Essen. Iranische Wissenschaftlerin Raika Khorshidian hat trotz der Gewalt Hoffnung auf Veränderung. Die 35-Jährige forscht an der Uni Duisburg-Essen.

Seit Jahren habe sie erstmals wieder Hoffnung für ihr Land. Noch vor wenigen Monaten wäre dieser Aufstand der Menschen im Iran vermutlich nicht möglich gewesen, ist Raika Khorshidian überzeugt. Der Tod der 22-jährigen Mahsa Amini am 16. September habe alles verändert. Seither erlebt das Land eine der größten Protestwellen der letzten Jahrzehnte. Die 35-jährige Kunsthistorikerin forscht an der Uni Duisburg-Essen und hält Kontakt zu Freunden und Angehörigen in ihrem Geburtsland Iran. Wir fragten sie, was ihr trotz Angst und Gewalt, trotz Dutzender Todesopfer Hoffnung macht.

Frau Khorshidian, woran arbeiten Sie an der Universität Duisburg-Essen?

Raika Khorshidian: Ich kam im September 2021 mit einem Humboldt-Stipendium nach Essen, also schon lange vor den Protesten. Schon vorher hatte ich das Gefühl der Entfremdung von meiner Heimat, und das ging vielen Menschen so. Wir haben das Gefühl, unsere Heimat verloren zu haben, obwohl wir dort leben und aufgewachsen sind. In den letzten Jahren ist der Druck der Regierung gewachsen, sie töten Menschen ohne Grund, niemand wagte es, seine Stimme zu erheben. Als Wissenschaftlerin interessiert mich, wie iranische Künstler im Iran und auch im Ausland diese Gefühle umsetzen, verarbeiten und ausdrücken. Das ist ein Teil meines Forschungsprojekts.

Haben Kunst und Bilder eine besondere Funktion bei den Protesten?

Die iranische Kunsthistorikerin Raika Khorshidian forscht an der Uni Duisburg-Essen.
Die iranische Kunsthistorikerin Raika Khorshidian forscht an der Uni Duisburg-Essen. © FFS | Kai Kitschenberg

Texte werden zensiert. Aber in Bildern und Grafiken können Künstler ihre Gefühle und Gedanken besser ausdrücken, weil die Botschaft oft verschlüsselt ist. Sie wird zwar von den Menschen verstanden, aber nicht immer vom Regime. Das ist die Macht der Bilder. Über die sozialen Medien können die Künstler der Welt mitteilen, was im Iran geschieht.

Worin unterscheidet sich Ihre Arbeit in Essen von Ihrer vorherigen Aufgabe im Iran?

Der größte Unterschied ist, dass ich hier frei arbeiten und sprechen kann. Das iranische Regime hat kein Interesse an Forschungsarbeiten, die sich kritisch mit den Verhältnissen auseinandersetzen und setzt die Wissenschaftler unter Druck. Wir haben erlebt, dass Forscher plötzlich verschwunden sind oder starben, und dann hieß es, es war ein Selbstmord, ein Unfall oder er sei von ausländischen Agenten getötet worden. Die Angehörigen werden unter Druck gesetzt und bedroht, damit sie schweigen.

Könnte dieses Interview für Sie ein Risiko bedeuten?

Ja, es ist ein Risiko. Aber ich nehme das in Kauf. Die Menschen im Iran nehmen ein viel größeres Risiko auf sich. Die Demonstranten riskieren ihr Leben, weil sie ein Ende der Angst und den Sturz der Regierung wollen. Sie wollen der Welt zeigen, dass sie anders sind und das Regime nicht unterstützen. Deshalb muss auch ich meine Stimme erheben, denn ich träume von einer Rückkehr in ein freies Land.

Wie halten Sie Kontakt zu Freunden im Iran?

Das Internet wird immer wieder abgeschaltet, und durch die Sperrung von Apps versucht die Regierung, die Verbreitung von Informationen zu verhindern. Dennoch habe ich erfahren, dass eine Freundin von mir verhaftet wurde. Sie wurde zu Hause abgeholt. Sie war im berüchtigten Ewin-Gefängnis in Teheran, als am 15. Oktober dort ein Brand ausbrach und viele Menschen gestorben sind. Sie wurde in ein anderes Gefängnis gebracht, aber ich weiß nicht, wie es ihr geht. Ich habe Angst, dass sie in der Haft vergewaltigt und gefoltert wird.

Was hören Sie von Ihrer Familie?

Mein Mann und meine Kinder, vier Monate alte Zwillinge, sind in Essen. Wir halten Kontakt zur Mutter meines Mannes. Sie geht bei den Protesten auf die Straße, um Verletzte zu versorgen, vor allem Kinder. Auch das ist schon gefährlich.

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Sind Sie glücklich, dass Ihre Kinder in Sicherheit sind?

Ich bin froh darüber, aber ich kann nicht glücklich sein, weil so viele Menschen in meiner Heimat in Gefahr sind. Ich bin zwar in Sicherheit, aber ich habe ständig Angst und oft Alpträume.

Etwa 80.000 Menschen demonstrierten in Berlin gegen die Unterdrückung im Iran, was dachten Sie, als Sie das sahen?

Das war wunderbar, es war bunt und laut. Tausende Menschen aus vielen Ländern kamen zusammen und diskutierten über die Zukunft des Iran. Das zeigte die Hoffnung: Wir können und werden das Regime beenden und eine neue Zukunft aufbauen. Die Menschen kamen mit ihren Herzen. Die Botschaft lautete: Die Länder der Welt sollten die Menschen unterstützen und nicht das terroristische Regime.

Sind das noch Proteste oder ist es bereits eine Revolution?

Nach einigen Wochen sprachen die Menschen nicht mehr von Demonstrationen, sondern von einer Revolution. Das Risiko, getötet zu werden, ist groß. Doch die Menschen wollen nicht länger schweigen.

Hat das Regime noch Rückhalt im Volk?

Ich bin sicher, dass es vor einigen Monaten diese große Protestbewegung nicht gegeben hätte. Es ist nicht nur ein Protest von Studierenden oder Intellektuellen, es geht über alle regionalen und sozialen Grenzen hinweg. Auch sehr religiöse Menschen begehren auf, weil sie unter den Verhältnissen leiden.

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Die Frauen führten die Proteste an, woher kommt dieser Mut?

Sie brechen aus der Rolle aus, die ihren zugewiesen wurde. Viele Frauen im Iran sind gebildet und wissen, was in der Welt geschieht. Aber im Iran müssen sie schweigen, sich verhüllen und den Hidschab tragen. Mit dem Körper will das Regime zugleich ihren Geist kontrollieren. Schon in der Schule lernen Mädchen, dass sie sich verhüllen müssen. Ständig geht es um ihren Körper. So wird ihnen ihre Kindheit genommen. Die Frauen erheben ihre Stimme aber nicht nur für sich, sondern auch für ihre Familien und Ehemänner.

Glauben Sie an ein Ende des Mullah-Regimes?

Ich bin sehr hoffnungsvoll! Die Menschen haben nicht resigniert und stehen zusammen, trotz Gewalt und Tod. Vor zwei Monaten gab es diese Bewegung noch nicht, aber in dieser kurzen Zeit demonstrierten die Iraner ihren Willen, dieses Regime zu beenden und über die Zukunft des Landes zu diskutieren. Bei der großen Demo in Berlin hielt jemand ein Plakat in die Höhe, worauf eine imaginäre iranische Zeitung abgebildet war. Die Schlagzeile lautete: Iran ist frei!

>>>> Zur Person:

Raika Khorshidian (35) ist Georg-Forster-Stipendiaten an der Uni Duisburg-Essen (2021-2023). Die Humboldt-Stiftung vergibt diese Förderung an „überdurchschnittlich qualifizierte Forschende aller Fachrichtungen aus Entwicklungs- und Schwellenländern“.

Ihre Forschungsschwerpunkte sind iranische Gegenwartskunst, Migration und Identität. Von 2018 bis 2021 arbeitete sie als Künstlerin und Kuratorin in Teheran und als Kunstjournalistin.