Gruppe noch einmal zehn bis 15 Prozent niedriger.

Prof. Dr. Achim Goerres, Politikwissenschaftler an der Universität Duisburg-Essen.
Prof. Dr. Achim Goerres, Politikwissenschaftler an der Universität Duisburg-Essen. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

„Die Mobilisierung von Erstwählern ist entscheidend, will man die Wahlbeteiligung erhöhen“, sagt Achim Goerres. „Daher lautet ein wichtiger Rat an die Bildungspolitiker: Sorgt dafür, dass junge Menschen zur Wahl gehen. Denn wenn sie gelernt haben, dass Politik und politische Beteiligung wichtig sind, werden sie immer wieder wählen gehen.“ Wer indes nie an die Wahlurne ging, wird es auch später nicht tun, ist der Forscher überzeugt. Goerres nennt dies „langfristige Erbe-Effekte“.

Erstwähler gezielt ansprechen

Die Gründe, warum Menschen mit Migrationsgeschichte nicht zur Wahl gehen, sind laut der Studie vielfältig. Bildungsniveau, mangelndes politisches Wissen, aber auch fehlende Vorbilder in der Familie oder im sozialen Umfeld spielen eine Rolle. Politische Bildung an Schulen könne Ungleichheiten der Elternhäuser in Bezug auf politische Mobilisierung ausgleichen, so die Studie. Für eine langfristige Mobilisierung seien daher gute Bildung und politische Aufklärung die wichtigsten Voraussetzungen.

Weitere Punkte, um die Wahlbeteiligung kurzfristig zu erhöhen, sind gezielte Anschreiben oder Erinnerungen, mehrsprachige Informationsmaterialien sowie eine Vereinfachung der Briefwahl. Auch bei den Wahlbenachrichtigungen könne man Erstwähler gezielter ansprechen, schlägt Goerres vor. „Sie sehen aus wie Parkgebührenschreiben! Das kann man ansprechender gestalten, um Leuten Lust auf eine Abstimmung zu machen.“

Keine Zusatzeffekt bei gleicher Herkunft

Die Studienautoren fanden zudem erste Hinweise darauf, dass manche Wählerverzeichnisse offenbar Lücken aufweisen. Denn um Wahlberechtigte anzuschreiben, müssen sie im Einwohnermelderegister korrekt erfasst sein. „Wir haben bemerkt, dass die Adressen von Menschen mit Migrationshintergrund häufiger nicht aktuell sind und manche daher die Wahlaufforderung gar nicht erhalten.“ Vermutlich sei dies auch eine Folge überlasteter Behörden während der Corona-Pandemie.

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Von Michael Kohlstadt, Christopher Onkelbach

Die Herkunft spielt bei der Wahl eine geringere Rolle als gedacht: Wenn Kandidaten mit demselben Migrationshintergrund in einem Wahlkreis kandidieren, erhöht dies offenbar nicht die Motivation, zur Wahl zu gehen oder für diese Person zu stimmen. Goerres: „Dafür fanden wir keinen messbaren Zusatzeffekt.“ Für viele sei der Wahlakt offenbar „die deutscheste Handlung“, die mit der deutschen Staatsangehörigkeit verbunden ist.