Düsseldorf. Der Präsident der Krankenhausgesellschaft NRW, Ingo Morell, über hohe Energiepreise, Insolvenzgefahren und neue Standortmodelle.

Energiekrise, Corona, Strukturreformen – die Krankenhäuser im Land erleben gerade stürmische Zeiten. Ingo Morell, Präsident der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW), sprach mit Tobias Blasius über den Ernst der Lage und seine Erwartungen an die Politik.

Herr Morell, wie sehr setzt den 341 nordrhein-westfälischen Krankenhäusern die Energiekrise zu?

Der dramatische Anstieg von Energiepreisen und Sachkosten bringt viele der ohnehin unterfinanzierten Krankenhäuser vollends in eine wirtschaftliche Schieflage. Deshalb sage ich ganz klar: Ohne ausreichende Unterstützung des Bundes droht schon im Jahr 2023 eine Insolvenzwelle. Sie können im Krankenhaus nicht so leicht Energie einsparen. Medizinische Geräte wie MRT oder CT brauchen viel Strom. Wir können Patientenzimmer nicht nur mit 19 Grad heizen. Und Homeoffice geht bei medizinisch-pflegerischem Personal auch nicht. Aber es geht nicht nur um Energie, sondern auch um die außerordentlichen Kostensteigerungen insgesamt.

Bundesgesundheitsminister Lauterbach hat Hilfe zugesagt und das Land will sie nicht alleine lassen. Was benötigen Sie konkret?

Bundeskanzler Scholz hat versprochen, dass niemand im Regen stehen gelassen wird. Der Bundesgesundheitsminister hat schon vor Wochen ein Hilfspaket für die Krankenhäuser angekündigt. Von beidem merken wir bislang leider nichts. Das sorgt für Frust, denn die Zeit drängt. Krankenhäuser bewegen sich in einer gesetzlich festgelegten Finanzierungsstruktur und können gestiegene Kosten nicht einfach durch Preiserhöhungen ausgleichen. Wir geben gerade Geld aus, das wir nie wieder erwirtschaften können. Ohne eine schnelle Energie- und Kostenzulage wird es nicht gehen.

Die Energiekrise trifft die Krankenhauslandschaft in NRW in einer sensiblen Phase. Zurzeit beginnen die Verhandlungen über einen neuen Krankenhausplan, der am Ende zu weniger Krankenhäusern führen dürfte. Erschwert das die Verhandlungen?

Die aktuelle Krise unterstreicht eher die Notwendigkeit einer Strukturreform. Eine leistungsfähige medizinische Versorgung braucht wirtschaftlich gesunde Krankenhäuser. Obwohl ich mit NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann nicht immer einer Meinung bin, habe ich großen Respekt davor, dass er dieses heiße Eisen anfasst. Mit der Konsolidierung der Krankenhauslandschaft und der möglichen Zusammenlegung oder Schließung oder Umwidmung von Standorten macht man sich politisch ja nicht nur Freunde.

Krankenhausträger und Krankenkassen sollen sich zunächst über eine neue Versorgungsstruktur in 16 Regionen in NRW verständigen, andernfalls entscheidet der Minister. Wird ein solches Machtwort notwendig sein?

Niemand will einen kalten Strukturwandel, also eine unkontrollierte Marktbereinigung unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Wohin so etwas führt, erleben wir seit Jahren in der Geburtshilfe. Weil es sehr teuer ist, Kreißsäle zu unterhalten, müssen Schwangere heute selbst in Ballungsgebieten manchmal erst einen freien Kreißsaal suchen. Der neue Krankenhausplan muss im Sinne unserer Patientinnen und Patienten zu einer klugen Vernetzung von großen und kleinen Häusern und niedergelassenen Ärzten führen. Da es aber unterschiedliche Interessen der Beteiligten gibt, wird an der einen oder anderen Stelle eine Entscheidung durch das Gesundheitsministerium notwendig werden.

Warum kostet es Geld, wenn Häuser zusammengelegt und Behandlungsschwerpunkte gebildet werden?

Der Abbau von Krankenhausbetten kostet in etwa so viel wie der Aufbau. Wenn Sie durch Zusammenlegung aus zwei kleinen Krankenhäusern ein größeres machen, müssen Sie umbauen, Versorgungsstrukturen erweitern, für einen zu schließenden Standort müssen Sie zum Beispiel Ausgleichszahlungen an Pensionskassen leisten und möglicherweise Sozialpläne aufstellen. Dieses Geld kann kein Krankenhaus aufbringen. Für die kommenden fünf Jahre muss das Land NRW für diese Veränderungsprozesse mindestens zwei Milliarden Euro bereitstellen. Ich bin gespannt, wie sich das im Landeshaushalt 2023 abbildet. Denn wenn die Krankenhausplanung nicht jetzt im Haushalt belastbar finanziell unterfüttert wird, wird sich kein Krankenhausträger auf diesen Prozess einlassen.

Gesundheitsminister Laumann hat jüngst Respekt für kleine Krankenhäuser gefordert, weil sie oft - unabhängig von reinen Bilanzen - als Arbeitgeber und vertrauter Ort für Patienten wertvoll seien. Wie aber kann deren Perspektive aussehen?

Wir müssen im ländlichen Raum intelligente Lösungen finden und dürfen keine Versorgungslücken reißen. Dafür sollten die bislang starren Standortkriterien für Krankenhäuser geändert werden. Warum kommt beispielsweise ein Arzt nicht häufiger zum Patienten ins kleinere Krankenhaus, ohne dass man dafür eine ganze Abteilung vorhalten muss? Ich stimme Minister Laumann zu, dass nicht jedes Haus in NRW jede Operation anbieten sollte und wir für Wirtschaftlichkeit und Versorgungsqualität ein gewisses Maß an Spezialisierung brauchen. Aber für einen Herzschrittmacher oder eine Hüftoperation muss niemand weite Strecken auf sich nehmen.

Sondern?

Gut planbare Operationen könnten Ärzte vornehmen, die durch die Einrichtungen auf dem Land reisen. Wir müssen Oma nicht von Olpe nach Dortmund fahren, nur um einen Defibrillator einsetzen zu lassen. Das kann durch intelligente Vernetzung der Versorgungsstruktur auch in einem kleineren Haus im vertrauten Umfeld geschehen.

Land und Universitätskliniken haben zuletzt in einem harten Arbeitskampf einen „Entlastungstarifvertrag“ vereinbart, der die Arbeit am Uniklinikum für Pflegekräfte deutlich attraktiver macht. Geht das zulasten normaler Krankenhäuser?

Noch spüren wir die Sogwirkung zu den Universitätskliniken nicht allzu sehr. Aber wenn am Ende das Land die Zusatzkosten des Entlastungstarifvertrages für die Universitätsklinken bezahlen würde, wäre das natürlich eine Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der übrigen Krankenhäuser. Der Fachkräftemangel im medizinisch-pflegerischen Bereich lässt sich nicht dadurch bekämpfen, dass an sechs Unikliniken eine Arbeitszeitverkürzung versprochen wird.

Noch ein Ausblick in den Corona-Winter: Mit welchem Szenario rechnen die NRW-Krankenhäuser?

Wir sind zuversichtlich, dass Corona nicht zur Überlastung der Intensivstationen führen wird. Meine große Sorge ist vielmehr, dass es durch infizierte oder in Quarantäne befindliche Mitarbeiter zu Engpässen kommen könnte. Nach zwei kraftraubenden Pandemie-Jahren arbeiten viele Belegschaften längst an der Belastungsgrenze.